Einrichtungsbezogener Impfnachweis - unbezahlte Freistellung
Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 2 Ca 104/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 11 Sa 772/22 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 16. März bis zum . Hintergrund sind die Regelungen zum einrichtungsbezogenen Immunitätsnachweis nach § 20a IfSG in den - soweit vorliegend erheblich - im Wesentlichen gleichlautenden Fassungen vom und (iF IfSG aF).
2Die Klägerin ist seit dem bei der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, als Gesundheits- und Krankenpflegerin beschäftigt. Aus dem Verdienst der Monate Dezember 2021 bis Februar 2022 errechnet sich ein durchschnittliches Entgelt von 3.378,53 Euro brutto.
3Die zum damaligen Zeitpunkt nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpfte Klägerin legte der Beklagten bis zum keinen Nachweis gemäß § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG aF vor. Mit Schreiben vom stellte die Beklagte sie deshalb von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung ohne Fortzahlung der Vergütung frei und führte dabei aus, bei Medizin- oder Pflegeleistungen mit Kontakt zu hochvulnerablen Gruppen verpflichteten sie ihre Fürsorge- und Schutzpflichten, „den größtmöglichen Schutz für unsere Arbeitnehmer und Dritte zu gewährleisten“.
4Das zuständige Gesundheitsamt ordnete gegenüber der Klägerin im Streitzeitraum kein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF an. Ab dem beschäftigte die Beklagte die Klägerin wieder.
5Mit ihrer am anhängig gemachten Klage hat die Klägerin zuletzt Vergütung für die zweite Märzhälfte 2022 sowie für die Monate April und Mai 2022 in rechnerisch nicht streitiger Höhe verlangt. Ihre Forderung hat sie auf Vergütung wegen Annahmeverzugs gestützt und gemeint, die Beklagte habe sich aufgrund der Freistellung im Annahmeverzug befunden, sie sei leistungswillig und leistungsfähig gewesen und hätte - weil schon vor dem bei der Beklagten tätig (sog. Bestandskraft) - bis zu einer entsprechenden Untersagung durch die zuständige Behörde auch arbeiten dürfen. Für ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot sei ausschließlich das Gesundheitsamt nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF zuständig gewesen, dies habe eine Freistellung durch die Beklagte im Wege einer Weisung nach § 106 GewO ausgeschlossen.
6Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wesentlichen gemeint, sie schulde keine Annahmeverzugsvergütung, weil die Klägerin mangels Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 im Streitzeitraum nicht leistungsfähig gewesen sei. Bereits aus § 20a Abs. 1 IfSG aF habe sich ab dem ein gesetzliches Beschäftigungsverbot für Mitarbeitende, die der Nachweispflicht nicht nachgekommen seien, ergeben. Die Beklagte habe zudem im Rahmen der Pandemiebekämpfung eigene Regelungen treffen dürfen. Die Entscheidung, ab dem nur noch immunisiertes Personal einzusetzen, sei im Hinblick auf die gesetzliche Wertung des § 20a IfSG aF verhältnismäßig und interessengerecht gewesen.
8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin der Klage bis auf geringfügige Differenzen bei der Zinsforderung stattgegeben. Mit der vom Senat nachträglich zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
9Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, unbegründet. Die Beklagte befand sich im Streitzeitraum nicht im Annahmeverzug. Die Klägerin hat der Beklagten keinen Immunitätsnachweis iSd. § 20a IfSG aF vorgelegt und war damit außer Stande, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken, § 297 BGB.
10I. Ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs scheitert nicht bereits an einem etwa fehlenden Angebot der Arbeitsleistung. Ob die Klägerin, wie das Landesarbeitsgericht ohne nähere Tatsachenfeststellung annimmt, „ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten“ hat, kann dahinstehen. Denn ein solches war entbehrlich, weil die Beklagte durch die einseitige Freistellung auf das Angebot der Arbeitsleistung verzichtet hat (vgl. - Rn. 12 mwN) und es zudem aufgrund ihres Freistellungsschreibens vom offenkundig war, dass sie ohne eine Änderung am „Impf- oder Genesenenstatus“ auf ihrer Weigerung, die Leistung anzunehmen, beharren würde (vgl. - Rn. 19 mwN, BAGE 168, 25).
11II. Die Beklagte hat jedoch zu Recht eingewandt, die Klägerin sei iSv. § 297 BGB nicht im Stande gewesen, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.
121. Unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen gerät der Arbeitgeber gemäß § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken (st. Rspr., vgl. - Rn. 9 mwN). Leistungswille und Leistungsfähigkeit sind vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 18 mwN, BAGE 178, 293). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freigestellt worden ist. Deren Aufhebung bedeutet zwar einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Angebot der Arbeitsleistung. Jedoch muss der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig sein. Ein Absehen von den Erfordernissen des § 297 BGB bedarf einer - im Streitfall nicht existierenden - ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien (vgl. - Rn. 22, BAGE 153, 85).
13a) Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist (MüKoBGB/Henssler 9. Aufl. § 615 Rn. 32; MHdB ArbR/Tillmanns 6. Aufl. Bd. 1 § 76 Rn. 31). Ob Leistungsfähigkeit besteht, bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Grundsätzlich unerheblich ist die Ursache für eine Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder seine Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit fehlt ( - Rn. 22 mwN, BAGE 178, 293). In diesen Fällen steht der Erbringung der Arbeitsleistung ein objektives Leistungshindernis entgegen.
14b) Leistungswille setzt voraus, dass der Arbeitnehmer den ernstlichen Willen hat, die Arbeitsleistung in dem geschuldeten Umfang zu erbringen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer es selbst in der Hand hat, den Hinderungsgrund, welcher der Erbringung der Arbeitsleistung entgegensteht, zu beseitigen (vgl. - Rn. 20, BAGE 178, 150).
15c) Leistungsunfähigkeit und Leistungsunwillen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können nach den Umständen des Einzelfalls auch nebeneinander bestehen. Ein Arbeitnehmer kann zugleich zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht bereit und nicht dazu in der Lage sein.
16d) Bei Anwendung des § 297 BGB ist zwischen den Fällen abzugrenzen, in denen die Nichtannahme der Arbeit ausschließlich auf dem Willen des Arbeitgebers beruht, so dass er gemäß § 615 Satz 1 BGB zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet ist, und den Konstellationen, in denen mangels Leistungsbereitschaft oder Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers kein Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs besteht ( - Rn. 18 und 24 mwN, BAGE 178, 293). Handelt es sich um Leistungshindernisse, die ihre Ursache in dem vom Arbeitgeber bereitzustellenden Sachsubstrat oder der von ihm zu regelnden Arbeitsorganisation haben, ist er deshalb grundsätzlich zur Zahlung der Annahmeverzugsvergütung verpflichtet (vgl. Staudinger/Fischinger [2022] BGB § 615 Rn. 90).
17e) Beruft sich der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit oder Leistungsunwilligkeit iSd. § 297 BGB, erhebt er eine Einwendung, für deren Voraussetzungen er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt ( - Rn. 11).
182. Dies zugrunde gelegt besteht der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nicht. Die Beklagte hat mit Erfolg eingewandt, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum iSv. § 297 BGB außer Stande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken.
19a) Für die Klägerin bestand allerdings kein unmittelbares Beschäftigungsverbot kraft Gesetzes. Den Regelungen in § 20a IfSG aF lässt sich ein solches für Bestandskräfte, die über keinen Immunitätsnachweis verfügten, nicht entnehmen.
20aa) Nach § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG aF mussten Personen, die wie die als Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitende Klägerin in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen tätig waren, ab dem entweder geimpfte oder genesene Personen iSd. § 2 Nr. 2 oder 4 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung in der jeweils geltenden Fassung sein (§ 20a Abs. 1 IfSG idF vom ) bzw. über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Abs. 1 oder 2 IfSG aF verfügen, sofern nicht eine medizinische Kontraindikation vorlag, aufgrund derer eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 nicht erfolgen konnte (§ 20a Abs. 1 IfSG idF vom ). § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG aF sah weiter vor, dass Personen, die in den Abs. 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen (bereits) tätig waren (Bestandskräfte), der Leitung der jeweiligen Einrichtung bis zum Ablauf des einen Impf- oder Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis über die medizinische Kontraindikation vorlegen mussten. Kamen sie dem nicht nach, hatte die Einrichtungsleitung das jeweils zuständige Gesundheitsamt darüber zu benachrichtigen (§ 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG aF). Dieses konnte nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF solchen Mitarbeitern gegenüber ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot aussprechen. Demgegenüber mussten Personen, die ab dem (erstmals) in einer der im Gesetz genannten Einrichtungen tätig werden sollten, nach § 20a Abs. 3 IfSG aF vor Beginn ihrer Tätigkeit einen Immunitätsnachweis vorlegen. Taten sie dies nicht, durften sie nach § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG aF in den entsprechenden Einrichtungen nicht beschäftigt werden.
21bb) Bei der in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG aF aufgestellten Anforderung handelte es sich um eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung (vgl. - Rn. 244, BVerfGE 161, 299; Berneith COVuR 2022, 135, 136; Oberthür ArbRB 2022, 80, 81; Seel öAT 2022, 155). Dies kommt in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG aF, wonach Mitarbeiter, die in den im Einzelnen aufgeführten Einrichtungen tätig sind, über einen Immunitätsnachweis „verfügen müssen“, hinreichend klar zum Ausdruck (vgl. zu dieser Anforderung - Rn. 15, BAGE 130, 29).
22cc) Die vom Gesetz aufgestellte Tätigkeitsvoraussetzung bedurfte, soweit Bestandskräfte sie nicht erfüllten, der Umsetzung durch weitere Maßnahmen. Dies wird durch den Vergleich von § 20a Abs. 2 iVm. Abs. 5 IfSG aF und § 20a Abs. 3 IfSG aF verdeutlicht. Für Bestandskräfte war - anders als in § 20a Abs. 3 Satz 4 IfSG aF für neu einzustellende Mitarbeiter - ein unmittelbares Tätigkeits- oder Betretungsverbot im Gesetz nicht vorgesehen (vgl. - Rn. 215, 253, BVerfGE 161, 299; Gerhardt 6. Aufl. IfSG § 20a Rn. 49). Ein solches ergab sich auch nicht über eine analoge Anwendung aus § 20a Abs. 3 IfSG aF (Weigert NZA 2022, 166, 169 f.). Unter Berücksichtigung der Gesamtregelung des § 20a IfSG aF mit der darin vorgenommenen Differenzierung zwischen Bestandskräften und neu eingestellten Mitarbeitern lag keine planwidrige Regelungslücke vor. Zudem verbliebe bei einem solchen Gesetzesverständnis für Betretungs- und Tätigkeitsverbote durch Anordnung des Gesundheitsamts nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF kein Anwendungsbereich mehr (Christ/Jeck DStR 2022, 944, 945; Schmidt/Schneider NZA-RR 2022, 121, 122).
23b) Im Fall der Klägerin ordnete das zuständige Gesundheitsamt keine Maßnahmen zur Umsetzung der in § 20a Abs. 1 IfSG aF vorgesehenen Tätigkeitsvoraussetzung an. Es verhängte ihr gegenüber im streitgegenständlichen Zeitraum kein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts konnte für Bestandskräfte die Umsetzung der in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG aF geregelten beruflichen Tätigkeitsvoraussetzung jedoch auch durch den Arbeitgeber erfolgen.
24aa) Arbeitsrechtlich wurzelte die Befugnis der Arbeitgeber, für die (weitere) Beschäftigung der Arbeitnehmer in den in § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG aF genannten Einrichtungen befristet für die Dauer der Geltung dieser Vorschrift einen der dort in Abs. 2 aufgeführten Nachweise zu verlangen, in § 106 Satz 1 GewO. Hiernach kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. In diesem Rahmen konnte der Arbeitgeber die in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG aF gesetzlich vorgesehene berufliche Tätigkeitsanforderung für die Dauer ihrer Geltung im Wege des Weisungsrechts auch zur Voraussetzung für eine weitere Beschäftigung der unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer machen.
25bb) Diese in § 106 Satz 1 GewO iVm. § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG aF gründende Befugnis des Arbeitgebers wird durch die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes für Bestandskräfte nicht ausgeschlossen (iE ebenso Sangs/Eibenstein/Sangs IfSG § 20a Rn. 76; Bonitz/Schleiff NZA 2022, 233, 238; Christ/Jeck DStR 2022, 944, 947; Peisker/Bleckmann, BB 2022, 635, 638; Thüsing/Bleckmann/Rombey COVuR 2021, 66, 70; Singer FS Henssler 2023 S. 613, 624; Sangs NVwZ 2021, 1481, 1485; nur bei bestimmten Personengruppen Fischinger SR 2022, 37, 42; aA Harländer/Otte NZA 2022, 160, 163; Chama/Noll MDR 2022, 406, 407; Stach NZA 2023, 83, 85; wohl auch Gerhardt 6. Aufl. IfSG § 20a Rn. 49).
26(1) Dem Wortlaut von § 20a IfSG aF lässt sich nicht entnehmen, dass eine Umsetzung der dort geregelten Tätigkeitsvoraussetzung auf privatrechtlicher Ebene durch den Arbeitgeber unzulässig sein sollte. § 20a Abs. 2 Satz 2 IfSG aF verpflichtete den Arbeitgeber, das zuständige Gesundheitsamt zu unterrichten, wenn Bestandskräfte bis zum Ablauf des den gesetzlich vorgesehenen Immunitätsnachweis nicht vorlegten. Diese Regelung befasste sich insoweit - wie auch § 20a Abs. 3 Satz 2 IfSG aF - nur mit den (Informations-)Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Gesundheitsamt (so auch Bonitz/Schleiff NZA 2022, 233, 237), ohne Anhaltspunkte dafür, dass damit eine abschließende Regelung getroffen sein sollte. § 20a Abs. 5 IfSG aF regelte das weitere Vorgehen des Gesundheitsamts, darunter seine Befugnis, Personen, die trotz Anforderung keinen Immunitätsnachweis vorlegten, das Betreten der im Gesetz genannten Einrichtungen oder eine Tätigkeit in diesen zu untersagen. Die Regelungen in § 20a IfSG aF bezogen sich insgesamt auf die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, Befugnisse und verfahrensrechtlichen Vorgaben. Eine ausdrückliche Pflicht zur Weiterbeschäftigung von Bestandskräften ohne Immunitätsnachweis oder ein Verbot arbeitsrechtlicher Maßnahmen gegenüber diesen statuierte das Gesetz nicht.
27(2) Auch in der Gesetzesbegründung finden sich keine konkreten Aussagen zu den Auswirkungen des Fehlens der beruflichen Tätigkeitsvoraussetzung nach § 20a IfSG aF auf die arbeitsrechtlichen Vertragsbeziehungen. Weitere denkbare „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ werden dort hinsichtlich der Bestandskräfte lediglich mit Bezug zu einem vom Gesundheitsamt angeordneten Betretungs- oder Tätigkeitsverbot angesprochen (BT-Drs. 20/188 S. 42). Den Fall, dass ein solches nicht oder zunächst (noch) nicht ausgesprochen wird, behandelt die Gesetzesbegründung nicht.
28(3) Nicht maßgeblich für die Interpretation von § 20a IfSG aF und in der Sache unzutreffend ist die Handreichung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten vom , in der ausgeführt wird, ein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung sei nicht begründet (S. 21 - zuletzt abgerufen am unter https://www.bsn-ev.de/site/assets/files/63723/faqs_zu_20a_ifsg-1_2022-02-22.pdf [der Link führt auf die Seite des Behinderten Sportverbands Niedersachsen, auf der Internetseite des BMG findet sich die Handreichung nicht mehr]). Das BMG ist als Teil der Exekutive nicht zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen berechtigt (vgl. auch Chama/Noll MDR 2022, 406, die aber dennoch eine Berechtigung zur Freistellung ablehnen).
29(4) Der aus der Gesetzesbegründung hinreichend deutlich erkennbare Zweck der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht nach § 20a IfSG aF spricht klar dafür, dass Arbeitgeber nach § 106 Satz 1 GewO die Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin in einer Einrichtung wie dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus vom Vorliegen der in § 20a Abs. 2 IfSG aF geregelten Tätigkeitsvoraussetzung abhängig machen konnten. Die gesetzliche Regelung sollte dem Schutz der sog. vulnerablen Personengruppen dienen, bei denen aufgrund ihres Gesundheitszustands und/oder Alters ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID-19-Krankheitsverlauf besteht, die zudem häufig weniger gut auf die Impfung ansprechen bzw. bei denen sonstige Schutzmaßnahmen weniger gut umgesetzt werden können (vgl. BT-Drs. 20/188 S. 1 ff., 37 f.). Mit der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht wurde eine Erhöhung der Impfquote der Beschäftigten in den in § 20a IfSG aF aufgeführten Einrichtungen angestrebt (vgl. BT-Drs. 20/188 S. 4, 37). Betretungs- und Tätigkeitsverbote sollten vulnerable Personen darüber hinaus auch dann schützen, wenn sich die von der Nachweispflicht Betroffenen gegen eine Impfung entschieden und gleichwohl ihre Tätigkeit fortsetzen wollten; zugleich sollten die Verbote Zwecken des öffentlichen Gesundheitsschutzes dienen (BT-Drs. 20/188 S. 42).
30(5) Ausgehend hiervon können § 20a Abs. 2, 3 und 5 IfSG aF auch im Zusammenhang nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Arbeitgeber bis zu einer Entscheidung des Gesundheitsamts zu einer Weiterbeschäftigung von Bestandskräften verpflichtet gewesen wären, die keinen Immunitätsnachweis vorgelegt hatten. Die unterbliebene Anordnung eines unmittelbaren gesetzlichen Betretungs- und Tätigkeitsverbots auch für Bestandskräfte verfolgte im Rahmen des gesetzlichen Gesamtkontextes ersichtlich einen anderen Zweck. Der Gesetzgeber sah bei diesem Personenkreis ein Bedürfnis für eine - gebundene - Ermessensentscheidung, bei der dem Gesundheitsamt jedoch - vorbehaltlich besonders gelagerter Einzelfälle - kein relevanter Spielraum verblieb. Der § 20a Abs. 5 IfSG aF zugrundeliegende Regelungszweck, vulnerable Personen zu schützen, legte vielmehr den Erlass einer Anordnung nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF im Regelfall nahe (vgl. - Rn. 85, BVerfGE 161, 299). Bestandskräften sollte nicht ein dem Gesetzeszweck zuwiderlaufender Beschäftigungsanspruch aufrechterhalten bleiben, sondern es sollte allein die Berücksichtigung besonders gelagerter Einzelfälle möglich bleiben. Dabei sollte insbesondere der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens Rechnung getragen werden.
31(6) Dieser Regelungszweck erforderte es, auch dem Arbeitgeber eine Ermessensentscheidung zu ermöglichen (vgl. auch - Rn. 245, BVerfGE 161, 299, wonach „insbesondere“ die Gesundheitsämter entsprechend befugt waren). Die Gesundheitsämter arbeiteten „am Rand der Belastbarkeit bzw. deutlich darüber hinaus“ und waren ersichtlich zur Anordnung eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbot zeitnah nach Eingang der Arbeitgebermeldungen nicht in der Lage (vgl. die Stellungnahme Deutscher Landkreistag (S. 2) und die Stellungname Deutscher Städtetag (S. 3) im Rahmen der öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Impfprävention gegen COVID-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, beide zuletzt abgerufen am unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/hauptausschuss/anhoerungen/870414-870414). Ein bloßes Abstellen auf das Tätigwerden der Gesundheitsämter hätte demzufolge zu einem weitgehenden Leerlaufen der Regelung in § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF führen können, einer Vorschrift, die mit dem erstrebten Schutz von Gesundheit und Leben der besonders gefährdeten, vulnerablen Personen überragend wichtigen Rechtsgütern diente ( - Rn. 256, BVerfGE 161, 299). Darüber hinaus kommt es für die Beurteilung, ob ein besonders gelagerter Einzelfall vorliegt und ob eine Beschäftigung nicht geimpfter Mitarbeiter für die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit einer bestimmten Einrichtung erforderlich ist, aufgrund seiner Sachnähe und Kenntnis der persönlichen und betrieblichen Gegebenheiten ohnehin primär auf die Einschätzung des Arbeitgebers an.
32c) Hiervon ausgehend hat die Beklagte - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - mit dem Schreiben vom die von der Klägerin geschuldete Arbeitsleistung wirksam dahingehend konkretisiert, dass sie die in § 20a Abs. 1 IfSG aF geregelte Tätigkeitsvoraussetzung für das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin für die Zeit ab dem bis zum Ablauf der gesetzlichen Regelung verbindlich verlangte.
33aa) Die streitgegenständliche Konkretisierung der Arbeitsleistung war trotz des dadurch mittelbar auf eine Impfentscheidung gerichteten Entscheidungs- und Handlungsdrucks zulässiger Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Weisung. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung ist zwar grundsätzlich dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen, in den durch das Weisungsrecht in der Regel nicht eingegriffen werden darf ( - Rn. 24 mwN, BAGE 143, 62). Mit der von ihr vorgenommenen Konkretisierung der Arbeitspflicht hat die Beklagte jedoch diesen besonders geschützten Bereich nicht verletzt. Die in das Arbeitsverhältnis umgesetzte gesetzliche Tätigkeitsanforderung zielte in erster Linie darauf ab, dass sich die Klägerin für eine Impfung entscheidet, um ungehindert weiter arbeiten zu können (vgl. - Rn. 86, BVerfGE 161, 299). Da die Klägerin in einem Heil- und Pflegeberuf arbeitete, wusste sie, dass mit ihrer Tätigkeit eine besondere Verantwortung gegenüber den von ihr betreuten Personen bestand. Sie musste damit rechnen, dass zum Schutz der Patienten des Krankenhauses neue Tätigkeitsanforderungen geschaffen werden, was auch der Gesetzgeber im Rahmen der Regelungen zur einrichtungsbezogenen Nachweispflicht hervorgehoben hat (vgl. BT-Drs. 20/188 S. 2; - Rn. 265, aaO).
34bb) Der gesetzliche Anknüpfungspunkt, § 20a IfSG aF, unterlag keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (sh. im Einzelnen - BVerfGE 161, 299). Die in § 20a IfSG aF geregelte einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht griff zwar in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte körperliche Unversehrtheit ein. Der Eingriff war jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt (vgl. - Rn. 109 ff., aaO). Die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG war nicht verletzt (vgl. - Rn. 243 ff., aaO).
35cc) Die von der Beklagten gestellte Anforderung an eine pflegerische Tätigkeit genügt dem Erfordernis billigen Ermessens gemäß § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB.
36(1) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen trägt der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte (st. Rspr. - Rn. 38 f.; - 5 AZR 28/22 - Rn. 27, BAGE 178, 150; - 9 AZR 343/20 - Rn. 68).
37(2) Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, wobei es nicht auf die vom Arbeitgeber angestellten Erwägungen, sondern darauf ankommt, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. In diesem Zusammenhang hat das Landesarbeitsgericht in Verkennung von Inhalt und Reichweite des § 20a IfSG aF angenommen, für „eine über das Gesetz hinausgehende eigene Entscheidung“ der Beklagten hätten über § 20a IfSG aF hinausgehende „besondere Umstände in der Einrichtung der Beklagten“ dies erfordern oder zumindest rechtfertigen müssen. Aus der vom Landesarbeitsgericht zur Stützung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts zu einer (wirksamen) Wartezeitkündigung einer nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften Medizinischen Fachangestellten ( -) lässt sich dies indes nicht herleiten.
38(3) Trotz des den Tatsacheninstanzen bei der Ausübungskontrolle zustehenden, vom Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums (vgl. - Rn. 39), kann der Senat über die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Konkretisierung der Arbeitsleistung selbst entscheiden. Denn vorliegend ergibt sich die Wahrung billigen Ermessens ausnahmsweise schon daraus, dass die Beklagte sich im Rahmen des gesetzlich Vorgesehenen bewegt und lediglich den vom Gesetzgeber mit § 20a IfSG aF primär bezweckten Schutz besonders vulnerabler Personen während der Corona-Pandemie verwirklicht hat. Dabei durfte sie davon ausgehen, dass der Gesetzgeber bei seiner Normsetzung die Interessen der betroffenen Beschäftigten ausreichend abgewogen hat. Besondere Umstände, die dem vom Gesetzgeber unterstellten Regelfall der Nichtbeschäftigung entgegenstünden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
39d) Schließlich war vorliegend kein Fall gegeben, in dem die Nichtannahme der Arbeit ausschließlich auf dem Willen des Arbeitgebers beruhte, so dass er gemäß § 615 Satz 1 BGB zur Fortzahlung des Entgelts verpflichtet bliebe (anders im Verfahren - BAGE 178, 293). Die über die - widerrufliche - Freistellung erfolgte Konkretisierung der geschuldeten Arbeitsleistung (§ 106 Satz 1 GewO) entsprach dem aus der Gesetzesbegründung klar ersichtlichen primären Sinn und Zweck des § 20a IfSG aF. Die Beklagte hat eine vom Gesetz geleitete Ermessensentscheidung getroffen. Der Klägerin fehlte in der Folge eine von der Beklagten in Übereinstimmung mit dem Gesetz verlangte Tätigkeitsvoraussetzung. Ursache hierfür war ihre persönliche und freie Entscheidung, sich nicht gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Insoweit war sie sowohl leistungsunfähig wie auch leistungsunwillig iSd. § 297 BGB.
40III. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:190624.U.5AZR249.23.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-74826