Instanzenzug: Az: I-34 U 18/21vorgehend LG Bielefeld Az: 6 O 410/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2 (künftig: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2017 von der Beklagten zu 1 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A7 Sportback 3.0 TDI. In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Bezeichnung EA 897 eingebaut (Schadstoffklasse Euro 6 plus). Am - vor Einreichung der Klage - verkaufte der Kläger das Fahrzeug nach einem Motorschaden zu einem Preis von 12.000 €.
2Der Kläger hat von der Beklagten zuletzt in der Hauptsache die Feststellung einer Schadensersatzpflicht wegen aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultierender Schäden begehrt (Berufungsantrag zu 2), hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 2 unzulässig sei, die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer durch richterliches Ermessen festzusetzenden Nutzungsentschädigung (berechnet auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km) und abzüglich eines von der Beklagten noch darzulegenden "Wertersatzes statt der Rückgabe des Fahrzeugs" nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 3a) verlangt, und ebenso hilfsweise die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz wegen weiterer Schäden, welche aus dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen resultieren (Berufungsantrag zu 3b). Schließlich hat der Kläger die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 5) verlangt. Das Landgericht hat die den Weiterverkauf des Fahrzeugs zunächst nicht berücksichtigende Klage durch Versäumnisurteil abgewiesen und das Versäumnisurteil nach Einspruch aufrechterhalten. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 2, 3a, 3b und 5 weiter. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Beklagte zu 1 (Berufungsanträge zu 1 und 4) hat der Kläger zurückgenommen.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3a und zu 5 Erfolg. Hinsichtlich der Berufungsanträge zu 2 und zu 3b war die Revision zurückzuweisen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Feststellungsklagen als unzulässig verworfen werden.
A.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Die Klage erweise sich insgesamt als unbegründet. Im Hinblick auf den Feststellungsantrag zu 2 und den Hilfsfeststellungsantrag zu 3b fehle es überdies am notwendigen Feststellungsinteresse, nachdem der Kläger das Fahrzeug am veräußert habe. Einer weitergehenden Vertiefung dessen bedürfe es aber nicht. Denn es handele sich bei dem Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO nicht um eine echte Sachurteilsvoraussetzung. Sei die Klage in der Sache abweisungsreif, erfolge auch bei fehlendem Feststellungsinteresse die Abweisung der Klage als unbegründet. Dem Kläger stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Es mangele sowohl an der Anspruchsvoraussetzung der Sittenwidrigkeit als auch an notwendigen Feststellungen zum Schädigungsvorsatz. Ein Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Mangels Anspruchs erwiesen sich auch die Hilfsanträge als unbegründet.
B.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
I.
7Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht hinsichtlich des Feststellungshauptantrags das Feststellungsinteresse verneint. Soweit der Kläger den Differenzschaden geltend macht, ist wegen des Vorrangs der Leistungsklage mangels Feststellungsinteresses des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) die Feststellungsklage unzulässig, weil er den Differenzschaden beziffern kann (vgl. VIa ZR 1083/22, WM 2024, 278 Rn. 16). Dies gilt auch, wenn der Kläger über § 826 BGB weiter den "großen" Schadensersatz geltend macht. Mit der Veräußerung des Fahrzeugs vor Einreichung der Klage ist die Schadensentwicklung abgeschlossen und können ihm keine weiteren Schäden entstehen. Die schlichte Behauptung möglicher Steuerschäden ist ohne Substanz und "ins Blaue hinein" erfolgt (vgl. , juris Rn. 16; , juris Rn. 12).
II.
8Mithin ist wegen Eintritts der innerprozessualen Bedingung über die Hilfsanträge zu entscheiden, wobei der Feststellungshilfsantrag zu 3b aus den nämlichen Gründen wie der Feststellungshauptantrag unzulässig ist. Doch hat die Revision mit dem Leistungshilfsantrag zu 3a und dem Freistellungshauptantrag zu 5 Erfolg.
91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
C.
12Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070824UVIAZR277.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-74771