1. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags ist auch ohne die unter dem Blickwinkel der Belastungsklarheit verfassungsrechtlich gebotene Regelung einer zeitlichen Obergrenze jedenfalls nach mehr als 30 Jahren nach Eintritt der Vorteilslage in analoger Anwendung von § 53 VwVfG NRW i. V. m. dem Grundsatz von Treu und Glauben unzulässig.
2. Ein Verständnis des Begriffs der Vorteilslage, nach dem diese in jedem Fall erst dann eintritt, wenn die Erschließungsanlage dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht, wird dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht gerecht.
3. Der Eintritt der Vorteilslage ist für das Erschließungsbeitragsrecht dann anzunehmen, wenn eine dem Grundsatz nach beitragsfähige Erschließungsanlage - für den Beitragspflichtigen erkennbar - den an sie im jeweiligen Fall zu stellenden technischen Anforderungen entspricht. Es ist unter dem Blickwinkel der Erkennbarkeit ausreichend, wenn die unmittelbar in der Erschließungsbeitragssatzung definierten Herstellungsmerkmale erfüllt sind, eine zweckentsprechende Anlagennutzung möglich ist, die Anlage aus Sicht eines objektiven Betrachters endgültig fertiggestellt erscheint und ein solcher nur durch das Studium des unveröffentlichten Bauprogramms von der mangelnden Umsetzung Kenntnis erlangen könnte.
4. Die 30jährige Höchstfrist für die Beitragserhebung seit Eintritt der Vorteilslage wird durch den Erlass eines Vorausleistungsbescheides nicht unterbrochen.
5. Wenn eine sachliche Beitragspflicht - wie etwa nach Ablauf der 30jährigen Höchstfrist - endgültig nicht mehr entstehen kann, entfällt mit Blick auf die gesetzliche Zweckbestimmung einer Vorausleistung deren Rechtfertigungsgrund. Denn die Abhängigkeit der Vorausleistung von der späteren Beitragspflicht bewirkt, dass unbeschadet des § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Vorausleistung das rechtliche Schicksal des endgültigen Erschließungsbeitrags insofern teilt, als auch ihre Rechtsgrundlage entfällt, sobald feststeht, dass eine Beitragspflicht endgültig nicht entstehen kann.
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OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 08.06.2021 - 15 A 299/20
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