BGH Beschluss v. - 1 StR 162/24

Instanzenzug: LG Ravensburg Az: 1 Ks 52 Js 20884/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet bei einem Vorwegvollzug der Strafe im Umfang von einem Jahr und zehn Monaten. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde bei dem Angeklagten eine schwerstgradige körperliche Alkoholabhängigkeit im Ausmaß einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB diagnostiziert. Hierin begründete Funktionsbeeinträchtigungen wies der Angeklagte, der den Tatort mit seinem Fahrzeug verließ, im Tatzeitraum nicht auf; jedoch ergab eine Rückrechnung der ca. dreieinhalb Stunden nach Tatbegehung gemessenen Blutalkoholkonzentration eine tatzeitbezogene Alkoholisierung im Extrembereich von 4,57 Promille. Der Angeklagte befand sich in einem (annähernd) „mittleren“ Rauschzustand mit u.a. Stimmungsschwankungen, gesteigerter Impulsivität und einer Absenkung des Hemmungsvermögens gegenüber dem für ihn „völlig untypischen“ Tatgeschehen (UA S. 30). Seine Steuerungsfähigkeit war erheblich vermindert. Soweit die Persönlichkeit des Angeklagten daneben einzelgängerische und zurückgenommene Züge aufweist, ist der Grad einer Persönlichkeitsstörung nicht erreicht.

3Das sachverständig beratene Landgericht hat teils entgegen den Einschätzungen des psychiatrischen Sachverständigen die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht. Die nur mit einer alkoholbedingten Enthemmung des Angeklagten erklärbare Tat stehe in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Hang des – alkoholkonsumbedingt – zuletzt nicht mehr arbeitsfähigen Angeklagten. Insoweit bärgen erneute massive Intoxikationszustände die Gefahr zukünftiger weiterer Externalisierung seiner Verzweiflung und subjektiv empfundenen Abwertung.

42. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat lediglich zum Maßregelausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht tragfähig dargelegt.

5a) Entgegen den Ausführungen des Sachverständigen ist das Landgericht der Auffassung, ungeachtet „der unoffenen und damit therapiekritischen Persönlichkeitsstruktur“ (UA S. 40) des Angeklagten bestehe angesichts der bei den Schlussvorträgen sowie mit seinem letzten Wort geäußerten Zustimmung zu einer Alkoholentwöhnungstherapie eine „hinreichend konkrete Erfolgsaussicht“ (aaO) im Sinne des § 64 Satz 2 StGB. Zwar ist ein Gericht nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann; insbesondere kann ihm das erstattete Gutachten die erforderliche Sachkunde verschafft haben, um die zu klärende Beweisfrage eigenständig und auch im Gegensatz zum Sachverständigen zu beantworten. Will es aber eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen musste, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt, ob es das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (st. Rspr.; vgl. Rn. 22; vom – 1 StR 287/15 Rn. 17 und Beschluss vom – 1 StR 199/23 Rn. 5; jeweils mwN).

6b) Eine solche lässt das Urteil vermissen. Der Sachverständige hat eine Erfolgsaussicht gemäß § 64 Satz 2 StGB verneint, weil er keinen Ansatz für einen therapeutischen Zugang zum Angeklagten erkennen konnte. Dem stünden sowohl dessen geringe Sprachkenntnisse – während des knapp 19-jährigen Aufenthalts in Deutschland habe er die deutsche Sprache „selbst für den Allgemeingebrauch nicht erlernt“ (UA S. 11) – als auch die Weigerung entgegen, sich zu öffnen und u.a. seine Persönlichkeit preiszugeben. Deshalb könne er (der Sachverständige) sich einen erfolgreichen Therapieverlauf „nicht vorstellen“ (UA S. 39). Es komme hinzu, dass der Angeklagte keine Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit seiner langjährig verheimlichten Abhängigkeitserkrankung erkennen lasse.

7Demgegenüber hat das Landgericht dem bloßen Nicken des – sich durch Schweigen verteidigenden – Angeklagten während des Verteidigerplädoyers betreffend § 64 StGB sowie seinem persönlich geäußerten Wunsch nach einer Teilnahme an einer Therapiemaßnahme einen „echten und ernsthaften Therapie- und damit Veränderungswunsch“ entnommen als Beleg für eine Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB (UA S. 40). Dies begegnet schon für sich genommen Bedenken. Denn eine Therapiebereitschaft allein – mag diese auch ein wesentlicher prognosegünstiger Umstand sein – genügt für die Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht jedenfalls dann nicht, wenn zugleich prognoseungünstige Umstände von Gewicht festzustellen sind. Vielmehr sind diese abzuhandeln und in eine umfassende Gesamtwürdigung einzustellen ( Rn. 18 mwN), an der es hier fehlt. Vor allem aber lassen die Urteilsgründe jegliche Auseinandersetzung mit der verschlossenen und zurückgenommenen Persönlichkeit des Angeklagten vermissen, die ihn jedenfalls im Zusammenwirken mit seinen schon für die Alltagsbewältigung kaum ausreichenden Sprachkenntnissen (vgl. insoweit Rn. 16) aus sachverständiger Sicht als für eine Therapie nicht erreichbar erscheinen lassen.

8c) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob daneben die Annahme einer „hinreichend konkreten Erfolgsaussicht“ (UA S. 40) durch das Landgericht einen insgesamt unzutreffenden Maßstab für die Prüfung des § 64 Satz 2 StGB besorgen lässt (vgl. Rn. 5 mwN).

9d) Der Rechtsfehler in der tatrichterlichen Prognose über den Therapieerfolg bedingt die Aufhebung des Maßregelausspruchs. Dies erfasst die zugrundeliegenden Feststellungen, weil der aufgezeigte Mangel auch die tatsächlichen Grundlagen der Prognose betrifft.

10e) Der Aufhebung unterliegt zugleich die mit der Maßregel untrennbar zusammenhängende – für sich genommen rechtsfehlerfreie – Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 StGB.

11f) Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB aufgrund einer neuen tatrichterlichen Verhandlung noch ergeben werden. Die Sache ist daher insoweit zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Jäger                         Wimmer                        Leplow

             Munk                      Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:270624B1STR162.24.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-73785