BGH Beschluss v. - I ZR 152/23

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: OLG Zweibrücken Az: 4 U 27/23vorgehend LG Kaiserslautern Az: HK O 33/21

Gründe

1I. Die Parteien sind Energielieferanten und Wettbewerber bei der Versorgung von Endverbrauchern. Die Beklagte warb in Briefen an Kunden der Klägerin unter anderem damit, diese könnten "mit E. -Optimum Strom … bis zu 151,27 € jährlich sparen".

2Das Landgericht hat die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

zu Wettbewerbszwecken gegenüber Kunden, die von der Klägerin mit Strom beliefert werden, blickfangmäßig mit einer maximalen Ersparnis zu werben, die aus dem Vergleich eines eigenen Sondervertragsangebots mit dem Grundversorgungstarif der Klägerin hergeleitet wird, ohne dass im Blickfang mitenthalten ist ein Hinweis darauf, auf welchen durchschnittlichen Verbrauch und welche Haushaltsgröße die beworbene Ersparnis bezogen ist, ein Hinweis darauf, mit welchem Vertragsangebot der eigene Sondervertragspreis verglichen wird, ein Hinweis auf die wesentlichen vertraglichen Konditionen der verglichenen Angebote wie Preis und Mindestvertragslaufzeit sowie ein Hinweis auf gegebenenfalls günstigere Vertragsangebote der Klägerin, insbesondere, wenn dies wie folgt geschieht …

3Das Landgericht hat die Beklagte außerdem zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verurteilt. Es hat den Streitwert auf 15.000 € festgesetzt und dafür auf ein vorangegangenes, zwei weitere Anträge umfassendes Verfahren der einstweiligen Verfügung verwiesen, für das der Streitwert auf insgesamt 40.000 € festgesetzt worden war.

4Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage wegen nicht hinreichend bestimmter Anträge als unzulässig abgewiesen und den Streitwert ebenfalls auf 15.000 € festgesetzt. Eine Anhörungsrüge der Klägerin hat das Berufungsgericht zurückgewiesen.

5Das Landgericht hat auf die nachfolgende Streitwertbeschwerde der Klägerin den Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren mit Beschluss vom auf 40.000 € festgesetzt.

6II. Im Berufungsurteil hat das Berufungsgericht gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO von der Darstellung eines Tatbestands abgesehen und angenommen, weder die Hauptanträge noch die Hilfsanträge der Klägerin in der Berufungsinstanz genügten dem Bestimmtheitserfordernis. Das in allen Antragsvarianten enthaltene Unterlassungsbegehren, es bedürfe eines Hinweises auf "die wesentlichen vertraglichen Konditionen der verglichenen Angebote", werde allein durch die Beispielsangaben Preis und Mindestvertragslaufzeit nicht genügend konkretisiert, zumal die Klägerin ferner die Angabe der "Haushaltsgröße" als eine solch zwingend notwendige Angabe erachte.

7III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

81. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Beschwer der Klägerin beträgt 30.000 €.

9a) Der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer, über den das Revisionsgericht ohne Bindung an eine - möglicherweise fehlerhafte - Streitwertfestsetzung durch das Berufungsgericht selbst zu befinden hat (, MMR 2021, 812 [juris Rn. 5] mwN), bemisst sich nach dem Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung der Berufungsentscheidung. Für die Bewertung sind der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz und die bis dahin vorgebrachten Anknüpfungstatsachen maßgeblich. Einer Partei, die weder die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen beanstandet noch sonst glaubhaft gemacht hat, dass für die Festlegung des Streitwerts maßgebliche Umstände, die bereits dort vorgebracht worden sind, nicht hinreichend berücksichtigt worden sind, ist es nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung regelmäßig versagt, sich erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Wert zu berufen (vgl. BGH, MMR 2021, 812 [juris Rn. 5] mwN).

10b) Nach diesen Grundsätzen hat die Beschwerde eine über 20.000 € liegende Beschwer der Klägerin glaubhaft gemacht.

11aa) Die Klägerin hat den Streitwert in ihrer Klageschrift mit vorläufig 40.000 € angegeben. Gegen den erstinstanzlich festgesetzten Streitwert von 15.000 € hat sie bereits in ihrer Berufungserwiderung vorgebracht, das Landgericht habe sich bei seiner Festsetzung fehlerhaft am Verfahren der einstweiligen Verfügung orientiert; dessen Streitwert sei regelmäßig ein Drittel niedriger als das Hauptsacheverfahren. Der Gegenstandswert müsse sich nach dem Interesse der Klägerin richten, das durch den Umfang der Tätigkeit der Parteien bestimmt werde. Je größer die beiderseitigen Versorgungsgebiete seien, desto stärker wirkten sich wettbewerbswidrige Verhaltensweisen aus. Die Klägerin sei nicht nur in weiten Teilen der Pfalz und teilweise auch im Saarland Grund- und Ersatzversorgerin für Strom, sondern vermarkte unter ihrer Marke "  " auch deutschlandweit Strom und Gas. Die Beklagte, deren Marktposition noch deutlich stärker sei, vertreibe ihre Energielieferungsverträge ebenfalls deutschlandweit. Unter diesem Gesichtspunkt erscheine im Hauptsacheverfahren ein Gegenstandswert von jedenfalls 30.000 € angemessen.

12bb) Die Klägerin hat mithin schon zu Beginn des Berufungsverfahrens nicht nur den vom Landgericht festgesetzten Streitwert beanstandet, sondern auch substantiiert dargelegt, wie hoch der Streitwert tatsächlich zu bemessen sei. Ihr Interesse an der begehrten Unterlassung und damit auch an der Abänderung der Berufungsentscheidung ist unter Berücksichtigung des Streitwerts des Verfahrens der einstweiligen Verfügung sowie der deutschlandweiten Versorgungsgebiete der Parteien, wie von ihr geltend gemacht, mit 30.000 € zu bewerten.

132. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

14a) Die Garantie rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht braucht dabei zwar nicht jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden; geht es aber auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfG, NJW-RR 2018, 694 [juris Rn. 18]; NVwZ 2019, 1276 [juris Rn. 17] mwN).

15b) Nach diesen Maßstäben verletzt die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Klägerin aus Art. 103 Abs. 1 GG.

16aa) Das Berufungsgericht hat von der Darstellung eines Tatbestands und einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil unter Verweis auf § 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO abgesehen. Das Fehlen eigener tatbestandlicher Feststellungen sowie das Unterlassen einer Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Feststellungen erfüllen für sich allein zwar noch keinen Revisionszulassungsgrund. Sie führen aber dazu, dass der Beschwerdevortrag, soweit er anhand des Urteils nicht überprüft werden kann, als richtig zu unterstellen ist. Insoweit ist gemäß § 559 Abs. 1 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO allein von den Angaben in der Beschwerdebegründung auszugehen (vgl. , NJW 2003, 3208 [juris Rn. 4]; Beschluss vom - IV ZR 224/18, juris Rn. 14 mwN; Beschluss vom - VIII ZR 15/24, juris Rn. 17).

17bb) Die Beschwerde macht geltend, die wesentlichen vertraglichen Konditionen eines Energielieferungsvertrags würden durch den Preis und die Mindestvertragslaufzeit als wesentliche Vertragsbestandteile der Tarifgestaltung bestimmt. Dies habe die Klägerin bereits erstinstanzlich ausgeführt. In der Berufungserwiderung habe sie darauf hingewiesen, das Wort "wie" sei im Klageantrag als Konkretisierung verwendet worden und nicht als Beispiel. Überdies habe sie im zweiten Hilfsantrag das Wort "wie" durch das Wort "nämlich" ersetzt. Die Beklagte habe schriftsätzlich eingeräumt, dass dieser neue Antrag hinreichend bestimmt sei.

18cc) Mit diesem Vortrag hat sich das Berufungsgericht in gehörsrechtswidriger Weise nicht befasst.

19Da es an eigenen tatbestandlichen Feststellungen fehlt und das Berufungsgericht auch nicht auf die erstinstanzlichen Feststellungen Bezug genommen hat, ist der Beschwerdevortrag, soweit er anhand des Urteils nicht überprüft werden kann, als richtig zu unterstellen. Danach ist davon auszugehen, dass es sich bei dem von der Beschwerde als übergangen gerügten Vortrag um den wesentlichen Kern ihres Vorbringens gehandelt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass das Berufungsgericht sich mit diesem Vortrag auseinandergesetzt hat. Insbesondere ist das Berufungsgericht, ohne den hier zu unterstellenden Vortrag der Klägerin zu adressieren, davon ausgegangen, bei Preis und Mindestvertragslaufzeit handle es sich lediglich um Beispielsangaben für die "wesentlichen vertraglichen Konditionen".

20c) Diese Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags von einer hinreichenden Bestimmtheit ihrer Anträge ausgegangen wäre.

213. Ob die von der Beschwerde dargelegte weitere Gehörsrechtsverletzung entscheidungserheblich ist, kann danach offenbleiben.

22a) Die Beschwerde rügt, die Klägerin habe in ihrer Anhörungsrüge darauf hingewiesen, dass sie die Haushaltsgröße niemals als Beispiel einer wesentlichen vertraglichen Kondition genannt, sondern bereits in der Berufungserwiderung ausdrücklich nur als Hinweis darauf qualifiziert habe, auf welchen durchschnittlichen Verbrauch und welche Haushaltsgröße die erworbene Ersparnis bezogen sei. Diese Ausführungen habe das Berufungsgericht nicht berücksichtigt.

23b) Auch damit hat die Beschwerde eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG dargelegt. Weder aus dem angefochtenen Urteil noch aus der Entscheidung über die Anhörungsrüge ist ersichtlich, dass das Berufungsgericht den als übergangen gerügten Vortrag der Klägerin berücksichtigt hätte. Vielmehr stellt das Berufungsgericht sogar (auch) darauf ab, die Klägerin habe "die Angabe der 'Haushaltsgröße' als eine … zwingend notwendige Angabe erachtet".

24c) Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Ausführungen, die den hier zu unterstellenden Vortrag der Klägerin fehlerhaft erfassen, entscheidungserheblich sind, weil das Berufungsgericht sie nur ergänzend ("zumal") zur Begründung der von ihm angenommenen Unbestimmtheit der Anträge herangezogen hat.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110724BIZR152.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-73480