BGH Urteil v. - VIa ZR 910/22

Instanzenzug: Az: 21 U 3/22vorgehend LG Aachen Az: 1 O 51/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4 Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug verfügt über ein sogenanntes "Thermofenster". Es enthielt ursprünglich eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die später im Zuge eines Software-Updates entfernt wurde.

3Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen abzüglich einer weiter angefallenen Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Antrags begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB seien nicht gegeben. Auf der Grundlage des Vortrags des Klägers lasse sich weder eine objektive Sittenwidrigkeit noch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten feststellen. Es könne in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass es sich bei dem Thermofenster und der KSR um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Aus dem Vorbringen des Klägers ergebe sich jedoch kein greifbarer Anhaltspunkt dafür, dass die Einrichtungen prüfstandsbezogen arbeiteten oder sonstige Umstände vorlägen, die auf eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) im Typgenehmigungsverfahren schließen ließen. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und/oder Art. 18 der Richtlinie 2007/46/EG scheiterten bereits daran, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Normen falle.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger greifbare Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit der im Kaufzeitpunkt vorhandenen KSR und für eine arglistige Täuschung des KBA über deren Funktionsweise aufgezeigt habe, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den die Regelungen der Richtlinie 2007/46/EG umsetzenden Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Sollte das Berufungsgericht die ursprünglich implementierte KSR als unzulässige Abschalteinrichtung ansehen, wird es zu beachten haben, dass deren nachträgliche Beseitigung im Zuge des Software-Updates gegebenenfalls zu einer Aufwertung des Fahrzeugs geführt hat, die im Wege der Vorteilsausgleichung zu einer Minderung oder - sollten keine anderen Abschalteinrichtungen vorhanden sein - auch zum Wegfall des Differenzschadens des Klägers geführt haben kann (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80 mit Verweis auf , BGHZ 230, 224 Rn. 24).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:310724UVIAZR910.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-73039