BGH Urteil v. - VIa ZR 466/21

Instanzenzug: Az: 22 U 64/21vorgehend Az: 46 O 190/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 350 BlueTec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Am verkaufte der Kläger das Fahrzeug für 16.750 € weiter.

2Der Kläger hat ursprünglich die Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung zuzüglich Delikts- und Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger nach Veräußerung des Fahrzeugs und Rücknahme des Antrags auf Zahlung von Deliktszinsen zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 27.301,48 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des Weiterverkaufspreises) nebst Verzugszinsen und zur Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu verurteilen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

A.

4Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung war die Berufung zulässig, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu prüfen hat. Berufung und Berufungsbegründung wurden fristgerecht und wirksam über das - dem einfach signierenden Klägervertreter persönlich zugeordnete - besondere elektronische Anwaltspostfach eingereicht (§ 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO; vgl. , juris Rn. 5). Davon hat sich der Senat aufgrund des Authentizitäts- und Integritätsnachweises des überzeugt.

B.

5In der Sache ist die Beurteilung des Berufungsgerichts von Rechtsfehlern beeinflusst.

I.

6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet: Eine Haftung aus § 826 BGB scheitere daran, dass der Kläger keinen prozessual erheblichen Vortrag zu einer sittenwidrigen, manipulativen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug gehalten habe. Soweit zwischen den Parteien unstreitig sei, dass in das Fahrzeug ein sogenanntes Thermofenster verbaut sei, habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt, dass die Beklagte in Bezug auf den Einbau dieser Motorsteuerungssoftware sittenwidrig oder vorsätzlich gehandelt habe. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6, 27 EG-FGV, Art. 4, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 3 Nr. 9 VO (EG) Nr. 692/2008, weil es sich bei den Regelungen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:310724UVIAZR466.21.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-72926