BGH Beschluss v. - XIII ZB 44/23

Instanzenzug: Az: 9 T 432/22vorgehend Az: 890 XIV (B) 10/22

Gründe

1I. Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger. Mit Beschluss vom ordnete das Amtsgericht gegen ihn Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum an. Am hat der Rechtsbeschwerdeführer beim Amtsgericht angezeigt, dass er die Person des Vertrauens des Betroffenen sei, die Aufhebung der Sicherungshaft sowie die Feststellung beantragt, dass diese ab Eingang des Schreibens rechtswidrig sei, und erklärt, für den Fall der Haftentlassung des Betroffenen das Verfahren als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Dem Schreiben war eine vom Betroffenen unterzeichnete Vollmacht beigefügt, in welcher dieser zugleich den Rechtsbeschwerdeführer als seine Vertrauensperson benennt und erklärt, einen von seinem Verfahrensbevollmächtigten gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft zurückzunehmen. Das Amtsgericht hat den Haftaufhebungsantrag zurückgewiesen. Die dagegen am von der Vertrauensperson eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich diese mit der Rechtsbeschwerde.

2II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

31. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Beschwerde sei unzulässig. Die Hauptsache habe sich durch Zeitablauf der bis zum befristeten Haftanordnung erledigt; damit sei das Rechtsschutzbedürfnis entfallen. Einen wirksamen Feststellungsantrag gemäß § 62 Abs. 1 FamFG habe der Betroffene weder selbst noch über den Rechtsbeschwerdeführer gestellt. Die Beschwerde vom sei nicht im Namen des Betroffenen eingelegt und auf ein Feststellungsbegehren gerichtet; die zu den Akten gereichte Vollmacht umfasse nicht das Betreiben des gerichtlichen Verfahrens. Zudem widerspreche das Betreiben des Beschwerdeverfahrens mit dem Feststellungsantrag dem eindeutigen Willen des Betroffenen. Der Rechtsbeschwerdeführer selbst sei als Vertrauensperson nicht befugt, das Beschwerdeverfahren mit dem Feststellungsantrag weiterzuverfolgen, da der Betroffene ausweislich der Vollmacht die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung nicht habe festgestellt wissen wollen.

42. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5a) Der Rechtsbeschwerdeführer hat mit seinem Antrag vom - was nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig ist (vgl. , juris Rn. 9 bis 11 mwN) - als Person des Vertrauens nach § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG aus eigenem Recht im Interesse des Betroffenen einen Haftaufhebungsantrag gemäß § 426 Abs. 2 FamFG gestellt. Nachdem das Amtsgericht diesen Antrag zurückgewiesen hatte, war die Vertrauensperson gemäß § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG berechtigt, Beschwerde einzulegen (vgl. , InfAuslR 2024, 39 Rn. 8).

6b) Dem Antrag des Rechtsbeschwerdeführers fehlte im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung - für die Zeit ab Eingang des Haftaufhebungsantrags - auch nicht wegen Hauptsacheerledigung das Rechtsschutzinteresse. Er hatte mit seinem Haftaufhebungsantrag zugleich erklärt, das Verfahren für den Fall der Haftentlassung des Betroffenen als Feststellungsverfahren fortsetzen zu wollen. Das mussten Amtsgericht und Landgericht berücksichtigen, da ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angeordneten Haft nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen dem Wortlaut des § 62 Abs. 1 FamFG nicht nur in einem Beschwerdeverfahren, sondern auch in einem Haftaufhebungsverfahren gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG vor dem Amtsgericht gestellt werden kann (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 3/15, InfAuslR 2016, 56 Rn. 8; vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 15; vom - XIII ZB 42/21, juris Rn. 17). Gegenstand der Feststellung ist die Rechtswidrigkeit der bei Verweigerung ihrer Aufhebung fortdauernden Haft. An dieser Feststellung besteht auch dann, wenn sie eine Vertrauensperson im Interesse des Betroffenen begehrt, ein nach § 62 FamFG gesetzlich anerkanntes Rechtsschutzinteresse (vgl. BGH, InfAuslR 2020, 387, juris Rn. 15; Beschluss vom - XIII ZB 42/21, juris Rn. 17).

7c) Das Betreiben des Beschwerdeverfahrens mit dem Feststellungsantrag durch die Vertrauensperson widersprach auch nicht dem Willen des Betroffenen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts lässt sich der dem Rechtsbeschwerdeführer erteilten Vollmacht, in welcher der Betroffene am Ende erklärt, einen von seinem Verfahrensbevollmächtigten gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft nehme er zurück, ein solcher entgegenstehender Wille nicht entnehmen. Diese Erklärung dient ersichtlich dem Zweck, eine doppelte Rechtshängigkeit des Feststellungsbegehrens - zum einen im vom Prozessbevollmächtigten betriebenen Beschwerdeverfahren, zum anderen im von der Vertrauensperson betriebenen (selbständigen) Haftaufhebungsverfahren - zu verhindern (vgl. zur Problematik der doppelten Rechtshängigkeit BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 93/20, juris Rn. 18; vom - XIII ZB 58/21, juris Rn. 11). Ein grundsätzlich fehlendes Interesse des Betroffenen an der Feststellung, dass der Haftvollzug ihn in seinen Rechten verletzt hat, oder gar der Wille, dies nicht gerichtlich feststellen zu lassen, ist seiner Erklärung nicht zu entnehmen.

83. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen hat, auf deren Grundlage sich die Rechtmäßigkeit der gegen den Betroffenen angeordneten Abschiebungshaft beurteilen ließe. Aus diesem Grund ist die Sache gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

94. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:090724BXIIIZB44.23.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-72599