Prozessvergleich - Anfechtung - Rücktritt
Leitsatz
Ein Prozessvergleich kann nur mit Erfolg nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB angefochten werden, wenn die arglistige Täuschung durch den Anfechtungsgegner für die Annahmeerklärung des Anfechtenden kausal geworden ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Anfechtende im Zeitpunkt der vermeintlichen Täuschung dem Vergleich bereits unwiderruflich zugestimmt hatte.
Gesetze: § 123 Abs 1 Alt 1 BGB, § 162 Abs 2 BGB, § 166 Abs 1 BGB, § 166 Abs 2 BGB, § 242 BGB, § 323 Abs 1 Alt 1 BGB, § 313 Abs 3 BGB, § 130 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO
Instanzenzug: ArbG Gera Az: 1 Ca 229/20 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 4 Sa 114/21 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten vorrangig darüber, ob der Rechtsstreit durch einen Prozessvergleich beendet ist.
2Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der N GmbH & Co. KG. Die Klägerin war bei dieser beschäftigt. Mit Schreiben vom kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum .
3Dagegen hat sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage gewandt. In der Güteverhandlung am , in der für die Arbeitgeberin nur deren Prozessbevollmächtigte anwesend war, ist zur Erledigung des Rechtsstreits ein Vergleich geschlossen worden. Danach bestand Einigkeit, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung beendet worden sei. Für den Verlust des Arbeitsplatzes sollte die Klägerin eine Abfindung iHv. 9.500,00 Euro brutto erhalten. Von der allein der Arbeitgeberin vorbehaltenen Widerrufsmöglichkeit bis zum machte diese keinen Gebrauch.
4Am beantragte die Arbeitgeberin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mit Schreiben vom forderte die Klägerin sie unter Vollstreckungsandrohung vergeblich zur Zahlung der Abfindung bis zum auf. Nachdem sie vom Insolvenzeröffnungsantrag erfahren hatte, erklärte die Klägerin mit einem am beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz die Anfechtung des Vergleichs wegen arglistiger Täuschung. Zugleich trat sie unter Bezugnahme auf § 313 BGB vom Vergleich zurück. Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schriftsatz vom nahm die Klägerin den Rechtsstreit auf.
5Die Klägerin hat gemeint, der Vergleich sei unwirksam. Der Arbeitgeberin sei bei dessen Abschluss bekannt gewesen, dass sie die Abfindung nicht werde zahlen können.
6Die Klägerin hat sinngemäß beantragt
7Die Vorinstanzen haben angenommen, der Rechtsstreit sei durch den Vergleich erledigt. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Gründe
8Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
9I. Das Berufungsurteil ist nicht deshalb aufzuheben, weil der Rechtsstreit aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen wäre. Die Klägerin hat ihn nach § 86 Abs. 1 Nr. 3 InsO wirksam gegen den nunmehr beklagten Insolvenzverwalter aufgenommen (vgl. - Rn. 27, BAGE 178, 120).
10II. Die Anträge der Klägerin sind zulässig.
111. Das Landesarbeitsgericht hat deren ersten Teil zutreffend nicht als eigenständigen Sachantrag verstanden. Ziel der Klägerin ist die Bescheidung ihrer Kündigungsschutzklage. Dafür ist als Vorfrage zu klären, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist (vgl. - Rn. 14, BAGE 153, 20; - 2 AZR 42/11 - Rn. 13).
122. Der Streit über die Beendigungswirkung des Vergleichs ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Anfechtung (vgl. - Rn. 14) als auch des Rücktritts (vgl. - Rn. 24 ff., BAGE 153, 20) im ursprünglichen Kündigungsrechtsstreit auszutragen.
13III. Der Rechtsstreit ist durch den Vergleich erledigt. Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
141. Die den Rechtsstreit beendende Wirkung des Vergleichs sollte nach dessen Ziff. 5 nicht erst mit der (vollständigen) Zahlung der in Ziff. 2 vereinbarten Abfindung eintreten, sondern schon mit seiner Bestandskraft.
152. Die Klägerin hat ihre zum Vergleichsschluss führende Willenserklärung nicht wirksam nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wegen einer arglistigen Täuschung angefochten. Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass die Arbeitgeberin bereits am (Güteverhandlung) oder doch am (Ablauf der Widerrufsfrist) wusste, dass sie die Abfindung nicht würde zahlen können. Gleichwohl lag nach Maßgabe von § 166 BGB keine der Arbeitgeberin zurechenbare, für die Annahmeerklärung der Klägerin kausale Täuschung durch Unterlassen vor.
16a) Es ist nicht festgestellt, dass die in der Güteverhandlung allein für die Arbeitgeberin anwesende Prozessbevollmächtigte um deren wirtschaftliche Lage gewusst hätte (§ 166 Abs. 1 BGB).
17b) Ein Fall von § 166 Abs. 2 BGB lag im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, die dafürsprechen könnten, die Arbeitgeberin habe ihre Anwältin im Rahmen der erteilten Prozessvollmacht zur Vornahme eines bestimmten Rechtsakts, nämlich hier zum Abschluss eines Abfindungsvergleichs, veranlasst (vgl. - zu II 2 b der Gründe, BGHZ 50, 364). Dafür genügt es nicht, dass die Arbeitgeberin sie in einem Kündigungsschutzverfahren mit der Wahrnehmung einer Güteverhandlung beauftragt hat, in der die Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG regelmäßig einen Abfindungsvergleich vorschlagen. Selbst wenn die Arbeitgeberin - was ebenfalls nicht festgestellt ist - um diese Vorgabe und Praxis gewusst haben sollte, hätte sie doch einen Vergleichsschluss bloß für möglich gehalten. Dies reicht nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung auch bei der gebotenen weiten Auslegung von § 166 Abs. 2 BGB nicht aus (Erman/Finkenauer BGB 17. Aufl. § 166 Rn. 38; MüKoBGB/Schubert 9. Aufl. § 166 Rn. 126; Staudinger/Schilken [2019] BGB § 166 Rn. 34).
18c) Zwar gelangt § 166 Abs. 2 BGB auch zur Anwendung, wenn der Vertretene (hier: die Arbeitgeberin) es unterlässt, den betreffenden Geschäftsabschluss durch den Bevollmächtigten (hier: die Anwältin der Arbeitgeberin) zu unterbinden, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Das könnte den Fall einschließen, dass der Geschäftsherr einen in seiner Abwesenheit für ihn widerruflich geschlossenen Vergleich nicht widerruft. Doch wäre eine Täuschung durch Unterlassen iSv. § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB zu dieser Zeit für die - ggf. anfechtbare - Annahmeerklärung der Klägerin nicht mehr kausal geworden. Diese hatte dem Vergleich bereits in der Güteverhandlung am „stehend“ zugestimmt, ohne dass seinerzeit eine der Arbeitgeberin zurechenbare Täuschung durch Unterlassen vorgelegen hätte.
193. Die Klägerin wäre selbst dann nicht nach § 162 Abs. 2 BGB so zu stellen, als habe die Arbeitgeberin den Widerruf des Vergleichs erklärt und damit die aufschiebende Bedingung von dessen Rechtswirkungen (vgl. - Rn. 13) nicht eintreten lassen, wenn diese spätestens am (Ablauf der Widerrufsfrist) um ihre (drohende) Zahlungsunfähigkeit gewusst haben sollte. Im Rahmen von § 162 Abs. 2 BGB geht es - anders als bei § 123 BGB - nicht darum, die Entschließungsfreiheit der anderen Partei zu sichern. Vielmehr ist insoweit allein maßgeblich, ob die betreffende Partei wider Treu und Glauben den Eintritt des zur Bedingung erhobenen Ereignisses herbeigeführt hat; die Vorschrift sanktioniert allein den regelwidrigen Eingriff in den Geschehensablauf (vgl. - zu II 2 b dd der Gründe). Ein solcher ist hier nicht erfolgt. In Ziff. 6 des Vergleichs ist inzident das freie Belieben der Arbeitgeberin zur Bedingung gemacht worden (sog. Wollensbedingung als besonders starke Form der Potestativbedingung; vgl. - zu II 2 c aa der Gründe), ohne dass sie durch Treuegesichtspunkte gegenüber der Klägerin in der Ausübung des Widerrufsrechts eingeschränkt sein sollte (vgl. BeckOGK/Reymann Stand BGB § 162 Rn. 10).
204. Der Rücktritt der Klägerin vom Vergleich ist nicht nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB wirksam. Das hätte als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung erfordert, dass die Abfindungsforderung im Rücktrittszeitpunkt noch durchsetzbar war (vgl. - Rn. 36; - 6 AZR 342/10 - Rn. 31). Dies war jedenfalls aufgrund des dolo-agit-Einwands aus § 242 BGB nicht der Fall. Die Klägerin wusste bei Erklärung des Rücktritts um den Insolvenzeröffnungsantrag. Hätte die Arbeitgeberin die Abfindung zu diesem Zeitpunkt gezahlt, wäre diese Rechtshandlung nach der Insolvenzeröffnung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO anfechtbar und die Klägerin zur Rückzahlung verpflichtet gewesen. Diese hat keine besonderen Umstände aufgezeigt, aufgrund derer nicht mit der - letztlich erfolgten - Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu rechnen war (vgl. - Rn. 25, BAGE 139, 376). Sie ist im Gegenteil von der Nichtdurchsetzbarkeit der Abfindungsforderung mit dem Insolvenzeröffnungsantrag ausgegangen. Nachdem sie Kenntnis vom Insolvenzeröffnungsantrag erlangt hatte, hat sie von einer zuvor angedrohten Vollstreckung abgesehen und den Rücktritt vom Vergleich nicht auf § 323 BGB, sondern auf § 313 BGB gestützt.
215. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe nicht nach § 326 Abs. 5 oder § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB wirksam von dem Prozessvergleich zurücktreten können, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Pflicht der Arbeitgeberin zur Zahlung der Abfindung war nicht iSv. § 326 Abs. 5, § 275 BGB ausgeschlossen (vgl. - Rn. 39). Nach den Regelungen des Vergleichs hatte die gleichsam in Vorleistung gegangene Klägerin das Risiko einer Insolvenz der Arbeitgeberin zu tragen. Damit war schon tatbestandlich die Anwendung von § 313 BGB ausgeschlossen (vgl. - Rn. 36; - Rn. 49, BGHZ 232, 178; - XII ZR 125/18 - Rn. 37, BGHZ 223, 290).
22IV. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:200624.U.2AZR156.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 2036 Nr. 36
DB 2024 S. 2375 Nr. 38
NJW 2024 S. 2863 Nr. 39
NJW 2024 S. 2864 Nr. 39
KAAAJ-72370