BFH Beschluss v. - X B 79/23

Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge für Zeiträume nach dem

Leitsatz

1. NV: Die Höhe der Säumniszuschläge ist auch nach dem verfassungskonform (Festhalten am , BFHE 282, 195, BStBl II 2024, 215).

2. NV: Lediglich in einem summarischen Verfahren von einem anderen BFH-Senat geäußerte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit begründen keine Vorlagepflicht nach § 11 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung.

Gesetze: AO § 218 Abs. 1 Satz 1; AO § 240 Abs. 1 Satz 1; FGO § 11 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) zahlte die gegen sie festgesetzte Einkommensteuer für 2006 teilweise nicht, da sie zahlungsunfähig und überschuldet war. Auf Antrag der Klägerin stellte der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) mit Abrechnungsbescheid vom die für 2014 bis 2020 entstandenen Säumniszuschläge in Höhe von 3.698,50 € fest. Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA die Säumniszuschläge in Höhe eines Teilbetrags von 1.849,25 € und wies sodann den Einspruch zurück. Die Klage, mit der die Klägerin weiterhin geltend machte, die Höhe der Säumniszuschläge sei verfassungswidrig, blieb ebenfalls ohne Erfolg.

2 Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts und wegen Divergenz.

3 Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

Gründe

II.

4 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

5 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

6 a) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kommt einer Rechtssache zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—, u.a. Senatsbeschluss vom  - X B 46/22, BFH/NV 2023, 118, Rz 8, m.w.N.).

7 Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Dazu muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (Senatsbeschluss vom  - X B 130/21, BFH/NV 2022, 1070, Rz 15, m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist dagegen nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2023, 279, Rz 3, m.w.N.). Das gilt auch, wenn die Frage erst nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde geklärt worden ist. Denn maßgeblich ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision (vgl. , BFH/NV 2015, 851, Rz 9, m.w.N.).

8 b) Nach Maßgabe dieser Anforderungen liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht mehr vor.

9 Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob hinsichtlich der Höhe des Zinsanteils der Säumniszuschläge (§ 240 der Abgabenordnung) verfassungsrechtliche Bedenken bestehen, ist nicht —mehr— klärungsbedürftig. Mit rechtskräftigem Urteil vom  - X R 30/21 (BFHE 282, 195, BStBl II 2024, 215, Rz 48 ff.) hat der Senat (wie zuvor für die Zeiträume vor dem , BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304, Rz 24 ff. und vom  - VII R 55/20, BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621, Rz 14 ff.) entschieden, dass sowohl für die Jahre vor 2018 als auch danach verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge auch in einer strukturellen Niedrigzinsphase nicht bestehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug genommen. An dieser Ansicht hält der Senat fest.

10 Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der VIII. Senat des BFH in seinem zeitlich nachfolgenden Beschluss vom  - VIII B 64/22 (AdV) erneut verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge geäußert hat, soweit diese wie vorliegend nach dem entstanden sind. Diese Entscheidung ist lediglich in einem summarischen Verfahren ergangen und kann schon deshalb den Senat weder binden, noch die geklärte höchstrichterliche Rechtsprechung ändern. Eine Abweichung von diesem Beschluss des VIII. Senats im Verfahren zur Aussetzung der Vollziehung begründet auch keine Divergenz im Sinne des § 11 Abs. 2 FGO (vgl. , BFHE 92, 144, BStBl II 1968, 488, unter 4. und vom  - I R 25/96, BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714, unter II.2.d; die insoweit abweichende Ansicht des IV. Senats des , BFHE 188, 374, BStBl II 1999, 828, unter III.1.a hat sich durch die Aufhebung dieses Beschlusses am erledigt).

11 Die Rechtsfrage ist hier daher so zu beantworten, wie es die Vorinstanz getan hat.

12 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts erforderlich.

13 a) Eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ist erforderlich, wenn über eine bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden ist, insbesondere wenn der Streitfall im allgemeinen Interesse Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. , BFH/NV 2014, 3, Rz 3). Das ist aus den unter Ziffer 1. genannten Gründen hier nicht der Fall.

14 b) Eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) kommt zum einen wegen Divergenz und zum anderen zur Beseitigung eines schweren Rechtsfehlers, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, in Betracht.

15 Beides liegt hier nicht vor. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob und inwieweit sowohl vor als auch nach dem verwirkte Säumniszuschläge mit dem Grundgesetz vereinbar sind, ist durch den BFH entschieden. Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des BFH im vorläufigen Rechtsschutz haben sich durch die beiden Hauptsacheentscheidungen überholt und sind daher nicht geeignet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zu begründen (so schon Senatsurteil vom  - X R 30/21, BFHE 282, 195, BStBl II 2024, 215, Rz 52).

16 Ein schwerer Rechtsfehler, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen, ist in der Vorentscheidung ebenfalls nicht zu erkennen.

17 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.

18 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.170724.XB79.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-72269