BGH Urteil v. - VIa ZR 161/22

Instanzenzug: Az: 7 U 252/20vorgehend LG Meiningen Az: (208) 2 O 514/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Dezember 2017 von einem Dritten einen gebrauchten VW Passat Alltrack, dessen Kaufpreis er über die Volkswagen-Bank finanzierte. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 2.0 TDI Bi-Turbo (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet. Fahrzeug und Motor sind von der Beklagten hergestellt worden. Während des laufenden Berufungsverfahren veräußerte der Kläger das Fahrzeug weiter.

3Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung von Kauf- und Darlehensvertrag gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger (neben diversen Hilfsanträge) in erster Linie die Verurteilung zur Zahlung von 9.914,01 € zuzüglich Zinsen seit dem (Berufungsantrag zu 1) und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) und die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 2) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht umfassend zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nur noch den Zahlungsantrag in Höhe von 9.914,01 € nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 1) und den Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu 3) weiter. Der Berufungsantrag zu 2 auf Feststellung des Annahmeverzugs und die diversen Hilfsanträge werden mit der Revision nicht weiterverfolgt.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

6Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bestehe nicht. Es könne offenbleiben, ob die vom Kläger konkret gerügten Funktionen - "Thermofenster", zwei unterschiedliche Betriebsmodi für die AdBlue-Dosierung, je nachdem, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder auf der Straße befindet - unzulässige Abschalteinrichtungen seien. Jedenfalls fehle es diesbezüglich, aber auch für die behauptete Manipulation des On-Bord-Diagnose (OBD) - Systems an einem verwerflichen Handeln der Beklagten, mithin an einem sittenwidrigen Gepräge.

7Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil es sich bei den genannten Regelungen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.

10a) Es hat in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hinsichtlich des "Thermofensters" einen Anspruch des Klägers mangels Prüfstandsbezogenheit der revisionsrechtlich als unzulässig zu unterstellenden Abschalteinrichtung und wegen Fehlens weiterer für die Sittenwidrigkeit sprechender Umstände ausgeschlossen (vgl. , NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 48; Urteil vom - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12).

11b) Hinsichtlich der zwei unterschiedlichen Programme bei der Dosierung von AdBlue hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Indizwirkung einer Software, welche ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert, für eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde (vgl. dazu VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN) im Hinblick darauf entfallen lassen, dass die Beklagte - jedenfalls nicht unvertretbar - angenommen habe, die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2c der VO (EG) Nr. 715/2007 greife ein. Danach sei eine Abschalteinrichtung nicht unzulässig, wenn die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten seien; ferner sei die Platzierung der Abschaltvorrichtung zur Herstellung von vergleichbaren Ergebnissen im Prüfverfahren erfolgt. An diese Feststellung ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden.

12c) Ohne Erfolg beanstandet die Revision, das OBD-System begründe eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und damit die Sittenwidrigkeit. Dass die vom Kläger gerügten Abschalteinrichtungen nicht als technische Fehlermeldung im OBD-System angezeigt werden, rechtfertigt nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit (vgl. zum OBD-System , BGHZ 232, 94 Rn. 90 f.; vgl. zur Sittenwidrigkeit , NJW-RR 2022, 309 Rn. 20; , WM 2024, 36 Rn. 20).

132. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

14Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

15Das Berufungsurteil ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich im Übrigen auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

16Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624UVIAZR161.22.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-71781