BGH Urteil v. - VIa ZR 433/23

Instanzenzug: Az: I-7 U 304/21vorgehend Az: 7 O 228/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb im November 2016 einen Gebrauchtwagen des Typs VW Tiguan mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6). Später veräußerte sie das Fahrzeug. Die Klägerin verlangt im Wesentlichen, sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die zuletzt gestellten Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Die Klägerin habe schon keinen Schaden erlitten. Im Übrigen fehle es an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigungshandlung der Beklagten im Sinne von §§ 826, 31 BGB und scheitere ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auch am fehlenden Schutzgesetzcharakter dieser Vorschriften.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Soweit das Berufungsgericht einen nach §§ 826, 31 BGB zu ersetzenden Schaden der Klägerin mit Blick auf Verlautbarungen des Kraftfahrt-Bundesamtes verneint, ist dies zwar - wie die Revision zu Recht rügt - nicht mit höchstrichterlicher Rechtsprechung vereinbar (vgl. nur , BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 16). Keinen revisionsrechtlichen Bedenken begegnet das Berufungsurteil aber, soweit es selbständig tragend darauf abstellt, im Übrigen fehle es an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigungshandlung der Beklagten. Die von der Revision insoweit erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens, der sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht ohne Verletzung des § 287 Abs. 1 ZPO verneinen lässt (vgl. aaO, Rn. 41, 71 ff.), gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:280524UVIAZR433.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-70306