Instanzenzug: Az: 24 U 316/21vorgehend Az: 10 O 237/21
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
2Die Klägerin erwarb im Oktober 2013 einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen Mercedes-Benz B 200 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" unter anderem temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
3Das Landgericht hat der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage überwiegend stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an.
Gründe
4Die mit Blick auf die Rechtfertigung des Klageziels aus Delikt uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg. Die von der Klägerin vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gegenstandslos (vgl. VIa ZR 635/23, juris Rn. 4 mwN).
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus. Die Klägerin trage mangels tatsächlicher Anhaltspunkte in nicht zu berücksichtigender Weise ins Blaue hinein vor, dass Repräsentanten der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hinsichtlich Entwicklung und/oder Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen - ihr Vorliegen unterstellt - vorsätzlich gehandelt hätten, insbesondere diese wissentlich zur Erschleichung der EG-Typgenehmigung eingesetzt hätten. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur , juris Rn. 13; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11) hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung der Klägerin verneint, weil es dem Klägervorbringen greifbare Anhaltspunkte weder für die behauptete Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung noch für einen bewussten Gesetzesverstoß in Bezug auf die - insoweit als unzulässig unterstellte - Verwendung des Thermofensters sowie der KSR zu entnehmen vermocht hat. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040624UVIAZR1564.22.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-70034