BGH Urteil v. - VII ZR 109/23

Instanzenzug: Az: 7 U 74/21 Urteilvorgehend Az: 29 O 175/18

Tatbestand

1Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über einen Werklohnanspruch der Klägerin aus ihrer Schlussrechnung vom , mit der sie nach Kündigung eines Bauvertrags eine Vergütung für nicht erbrachte Leistungen begehrt.

2Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Juli 2017 mit Betonbauarbeiten für einen Parkplatz in B.    unter Einbeziehung der VOB/B.

3Nachdem die Beklagte die vierte und fünfte Abschlagsrechnung der Klägerin nicht bezahlte, forderte diese die Beklagte zur Leistung einer Sicherheit auf. Die Beklagte erbrachte die geforderte Sicherheit nicht, weshalb die Klägerin am den Vertrag mit der Beklagten kündigte.

4In der Folgezeit stellte die Klägerin zwei Schlussrechnungen. Die erste Schlussrechnung vom bezog sich auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen und endete mit einem Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe von 58.146,86 €. Unter dem erstellte die Klägerin eine weitere Schlussrechnung hinsichtlich der nicht erbrachten Leistungen. Diese Schlussrechnung endet mit einem Saldo zugunsten der Klägerin in Höhe von 55.342,96 €. Aus der Schlussrechnung ergibt sich, dass die Klägerin die noch durchzuführenden Arbeiten unter Einbeziehung eines Nachunternehmers durchführen wollte.

5Mit ihrer Klage hat die Klägerin erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 113.467,93 € begehrt. Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der ersten Schlussrechnung für erbrachte Leistungen in Höhe von 45.741,32 € stattgegeben. Hinsichtlich der zweiten Schlussrechnung betreffend die nicht erbrachten Leistungen hat das Landgericht zugunsten der Klägerin 14.741,71 € "gemäß der 5 %-Vermutungsregel nach § 648a Abs. 5 S. 3 BGB a.F." ausgeurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Klägerin könne keine Vergütung anhand einer konkreten Abrechnung für den Einsatz eines Nachunternehmers gewährt werden, da ein solcher Einsatz nach § 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 2 VOB/B schriftlich von der Beklagten hätte genehmigt werden müssen, eine solche Genehmigung aber nicht vorgelegen habe.

6Gegen das landgerichtliche Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, und zwar allein insoweit, als das Landgericht der Klage aus der zweiten Schlussrechnung vom nicht in Höhe von weiteren 28.050,99 € nebst Zinsen stattgegeben hat.

7Das Berufungsgericht hat mit Beschluss vom den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

8Der Einzelrichter hat mit Verfügung vom hinsichtlich der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob die Klägerin die Differenz zwischen dem Vertragspreis und etwaigen ersparten Nachunternehmerkosten auch dann in die Abrechnung der zweiten Schlussrechnung einstellen könne, wenn sie für den Einsatz entgegen § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B keine Genehmigung haben sollte, auf das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom - 7 U 165/06, juris Rn. 51 f. hingewiesen. Aus dieser Entscheidung, die von der Literatur zustimmend aufgegriffen worden sei, ergebe sich, dass im Rahmen der Abrechnung § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B außer Betracht bleiben müsse. In ihrer Stellungnahme zu diesem Hinweis hat die Beklagte auf das hingewiesen, aus welchem folge, dass der Auftragnehmer bei der Berechnung ersparter Aufwendungen nicht auf die Weitergabe des Auftrags an einen Nachunternehmer abstellen könne, wenn die Übertragung der Leistung von der Zustimmung des Auftraggebers abhängig sei. Mit Verfügung vom hat sich der Einzelrichter des Berufungsgerichts für den Hinweis bedankt und erklärt, das Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg sei bislang nicht bekannt gewesen.

9In der Folgezeit hat der Einzelrichter des Berufungsgerichts den Rechtsstreit nicht dem vollbesetzten Senat zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt.

10Der Einzelrichter des Berufungsgerichts hat unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte verurteilt, hinsichtlich der zweiten Schlussrechnung vom weitere 28.050,99 € nebst Zinsen zu zahlen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Einzelrichter des Berufungsgerichts zugelassenen Revision, mit der sie ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiterverfolgt.

Gründe

11Die Revision ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil es - wie von der Revision gerügt, vom Senat aber auch von Amts wegen zu berücksichtigen - als Einzelrichterentscheidung unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergangen ist.

I.

12Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

13Die Klägerin habe ihre Berechnung in der zweiten Schlussrechnung vom darauf aufbauen dürfen, dass die von ihr infolge der Kündigung nicht mehr zu erbringenden Werkleistungen durch einen Nachunternehmer ausgeführt worden wären. Dieser Vorgehensweise stehe nicht entgegen, dass der Klägerin für den Einsatz ihres Nachunternehmers entgegen § 4 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B keine schriftliche Zustimmung der Beklagten vorgelegen habe.

14Zwar sei der Nachunternehmereinsatz durch die Beklagte nicht genehmigt gewesen, dies führe aber nicht zu Nachteilen bei der Kündigungsabrechnung. Es fehle an Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte bei Fortführung des Vertrags von der ihr zustehenden Möglichkeit, den Nachunternehmereinsatz nicht zu genehmigen und der Klägerin wegen eines gleichwohl durchgeführten Nachunternehmereinsatzes zu kündigen, Gebrauch gemacht hätte.

15Zudem sei die konkrete Darlegung der ersparten Aufwendungen durch die Klägerin nicht zu beanstanden.

16Die Revision sei zuzulassen. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Die entscheidungserhebliche Frage, ob die Vergütung wegen nicht erbrachter Leistungen auf der Grundlage eines Nachunternehmereinsatzes kalkuliert werden könne, wenn einem solchen nicht von Seiten des Bestellers zugestimmt worden sei, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt und werde in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantwortet. Das ergebe sich einerseits aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom - 7 U 1656/06, juris Rn. 51 f. und andererseits aus dem , juris Rn. 28 f.

II.

17Die Revision ist aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Die Zulassung durch den Einzelrichter ist nicht deshalb unwirksam, weil dieser es versäumt hat, den Rechtsstreit gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorzulegen ( Rn. 10, BGHZ 235, 163).

III.

18Der Erlass des Berufungsurteils durch den Einzelrichter verletzt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

191. Das vollbesetzte Berufungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom gemäß § 526 Abs. 1 ZPO einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Der so ermächtigte Einzelrichter ist zur Entscheidung über die Berufung auch dann befugt, wenn er abweichend von der Mehrheit des Kollegiums (vgl. § 526 Abs. 1 Nr. 3 ZPO) von vornherein die grundsätzliche Bedeutung der Sache angenommen hat. Er kann deshalb auch ohne Verfahrensverstoß die Revision zulassen ( Rn. 12, BGHZ 235, 163).

20Der Einzelrichter muss den Rechtsstreit jedoch nach § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO dem Kollegium zur Entscheidung über eine Übernahme vorlegen, wenn sich die aus seiner Sicht gegebene grundsätzliche Bedeutung aus einer - nach der Übertragung auf ihn eingetretenen - wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt ( Rn. 13 m.w.N., BGHZ 235, 163; Urteil vom - V ZR 109/22 Rn. 10, NJW-RR 2023, 715). Mit der Regelung des § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO soll es einem Berufungsgericht ermöglicht werden, einer sich veränderten Prozesssituation Rechnung zu tragen und eine sich im Nachhinein als unzutreffend erweisende Prognoseentscheidung bei der Einzelrichterübertragung durch eine Zurückübertragung zu korrigieren. Grundsätzliche Bedeutung und damit ein Rückübertragungsgrund ist deshalb in einem weiten Sinn zu verstehen und erfasst jeden Revisionszulassungsgrund im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO und daher auch die Fälle der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (BT-Drucks. 14/4722 S. 99; Rn. 13, BGHZ 235, 93; Urteil vom - VII ZR 297/21 Rn. 13, BGHZ 235, 163).

21Diese Vorlagepflicht hat der Einzelrichter im Streitfall nicht beachtet. Er hat die Divergenz der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle und des Oberlandesgerichts Brandenburg als zulassungsrelevant angesehen. Diese Divergenz begründet den Revisionszulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO. Dieser Revisionszulassungsgrund ergab sich erst nach der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter mit Beschluss vom , da das Oberlandesgericht Brandenburg sein, die Divergenz zum Oberlandesgericht Celle begründendes, Urteil am verkündete. Damit trat aus der maßgeblichen Sicht des Einzelrichters eine wesentliche Änderung der Prozesslage im Sinne von § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ein.

222. Durch die Nichtbeachtung der Vorlagepflicht gemäß § 526 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat der Einzelrichter die erneute Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache dem Kollegium als dem gesetzlich zuständigen Richter entzogen. Gleiches gilt für die Entscheidung in der Sache, da aus der Sicht des Einzelrichters eine Übernahme des Rechtsstreits durch das Kollegium gemäß § 526 Abs. 2 Satz 2 ZPO geboten gewesen wäre. Das Vorgehen des Einzelrichters stellt sich angesichts der widersprüchlichen gleichzeitigen Bejahung und (impliziten) Verneinung der Grundsatzbedeutung als objektiv willkürlich dar und verletzt daher das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ( Rn. 14, BGHZ 235, 163).

IV.

23Entscheidet der Einzelrichter - wie hier - unbefugt allein, ist der absolute Revisionsgrund der fehlerhaften Gerichtsbesetzung gemäß § 547 Nr. 1 ZPO gegeben. Das Berufungsurteil ist ohne Sachprüfung im Umfang seiner Anfechtung aufzuheben und die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht (Einzelrichter) zurückzuverweisen ( Rn. 16, BGHZ 235, 163).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250424UVIIZR109.23.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-68617