BGH Beschluss v. - 6 StR 606/23

Instanzenzug: LG Stralsund Az: 22 KLs 5/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit neuen psychoaktiven Stoffen in Tateinheit mit Abgabe von neuen psychoaktiven Stoffen als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in 40 Fällen, wegen unerlaubten „Besitzes von Schusswaffen“, wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, wegen räuberischer Erpressung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen versuchter räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung, wegen Diebstahls und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft, wobei diejenige der Staatsanwaltschaft auf den Maßregelausspruch beschränkt ist. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat vollumfänglich, dasjenige des Angeklagten in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

21. In den Fällen II.2.b, II.2.d, II.2.f, II.2.g und II.2.i der Urteilsgründe ist der Schuldspruch nach § 354a i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. Seit dem sind Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis nicht mehr nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG), sondern nach dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) zu werten. § 34 KCanG ist hier gegenüber § 29a BtMG das nach § 2 Abs. 3 StGB mildere Gesetz.

32. In den Fällen II.1.e, II.2.c und II.2.j der Urteilsgründe hat die Verurteilung des Angeklagten keinen Bestand.

4a) Im Fall II.1.e der Urteilsgründe hat das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch nicht tragfähig ausgeschlossen.

5aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts äußerte der Angeklagte am Tattag gegenüber der Mutter des Geschädigten B.     , dass ihr Sohn ihm 120.000 Euro schulde, da dieser den Angeklagten bei der Polizei angezeigt und der Angeklagte das Geld „durch eine Durchsuchung“ verloren habe. Für den Fall der Nichtzahlung drohte der Angeklagte damit, den Geschädigten umzubringen.

6bb) Das Landgericht hat diese Tat als versuchte räuberische Erpressung gewertet. Da der Angeklagte der Auffassung gewesen sei, dass die von ihm geäußerten Drohungen zur Zielerreichung genügten, sei der Versuch beendet gewesen, so dass für einen Rücktritt weitere Handlungen des Angeklagten zur Vollendungsverhinderung notwendig gewesen wären. Solche hätten jedoch nicht festgestellt werden können.

7cc) Dies hält der rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die vom Landgericht zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten nach der letzten Ausführungshandlung getroffenen Feststellungen nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen sind. Soweit es angenommen hat, es sei nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte davon ausgegangen sein könnte, „dass weitere, vertiefende Drohungen zur Tatvollendung notwendig sein müssten“, hat sich das Landgericht nicht mit den sich aufdrängenden Umständen auseinandergesetzt, dass der Angeklagte zum einen den Geschädigten am nächsten Tag auf offener Straße schreiend zur Zahlung der 120.000 Euro aufforderte, während er auf ihn einschlug (Fall II.1.f der Urteilsgründe), und zum anderen dessen Mutter kurze Zeit später nochmals damit bedrohte, den Geschädigten „abzustechen“, wenn dieser kein Geld an ihn zahle (Fall II.1.g der Urteilsgründe).

8b) Im Fall II.2.c der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte einer gesondert verfolgten Person jeweils 500 Gramm Marihuana und Amphetamin zum gewinnbringenden Weiterverkauf übergab.

9Auch insoweit sind die Feststellungen nicht hinreichend belegt. Zwar hat der Angeklagte eingeräumt, dass der gesondert Verfolgte von ihm Betäubungsmittel zum Weiterverkauf erhalten habe. Zudem hat ein Zeuge geschildert, dass der gesondert Verfolgte ein „Starterpaket“ erhalten habe, bestehend aus einer identischen Menge von Marihuana und Amphetamin. Es bleibt jedoch unklar, worauf das Landgericht seine Überzeugung von der Menge der übergebenen Betäubungsmittel gestützt hat. Allein durch den vom Angeklagten angegebenen Kaufpreis sind die festgestellten Mengen nicht nachvollziehbar.

10c) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Verstößen gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG; Fälle zu II.2.j der Urteilsgründe) hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.

11aa) Nach den getroffenen Feststellungen verkaufte der Angeklagte im Zeitraum Juni bis Juli 2020 in jedenfalls 40 Fällen jeweils ein Gramm einer Kräutermischung mit dem Wirkstoff ADB-Butinaca an eine zum damaligen Zeitpunkt 17-jährige Person.

12bb) Rechtlich hat das Landgericht diese Taten jeweils als gewerbsmäßiges Handeltreiben mit neuen psychoaktiven Stoffen in Tateinheit mit der Abgabe von neuen psychoaktiven Stoffen als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren gewertet (§ 4 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a und b NpSG). Der im Jahr 2023 in die Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommene Wirkstoff ADB-Butinaca sei im Tatzeitraum als Indol-Derivat der Ziffer 2 der Anlage Stoffgruppen zum NpSG unterfallen.

13cc) Diese rechtliche Wertung wird von den Feststellungen nicht getragen. Nach § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 1 NpSG i.V.m. Ziffer 2.1 der im Tatzeitraum maßgeblichen Anlage „Stoffgruppen“ zum NpSG unterfallen chemische Verbindungen nur dann dem Anwendungsbereich des Gesetzes, wenn sie dem dort beschriebenen modularen Aufbau mit einer Kernstruktur entsprechen, die an einer definierten Position über eine Brücke mit einem Brückenrest verknüpft ist und an einer definierten Position der Kernstruktur eine Seitenkette tragen. Das Landgericht hat keine Feststellungen getroffen, die eine Prüfung zulassen, ob diese Voraussetzungen auf den Wirkstoff ADB-Butinaca zutreffen.

143. Der Strafausspruch unterliegt insgesamt der Aufhebung.

15a) Durch den Wegfall mehrerer Strafen ist der Gesamtstrafe die Grundlage entzogen. Den Urteilsgründen ist zudem der Vollstreckungsstand der Verurteilungen vom und vom nicht zu entnehmen. Da diese Verurteilungen in den Zeitraum der nunmehr verfahrensgegenständlichen Taten fallen, würde ihnen Zäsurwirkung zukommen, wenn sie im maßgeblichen Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (vgl. , Rn. 9) noch nicht erledigt gewesen sein sollten (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 55 Rn. 14 mwN).

16b) Um dem neuen Tatgericht bei der in diesem Fall erforderlichen Bildung mehrerer Gesamtstrafen die Beachtung des Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 StPO) zu ermöglichen (vgl. ), hebt der Senat sämtliche Strafen auf.

II.

17Die Maßregelanordnung, die aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen mangels wirksamer Beschränkung auch auf die Revision des Angeklagten zu prüfen ist, hat ebenfalls keinen Bestand.

18Der Senat hat seiner Entscheidung nach § 354a StPO die zum in Kraft getretene Fassung des § 64 StGB (BGBl. 2023 I Nr. 203) zugrundezulegen (vgl. ). Die dort normierten und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für „Altfälle“ geltenden Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt werden durch das Urteil nicht hinreichend belegt. Das gilt jedenfalls für den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum des Täters und der Begehung von Straftaten.

191. Die begangenen rechtswidrigen Taten müssen nach § 64 Satz 1 StGB „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Durch diese Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ erstrebt der Gesetzgeber, dass Personen, bei denen die Straffälligkeit auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26). Bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht deshalb nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen überwiegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 246/23; vom – 6 StR 588/23, Rn. 4).

202. Bei seiner Entscheidung hat das Landgericht diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht berücksichtigen können. Es hat – sachverständig beraten – festgestellt, dass die von dem Angeklagten erzielten Einkünfte aus dem Handel mit Betäubungsmitteln zumindest auch die Finanzierung des Eigenkonsums ermöglichten und dass bei den Gewalttaten der vorangegangene Konsum zumindest zu einer Enthemmung des Angeklagten geführt habe, wodurch die Tatbegehung begünstigt worden sei. Der Hang sei daher mitursächlich für die Taten gewesen. Damit fehlt eine Aussage zu der nunmehr entscheidenden Frage, inwieweit der Hang die überwiegende Ursache der Taten war.

III.

21Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass bei der Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten § 47 Abs. 1 StGB zu beachten ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:300424B6STR606.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-68615