BGH Urteil v. - VIa ZR 452/23

Instanzenzug: Az: 16a U 225/19vorgehend LG Ingolstadt Az: 6 O 203/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), deren Aktivierung die Erwärmung des Motors verzögert.

3Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 25.089,32 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 12.610,68 €) nebst Verzugszinsen seit dem Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt sowie den zunächst auf Zahlung eines weiteren Betrags von 5.546,06 € und von Deliktszinsen seit dem gerichteten Antrag einseitig für erledigt erklärt (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt (Berufungsantrag zu 2). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsbegehren weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Kläger habe einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht schlüssig dargetan. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, und dies für die KSR unterstellt werden. Der Kläger habe jedoch weder tatsächliche Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit der Einrichtungen aufgezeigt noch sonstige Umstände vorgebracht, die das Vorgehen der Beklagten als sittenwidrig erscheinen ließen. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV komme nicht in Betracht. Die Vorschriften der EG-FGV stellten keine Gesetze dar, die den Schutz eines Fahrzeugerwerbers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezweckten und ihm bei fahrlässiger Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen individuellen Schadensersatzanspruch gewährten.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Das Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 1 Zinsen vom bis zur Zustellung der Klageschrift am begehrt und den Antrag hinsichtlich der vom bis zum verlangten Deliktszinsen für erledigt erklärt hat. Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Kläger kann von der Beklagten Zinsen allenfalls seit Eintritt der Rechtshängigkeit verlangen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Beklagte ist durch die vorgerichtliche Mahnung des Klägers nicht in Verzug geraten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger die Zahlung auch von Deliktszinsen verlangt und daher einen weit übersetzten Betrag begehrt, von dem er die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs abhängig gemacht hat. Unter diesen Umständen scheidet ein Schuldnerverzug aus (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 86; Urteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 34; Urteil vom - VIa ZR 1208/22, juris Rn. 11). Deliktszinsen konnte der Kläger von Anfang an nicht beanspruchen (vgl. , BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; Urteil vom - VI ZR 376/20, VersR 2023, 386 Rn. 8).

IV.

12Im Übrigen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR452.23.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-68499