BGH Urteil v. - VIa ZR 1244/22

Instanzenzug: Az: 24 U 477/22vorgehend Az: 20 O 447/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Dezember 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 300 BLUETEC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" unter anderem temperaturabhängig gesteuert.

3Das Landgericht hat der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage überwiegend stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Für einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei kein Raum. Der Kläger trage ins Blaue hinein vor, Repräsentanten der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hätten vorsätzlich eine manipulativ ausgestaltete Abschalteinrichtung in dem Fahrzeug eingesetzt und hierüber das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens getäuscht. Er habe weder für eine manipulative Ausgestaltung - unterstellter - unzulässiger Abschalteinrichtungen noch für ein vorsätzliches Handeln von Repräsentanten der Beklagten taugliche tatsächliche Anhaltspunkte angeführt. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitere bereits daran, dass diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB verneint hat.

9a) Damit eine unzulässige Abschalteinrichtung eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB auslösen kann, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten des Fahrzeugherstellers oder des als Mittäter oder mittelbarer Täter handelnden Motorherstellers als besonders verwerflich erscheinen lassen. Einen solchen Umstand kann es darstellen, dass die unzulässige Abschalteinrichtung danach unterscheidet, ob das Kraftfahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wird oder ob es sich im normalen Fahrbetrieb befindet. Bei der Prüfstandsbezogenheit handelt es sich um eines der wesentlichen Merkmale, nach denen eine unzulässige Abschalteinrichtung die Anforderungen an eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfüllt. Die Tatsache, dass eine Software ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert, indiziert eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ( VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 f.; Urteil vom - VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11).

10Sofern die verwendete Abschalteinrichtung nicht grenzwertkausal ist oder auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, kommt eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass - hier - der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm. Fehlt es daran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (st. Rspr., vgl. nur , juris Rn. 13; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 12, jew. mwN).

11b) In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers verneint, weil es dem Klägervorbringen greifbare Anhaltspunkte weder für die behauptete Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung noch für einen bewussten Gesetzesverstoß in Bezug auf die - insoweit unterstellte - Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen zu entnehmen vermocht hat. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

122. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR1244.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-68325