BGH Urteil v. - VIa ZR 405/22

Instanzenzug: Az: 22 U 76/21vorgehend Az: 12 O 23/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 250 BLUETEC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) und einem SCR-Katalysator, in den die Harnstofflösung "AdBlue" eingespritzt wird, ausgestattet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters temperaturabhängig gesteuert. Es ist nicht von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Kaufdatum Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) sowie die Erstattung der Kosten des außergerichtlichen Vorgehens nebst Verzugszinsen seit dem (Berufungsantrag zu 2), hilfsweise die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatzes in Höhe von mindestens 11.970 € (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit der Maßgabe weiter, dass er Zinsen nur noch als Verzugszinsen seit dem begehrt.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Der Kläger könne von der Beklagten keinen Schadensersatz gemäß §§ 826, 31 BGB verlangen. Hinsichtlich des Thermofensters habe er nicht schlüssig vorgetragen, dass der Beklagten ein sittenwidriges Handeln vorzuwerfen sei. Für die weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen habe er keine Indizien dafür genannt, dass sie in seinem Fahrzeug verbaut seien oder dass die Beklagte sie in dem Bewusstsein eingebaut habe, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen habe.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision macht vergeblich geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass im Fahrzeug des Klägers eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung verbaut sei, bei der es sich ebenso wie bei der im Fahrzeug zum Einsatz kommenden "AdBlue"-Dosierung um prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen handele. Das Berufungsgericht hat dem Vortrag des Klägers - abgesehen vom Thermofenster - keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür entnommen, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Verwendung fänden. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters nicht in Erwägung gezogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des von der Revision angeführten Thermofensters getroffen.

113. Die Ausführungen der Revisionsbegründung führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie geben dem Senat keinen Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen.

III.

12Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Dabei wird er klarzustellen haben, unter welcher prozessualen Bedingung er den Berufungsantrag zu 3 stellt. Das Berufungsgericht wird sodann auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160424UVIAZR405.22.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-67707