BGH Urteil v. - VII ZR 578/21

Instanzenzug: Az: 5 U 1333/20vorgehend LG Weiden Az: 11 O 257/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2Er erwarb im Oktober 2016 von einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Mercedes-Benz C 250d T 4matic, Euro 6 als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 38.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt worden ist. Das Fahrzeug des Klägers ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen. Im Rahmen eines freiwilligen Rückrufs der Beklagten wurde ein Software-Update bei dem Motor durchgeführt.

3Der Kläger hat in den Vorinstanzen die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet, sowie Zahlung von außer-gerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

4Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

5Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

6Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Schadensersatz wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Von einem sittenwidrigen Verhalten könne zwar ausgegangen werden, wenn der Autohersteller zur Erlangung einer Typgenehmigung eine Motorsteuerungssoftware einsetze, deren Programmierung bewirke, dass das - für die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte erforderliche - Emissionskontrollsystem nur in der von der Motorsteuerung erkannten Prüfsituation arbeite, während im normalen Fahrbetrieb höhere Stickoxid-Emissionen erfolgten. Arbeite die beanstandete Steuerungssoftware aber unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen im Grundsatz in gleicher Weise wie im normalen Fahrbetrieb, sei der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gerechtfertigt.

9Die unstreitige Verwendung der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) im Fahrzeug des Klägers begründe den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht. Der Kläger habe keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass diese Regelung nur während der gesetzlichen Emissionsprüfung und nicht im realen Straßenbetrieb wirke. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht behauptet habe, die KSR in seinem Motor erkenne die sogenannte Vorkonditionierung vor der Durchführung der gesetzlichen Emissionsprüfung und aktiviere nur dann die verstärkte Motorkühlung, sei dieser Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen.

10Bei dem Vortrag des Klägers handele es sich zudem um eine "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptung, für die tragfähige Anhaltspunkte fehlten. Soweit der Kläger seinen Vortrag auf ein vor dem Landgericht Stuttgart eingeholtes Gutachten stütze, hätten die Sachverständigen Dr. H.    und Prof. Dr.-Ing. E.   eine Abhängigkeit der Solltemperaturregelung von der Vorkonditionierung des Fahrzeugs nicht feststellen können. Amtliche Auskünfte des KBA zur Funktion der KSR hätten die Behauptung des Klägers ebenfalls nicht bestätigt. Das gelte auch für die von dem Oberlandesgericht Naumburg eingeholte Auskunft des KBA, wonach die Schaltkriterien der KSR so gewählt seien, dass wesentliche Randbedingungen des gesetzlichen Prüfverfahrens erkannt würden und die Sollwertabsenkung bei der gesetzlichen Prüfung Typ 1 im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv sei, während sie bei normalen Abweichungen von den Prüfbedingungen des NEFZ oft abgeschaltet werde. Diese Auskunft besage nicht, dass die Einrichtung unter vergleichbaren Umständen im Prüfstandsbetrieb anders arbeite als im wirklichen Straßenverkehr. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg habe sich zudem auf ein von einem Rückruf betroffenes Fahrzeug bezogen, so dass sie auf den Streitfall nicht übertragbar sei.

11Auch die vom Landgericht Saarbrücken eingeholte Auskunft des KBA stütze den Vortrag des Klägers nicht. Das KBA habe ausgeführt, die KSR sei keine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung, lediglich die Schaltparameter der Funktion seien an die Randbedingungen der Prüfung angelehnt. Gleiches gehe aus dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben des KBA vom hervor, das sich allerdings auf ein von einem Rückruf betroffenes Fahrzeug bezogen habe.

12Dem Berufungsgericht sei bekannt, dass das KBA die KSR nur dann beanstande, wenn die Funktion zur sicheren Einhaltung des NOx-Grenzwerts in der gesetzlichen Emissionsprüfung benötigt werde; eine Beanstandung erfolge dagegen nicht, wenn der Nachweis erbracht werden könne, dass ohne die KSR - also mit einer verringerten Rate der Abgasrückführung - die Einhaltung des Grenzwerts gewährleistet sei (sogenanntes testing out). Sei die streitige Funktion nicht erforderlich, um im Prüfzyklus den NOx-Grenzwert einzuhalten, so sei der Behörde mit der KSR keine Grenzwerteinhaltung vorgespiegelt worden, die unter vergleichbaren Bedingungen im wirklichen Fahrbetrieb nicht erfolge.

13Führe die Abschalteinrichtung nicht dazu, dass das Emissionskontrollsystem sich unter vergleichbaren Bedingungen bei der gesetzlichen Emissionsprüfung anders verhalte als im wirklichen Straßenbetrieb, sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein objektiv sittenwidriges Verhalten des Fahrzeugherstellers zu verneinen, wenn nicht weitere Umstände hinzuträten. Solche Umstände habe der Kläger nicht aufgezeigt. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren falsche oder bewusst unvollständige Angaben gemacht habe. Zwar sei davon auszugehen, dass die KSR dem KBA nicht angezeigt worden sei, jedoch sei eine Offenlegung nach den damals geltenden Bestimmungen nicht geboten gewesen, weil die Emissionskontrollsysteme im Typgenehmigungsverfahren nicht im Einzelnen hätten beschrieben werden müssen.

14Eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bestehe nicht, weil der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen von einem Autohändler gekauft habe und deshalb das Erfordernis der Stoffgleichheit nicht erfüllt sei.

15Der Kläger habe keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.

II.

16Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

171. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 29, NJW 2021, 1814) übergangen hätte.

18a) Entgegen der Annahme der Revision hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die Substantiiertheit des Vortrags nicht überspannt. Es hat die Behauptung des Klägers, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige, prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung in Gestalt einer KSR implementiert, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als spekulativ und "ins Blaue hinein" angesehen. Der Vortrag des Klägers beschränkt sich im Wesentlichen darauf zu behaupten, in seinem Fahrzeug mit dem Motortyp OM 651 sei eine KSR verbaut. Dies hat das Berufungsgericht in vertretbarer tatrichterlicher Würdigung nicht ausreichen lassen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das KBA beanstande den Einbau der KSR nicht, wenn der Nachweis erbracht werden könne, dass ohne die KSR - also mit einer verringerten Rate der Abgasrückführung - die Einhaltung des Grenzwerts gewährleistet sei (sogenanntes testing out). Die Beschwerde zeigt keine Anhaltspunkte auf, dass ein solcher Nachweis von der Beklagten nicht erbracht worden ist und die Funktion der KSR bei dem Fahrzeug des Klägers zur sicheren Einhaltung des NOx-Grenzwerts in der gesetzlichen Emissionsprüfung benötigt wird.

19b) Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass beim Fehlen einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung eine Haftung der Beklagten wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nur in Betracht kommt, wenn die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und Verwendung der Abschalteinrichtungen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, unzulässige Abschalteinrichtungen zu verwenden, und sie den darin enthaltenen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt hätten (vgl. Rn. 18 juris; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 16, ZIP 2021, 297; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 26, VersR 2021, 661). Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. Rn. 18 juris; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661).

20Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei ein nach diesen Grundsätzen beachtliches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen verneint. Die Revision zeigt weder vom Berufungsgericht festgestellten noch von diesem übergangenen Sachvortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers auf (vgl. Rn. 14, WM 2021, 1609; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, VersR 2021, 661; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297), dem hierfür sprechende Anhaltspunkte zu entnehmen wären.

212. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245).

22Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

23Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).

III.

24Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR578.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-65378