BGH Urteil v. - VII ZR 626/21

Instanzenzug: Az: 20 U 6394/20vorgehend LG Landshut Az: 72 O 4001/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

2Er erwarb im März 2016 bei einem Autohändler ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug Audi 7 Sportback S line 3.0 l TDI als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 57.500 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 897 ausgestattet. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung der Schadstoffklasse Euro 6 mit den Motor-Kennbuchstaben CRT erteilt. Das Klägerfahrzeug ist von einem Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vom betroffen. Gegenstand des Rückrufs war die Reduzierung der Reagenseindüsung ("AdBlue") ab einer Restreichweite von 2.400 km.

3Der Kläger verlangt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und die Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

4Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.

5Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

6Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit es für die Revision von Interesse ist, ausgeführt:

8Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Aus dem Vortrag des Klägers ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass sein Fahrzeug eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung habe. Der Rückruf des KBA vom Januar 2018 habe nicht den Motortyp des Klägers betroffen, sondern nur Fahrzeuge des Modells A7 mit den Motorkennbuchstaben CKV und CVU. Aus dem Bescheid des KBA vom ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung, weil die von der Behörde beanstandete Reduzierung der Reagenseindüsung ("AdBlue") ab einer Restreichweite von 2.400 km unabhängig von einer Prüfstandssituation arbeite. Die Deaktivierung dieser Funktion habe keine Auswirkungen auf die Emissionsmessungen im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), weil in dem 11 km langen Prüfzyklus eine Situation, in der eine Restreichweite von 2.400 km unterschritten werde, nicht eintreten könne.

9Dass die Beklagte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens die Reduzierung der AdBlue-Einspritzung ab Erreichen einer Restreichweite von 2.400 km in Verbindung mit einem unvorhergesehenen starken Anstieg des AdBlue-Verbrauchs nicht angegeben habe, stelle kein ausreichendes Indiz für eine vorsätzliche arglistige Täuschung des KBA dar. Denn eine Pflicht zur Angabe aller verwendeten Emissionsstrategien habe im Zeitpunkt des Typengenehmigungsverfahrens noch nicht bestanden. Soweit der Kläger auf Art. 3 Abs. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 (Angabe zur Arbeitsweise des AGR-Systems "einschließlich ihres Funktionierens bei niedrigen Temperaturen") verweise, betreffe diese Norm nicht die Restreichweitenfunktion.

10Der Beklagten könne daher weder der Vorwurf gemacht werden, eine ansonsten nicht zu erreichende Typgenehmigung durch Täuschung des KBA erschlichen zu haben, noch aus rücksichtslosem Gewinnstreben eine erhebliche Verschlechterung des Emissionsverhaltens des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps in Kauf genommen zu haben. Eine Strategieentscheidung zur planmäßigen Täuschung der Kunden über die Verwendbarkeit der gekauften Fahrzeuge im Straßenverkehr sei nicht ersichtlich.

II.

11Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

121. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist der erkennende Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. VIa ZR 51/21 Rn. 21 m.w.N., juris) übergangen hätte. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

132. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 1031/22 Rn. 24 ff., DAR 2023, 503; Urteil vom - VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245).

14Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (Az. C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Überein-stimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeugkäufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21 Rn. 28 ff., BGHZ 237, 245; ebenso Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

15Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des Differenzschadens angepassten, unbeschränkten Zahlungsantrags ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVandererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ( VIa ZR 335/21 Rn. 45, BGHZ 237, 245).

III.

16Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR626.21.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-64567