Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags
Leitsatz
1. NV: Der Bezug eines Nutzungsersatzes im Rahmen der reinen Rückabwicklung eines Verbraucherdarlehensvertrags nach Widerruf (vor Anwendbarkeit des § 357a Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs —BGB— a.F.; jetzt § 357b BGB) begründet keinen steuerbaren Kapitalertrag, da er nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit beruht und mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre erzielt wird.
2. NV: Das infolge des Widerrufs entstandene Rückgewährschuldverhältnis ist bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln.
3. NV: Der bezogene Nutzungsersatz ist auch nicht gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes steuerbar.
Gesetze: AO § 38; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7; EStG § 22 Nr. 3; BGB § 346; BGB § 348; BGB § 357b
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei der von einer Bank aufgrund widerrufener Darlehensverträge gezahlten Nutzungsentschädigung für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen um steuerbare Einkünfte handelt.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wird für das Jahr 2018 (Streitjahr) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er schloss im Jahr 2008 mit der X-Bank mehrere Darlehensverträge über jeweils 50.000 €, 140.000 €, 30.000 € und 100.000 € zur Finanzierung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie ab.
3 Mit Schreiben vom widerrief der Kläger seine auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen. Die X-Bank war der Auffassung, dass ein Widerruf nicht mehr möglich sei, weil die Widerrufsfrist abgelaufen sei. Gleichwohl machte sie dem Kläger ein Vergleichsangebot, das der Kläger annahm. Der Vergleich lautete wie folgt:
„1. Vollständige Rückführung der ausstehenden Darlehensvaluta (...) Wir gehen hierbei davon aus, dass die Darlehensraten bis zur Ablösung gezahlt werden.
2. Aufgrund der vorzeitigen Beendigung der vorgenannten Darlehensverhältnisse entsteht ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung von insgesamt 5.000,00 Euro. Auf die Entrichtung der anfallenden Vorfälligkeitsentschädigung verzichten wir komplett. Unser Institut erstattet Ihrer Mandantschaft pauschal Zinsen von 7.800,00 Euro. Darüber hinaus zahlt die Bank ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und aus Kulanz Nutzungsersatz von 9.600,00 Euro abzüglich anfallender Steuern. (...) Die Zahlungen erfolgen nach Eingang der offenen Darlehensvaluten.
3. Etwaige Sicherheiten geben wir erst frei, wenn wir auf dem Darlehenskonto den Zahlungseingang der ausstehenden Darlehensvaluta verzeichnen können.
4. Mit diesem Vergleich werden sämtliche Rechte und Ansprüche der Vertragsparteien betreffend die (...) geführten Darlehen einschließlich sämtlicher Ansprüche, die sich im Falle einer Wandlung des Darlehensverhältnisses in ein Rückgewährschuldverhältnis ergeben können, abgegolten.
5. Zur Abgeltung sämtlicher Kosten, insbesondere der Rechtsanwaltskosten, die im Zusammenhang mit dieser streitigen Angelegenheit entstanden sind oder noch entstehen werden, zahlen wir 4.800 Euro inklusive Mehrwertsteuer. (...)“
4 Die Bank zahlte den vereinbarten Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € abzüglich Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag im Streitjahr an den Kläger aus.
5 Der Kläger beantragte im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr eine Überprüfung des Einbehalts der Kapitalertragsteuer und machte geltend, dass der Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € nicht der Besteuerung unterliege. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) folgte dem nicht und berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom den streitigen Betrag bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Zinserstattung in Höhe von 7.800 € und die Zahlung zur Abgeltung der Anwaltskosten in Höhe von 4.800 € wurden von den Beteiligten übereinstimmend als nicht steuerbar angesehen.
6 Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 103 mitgeteilten Gründen keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat entschieden, dass der von der X-Bank gezahlte Betrag in Höhe von 9.600 € als Nutzungsersatz für die an die X-Bank erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu besteuern sei.
7 Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts.
8 Der Kläger beantragt,
das und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom dahingehend zu ändern, dass ein Betrag in Höhe von 9.600 € als nicht steuerbar behandelt wird.
9 Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
10 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der X-Bank an den Kläger geleistete Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (unter II.1.). Die Rückabwicklung der Darlehensverträge führt bei dem Kläger auch nicht zu Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG, sodass sich die Vorentscheidung auch nicht gemäß § 126 Abs. 4 FGO im Ergebnis als richtig darstellt (unter II.2.). Die Sache ist spruchreif (unter II.3.). Der Senat gibt der Klage wie beantragt statt.
11 1. Die Entscheidung des FG, dass der im Rahmen der Rückabwicklung der Darlehensverträge von der X-Bank an den Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € zu einem Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG führt, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Nutzungsersatz ist nicht steuerbar. Er beruht nicht auf einer erwerbsgerichteten Tätigkeit des Klägers und ist mithin nicht innerhalb der steuerbaren Erwerbssphäre angefallen.
12 a) Im Streitfall hat das FG den zwischen dem Kläger und der X-Bank geschlossenen Vergleich dahingehend ausgelegt, dass der Kläger so gestellt werden sollte, als ob er die Darlehensverträge wirksam widerrufen hätte und an ihn dementsprechend Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € nach den einschlägigen zivilrechtlichen Regelungen geleistet werden sollte. Dagegen sind keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben worden. Die Auslegung des FG verstößt auch nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze oder Denk- und Erfahrungssätze und ist daher für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom - VIII B 30/01, BFH/NV 2002, 191, m.w.N.; vom - VIII B 4/06, BFH/NV 2007, 490, unter 2.c [Rz 10]).
13 b) Der vom Kläger vereinnahmte Nutzungsersatz in Höhe von 9.600 € ist nicht steuerbar. Im Streitfall ist die Rückabwicklung der Darlehen nach den in den Urteilen des Senats vom - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) dargelegten Maßstäben keine steuerbare erwerbsgerichtete Tätigkeit. Das Rückgewährschuldverhältnis ist bei wirtschaftlicher Betrachtung ertragsteuerlich als Einheit zu behandeln. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückabwicklung einvernehmlich, durch Vergleich, durch zivilgerichtliches Urteil oder auf andere Weise vollzogen wird und ob die Parteien des ursprünglichen Darlehensvertrags —wie im Streitfall— anstelle der Leistung von Wertersatz an die Bank auf eine Rückabwicklung der vom Darlehensnehmer geleisteten Zinsen verzichten.
14 2. Die Entscheidung des FG stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO). Der von der X-Bank geleistete Nutzungsersatz ist nicht nach der allein in Betracht kommenden Regelung zu den Einkünften aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG steuerbar, da es sich bei der Rückabwicklung der Darlehensverträge nicht um einen Leistungsaustausch in der Erwerbssphäre handelt. Wegen der weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit auf seine Urteile vom - VIII R 7/21 und VIII R 16/22 (jeweils zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen) Bezug.
15 3. Das FG ist von anderen Rechtsgrundlagen ausgegangen. Sein Urteil ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat gibt der Klage statt.
16 Der von der X-Bank an den Kläger geleistete Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 9.600 € ist kein steuerbarer Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und keine steuerbare Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG.
17 Die Rückgewähr geleisteter Zinszahlungen in Höhe von 7.800 € führt nicht zu saldierbaren steuerbaren Einnahmen des Klägers, denn die Rückzahlung von Aufwendungen, die außerhalb der Erwerbssphäre angefallen sind, ist ihrerseits nicht durch die Einkünfteerzielung veranlasst (vgl. , BFHE 278, 319, BStBl II 2023, 142; vom - IX R 18/20, BFHE 278, 85, BStBl II 2023, 173; Schmidt/Krüger, EStG, 42. Aufl., § 9 Rz 112, 113). So liegt der Fall, da der Zweck der ursprünglichen Darlehensaufnahme in der Finanzierung einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Immobilie des Klägers bestand und die Zinszahlungen dementsprechend gemäß § 12 Nr. 1 EStG nicht steuermindernd zu berücksichtigen waren.
18 Auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.800 € an den Kläger führt nicht zu saldierbaren steuerbaren Einnahmen, da die betreffenden —und seitens der Bank erstatteten— Aufwendungen wie die zurückgewährten Zinszahlungen außerhalb der Erwerbssphäre des Klägers angefallen und nicht als Werbungskosten abzugsfähig sind. Aufwendungen für einen Zivilprozess und vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten für einen Streit über mögliche Einnahmen des Steuerpflichtigen sind Werbungskosten, wenn der Gegenstand des Prozesses mit der Einkunftsart zusammenhängt, in deren Rahmen die Aufwendungen geltend gemacht werden (, BFHE 278, 85, BStBl II 2023, 173, Rz 19; vom - VIII R 102/79, BFHE 140, 219, BStBl II 1984, 314). Im Streitfall können sich aus der Erstattung der Rechtsverfolgungskosten keine steuerbaren Einnahmen ergeben, weil diese durch die nicht steuerbare Rückabwicklung der Darlehensverträge veranlasst waren.
19 Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom ist wie beantragt dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG ein Betrag in Höhe von 9.600 € nicht bei den laufenden Kapitalerträgen angesetzt wird.
20 Die Berechnung der Steuer wird dem FA übertragen (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
21 4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:U.071123.VIIIR21.21.0- 2 -
Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 503 Nr. 5
UAAAJ-63769