BGH Urteil v. - VIa ZR 141/22

Instanzenzug: Az: 9 U 947/21vorgehend LG Traunstein Az: 1 O 873/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb im Jahr 2016 von der Beklagten einen Neuwagen des Typs VW T6 2.0 TDI mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euro 6). Sie verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie ihre Berufungsanträge weiterverfolgt.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5In Betracht komme nur eine deliktische Haftung aus §§ 826, 31 BGB. Ein hierfür erforderliches vorsätzliches Handeln mit dem Ziel einer sittenwidrigen Schädigung sei nicht hinreichend dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass diesen Vorschriften kein drittschützender Charakter zukomme.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Soweit das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB verneint, sind allerdings Rechtsfehler nicht ersichtlich (vgl. nur VIa ZR 334/21, juris mwN). Die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130224UVIAZR141.22.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-63319