Private Krankenversicherung: Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen
Leitsatz
Aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO folgt grundsätzlich kein Anspruch auf Abschriften der Begründungsschreiben samt Anlagen zu Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung (Anschluss an , NJW 2023, 3490 Rn. 45 ff.).
Gesetze: Art 15 Abs 1 EUV 2016/679, Art 15 Abs 3 EUV 2016/679
Instanzenzug: OLG Celle Az: 8 U 46/22vorgehend LG Verden Az: 8 O 275/20
Tatbestand
1Der Kläger ist bei dem Beklagten privat kranken- und pflegeversichert. Der Beklagte erhöhte in den Jahren 2018 und 2020 die Beiträge. Der Kläger hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig und fordert, soweit für das Revisionsverfahren relevant, den Beklagten auf, ihm Auskunft über weitere, bereits im Jahr 2016 erfolgte Beitragserhöhungen zu erteilen und ihm dabei die Anschreiben, Begründungen nebst Beiblättern zur Beitragsanpassung sowie die Nachträge zum Versicherungsschein zur Verfügung zu stellen. Die entsprechenden Unterlagen lägen ihm nicht vor.
2Das Landgericht hat der Klage insoweit stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht hinsichtlich des Auskunftsanspruchs zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen diesbezüglichen Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
I.
3Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO zu. Bei den Anpassungsmitteilungen handele es sich um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Der Begriff sei weit zu verstehen. Schreiben des Beklagten an den Kläger unterfielen dem Auskunftsanspruch insoweit, als sie Informationen über den Kläger enthielten. Auch wenn es sich bei den Schreiben des Beklagten um Standardschreiben gehandelt haben dürfte, die mit gleichlautendem Inhalt an eine Vielzahl von Empfängern versandt wurden, seien sie doch zumindest auch auf den konkreten Vertrag des Klägers bezogen gewesen. Der Auskunftsanspruch sei selbst dann, wenn dem Kläger die streitgegenständlichen Unterlagen teilweise noch vorliegen sollten, weder exzessiv noch anderweitig rechtsmissbräuchlich.
II.
4Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann der vom Kläger geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht bejaht werden.
51. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich, wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat (Urteil vom - IV ZR 177/22, NJW 2023, 3490 Rn. 45 ff.), nicht auf Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3 DSGVO stützen.
6a) Allerdings ist Art. 15 DSGVO entgegen der Auffassung der Revision im Streitfall in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obwohl die Verarbeitungsvorgänge, auf die sich das Auskunftsersuchen bezieht, im Jahr 2016 und damit vor dem als dem Anwendungsdatum der Datenschutz-Grundverordnung (Art. 99 Abs. 2 DSGVO) ausgeführt wurden. Denn das streitgegenständliche Auskunftsersuchen selbst wurde erst nach diesem Datum vorgebracht (vgl. , NJW 2023, 2555 Rn. 36).
7b) Art. 15 Abs. 1 DSGVO gibt der betroffenen Person gegenüber dem datenschutzrechtlich Verantwortlichen (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) ein Auskunftsrecht über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person ("betroffene Person") beziehen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. , NJW 2023, 2253 Rn. 23 f.; vgl. auch Senat, Urteil vom - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 22 mwN).
8Nach diesen Grundsätzen sind Schreiben der betroffenen Person an den Verantwortlichen ihrem gesamten Inhalt nach als personenbezogene Daten einzustufen, da die personenbezogene Information bereits darin besteht, dass die betroffene Person sich dem Schreiben gemäß geäußert hat, umgekehrt aber - wie hier maßgeblich - Schreiben des Verantwortlichen an die betroffene Person nur insoweit, als sie Informationen über die betroffene Person nach den oben genannten Kriterien enthalten. Dementsprechend sind auch nur die personenbezogenen Daten eines Versicherungsscheins nicht kategorisch vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DSGVO ausgeschlossen (, NJW 2023, 3490 Rn. 48; vgl. auch Senat, Urteil vom - VI ZR 576/19, NJW 2021, 2726 Rn. 25).
9c) Der klägerische Antrag zielt auf die Übermittlung einer Abschrift der gesamten Begründungsschreiben des Beklagten zur im Jahr 2016 erfolgten Beitragserhöhung samt Anlagen ab. Einzelne Teile dieser Schreiben und Anlagen enthalten zwar einzelne personenbezogene Daten des Klägers als Versicherungsnehmer des Beklagten, es handelt sich aber weder bei den Anschreiben des Beklagten selbst noch bei den beigefügten Anlagen (Beiblätter, Nachtrag zum Versicherungsschein) in ihrer Gesamtheit um personenbezogene Daten des Klägers. Eine Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs und seines Antrags auf die in den Schreiben enthaltenen personenbezogenen Daten hat der Kläger jedoch nicht vorgenommen (vgl. , NJW 2023, 3490 Rn.46 ff.).
10d) Auch aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO kann der Kläger keinen Anspruch auf Ausfolgung einer Kopie der Begründungsschreiben samt Anlagen herleiten. Art. 15 Abs. 3 DSGVO legt die praktischen Modalitäten für die Erfüllung des Anspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO fest, gewährt aber keinen weitergehenden eigenen Anspruch. Der Begriff "Kopie" in Art. 15 Abs. 3 DSGVO bezieht sich nicht auf ein Dokument als solches, sondern auf die personenbezogenen Daten, die es enthält. Die Kopie muss daher alle personenbezogenen Daten enthalten, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Die Reproduktion von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken kann sich aber dann als unerlässlich erweisen, wenn die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich ist, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten und der betroffenen Person die wirksame Ausübung ihrer Rechte zu gewährleisten (vgl. , NJW 2023, 2253 Rn. 31 f., 41, 45; vom - C-579/21, NJW 2023, 2555 Rn. 66; vom - C-307/22, NJW 2023, 3481 Rn. 74 f.; , NJW 2023, 3490 Rn. 51 ff.).
11Diese Ausnahme greift vorliegend nicht. Denn der Kläger hat weder dazu vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kontextualisierung der verarbeiteten Daten erforderlich wäre, um ihre Verständlichkeit zu gewährleisten, sodass ausnahmsweise die Übermittlung einer Kopie des jeweiligen vollständigen Begründungsschreibens samt Anlagen nötig wäre (vgl. , NJW 2023, 3490 Rn. 55).
122. Die Entscheidung über den Auskunftsantrag erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
13a) Ein Auskunftsanspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 3 VVG. Nach dieser Vorschrift kann der Versicherungsnehmer vom Versicherer die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheins verlangen, wenn ein Versicherungsschein abhandengekommen oder vernichtet ist. Die mit dem Auskunftsbegehren herausverlangten Anschreiben, Begründungen und Beiblätter werden davon ohnehin nicht erfasst. Aber auch soweit der Kläger beantragt hat, ihm die Nachträge zum Versicherungsschein aus dem Jahr 2016 zur Verfügung zu stellen, kann dies nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden. Der Versicherungsschein hat eine Informations-, Legitimierungs- und Beweisfunktion. Damit sich der Versicherungsnehmer über die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag informieren und diese nachweisen kann, gibt ihm § 3 Abs. 3 VVG einen Anspruch auf Ersatzausstellung des Versicherungsscheins. Dieser erfasst daher nur den Versicherungsschein einschließlich solcher Nachträge, die den derzeit geltenden Vertragsinhalt wiedergeben, nicht dagegen bereits überholte Nachträge (, NJW 2023, 3490 Rn. 42 mwN).
14b) § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG bezieht sich nur auf eigene Erklärungen des Versicherungsnehmers, nicht solche des Versicherers, und scheidet deshalb ebenfalls als Anspruchsgrundlage aus (BGH, aaO Rn. 43 mwN).
15c) Auch auf § 810 BGB kann der Anspruch nicht gestützt werden, da er lediglich die Gestattung der Einsichtnahme in eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde ermöglicht (BGH, aaO Rn. 44 mwN).
16d) Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann der Kläger sein streitgegenständliches Auskunftsbegehren auch nicht auf Treu und Glauben nach § 242 BGB stützen.
17aa) Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen. Innerhalb vertraglicher Beziehungen - wie hier - kann der Auskunftsanspruch auch die Funktion haben, dem Berechtigten Informationen über das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach zu verschaffen. Es müssen dann ausreichende Anhaltspunkte für das Bestehen eines Hauptanspruchs gegeben sein, der mit Hilfe der Auskunft geltend gemacht werden soll (, NJW 2023, 3490 Rn. 30 ff. mwN).
18Zudem sind Feststellungen dazu zu treffen, dass der Berechtigte nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt. Nur dann kann feststehen, dass er über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Treu und Glauben erfordern es nicht, dem Auskunftssuchenden Mühe auf Kosten des Auskunftsverpflichteten zu ersparen (BGH, aaO Rn. 38 mwN).
19Schließlich bedarf es Feststellungen zu den Gründen des Verlusts. Der Versicherungsnehmer ist nicht schon dann entschuldbar über seine Rechte im Ungewissen, wenn er die Unterlagen über die Beitragsanpassungen nicht mehr besitzt und zu den Gründen des Verlusts nicht weiter vorträgt. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (BGH, aaO Rn. 40 mwN).
20bb) Weder zu dem - von dem Beklagten bestrittenen - Umstand des Verlusts der Unterlagen als solchem noch zu den Gründen dieses Verlustes hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus konsequent - Feststellungen getroffen.
III.
21Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die zur Prüfung des Anspruchs aus § 242 BGB erforderlichen Feststellungen treffen kann.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:060224UVIZR15.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 705 Nr. 13
DB 2024 S. 796 Nr. 13
NJW 2024 S. 8 Nr. 16
WM 2024 S. 555 Nr. 12
MAAAJ-61206