BGH Beschluss v. - XIII ZB 46/20

Instanzenzug: LG Paderborn Az: 5 T 75/20vorgehend AG Paderborn Az: 11 XIV(B) 18/20

Gründe

1I. Der Betroffene, ein ghanaischer Staatsangehöriger, reiste am in das Bundesgebiet ein. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (fortan: Bundesamt) mit Bescheid vom als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich forderte es den Betroffenen unter Androhung der zwangsweisen Abschiebung zur Ausreise nach Ghana auf. Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren des Betroffenen blieb ohne Erfolg. Am wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht Dinslaken am Haft zur Sicherung der Abschiebung bis an. Hiergegen legte die anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Beschwerde ein, die mit Beschluss des Landgerichts Duisburg vom zurückgewiesen wurde.

2Auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Paderborn mit Beschluss vom die Haft bis zum verlängert. Die hiergegen eingelegte, nach der Haftentlassung des Betroffenen mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgte Beschwerde ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

3II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

41. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Haftverlängerung für rechtmäßig gehalten. Der Haftverlängerungsantrag sei formell nicht zu beanstanden. Auch habe das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass der Betroffene nach den §§ 50, 58 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei und ein Haftgrund vorgelegen habe. Die Haftanordnung sei auch verhältnismäßig gewesen. Das Amtsgericht habe zudem nicht von Amts wegen prüfen müssen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt habe. Anders liege es nur, wenn dem Haftrichter bekannt sei, dass der Betroffene in einem vorausgegangenen Verfahren anwaltlich vertreten wurde. Dann sei dieser zu fragen, ob eine weitere Vertretung durch den Rechtsanwalt und Teilnahme an der Anhörung gewünscht werde. Vorliegend ergebe sich dies aber weder aus der Gerichtsakte noch aus der Ausländerakte. So sei die Verfahrensbevollmächtigte schon im Beschluss des Amtsgerichts Dinslaken nicht aufgeführt gewesen. Auch sei weder die Beschwerdebegründung der Verfahrensbevollmächtigten im Haftanordnungsverfahren noch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Duisburg in der Akte gewesen.

52. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.

6a) Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Haftanordnung ein zulässiger Haftantrag zugrunde lag.

7aa) Ein zulässiger Haftantrag ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).

8bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag gerecht. Insbesondere bedurfte es keiner weiteren Ausführungen dazu, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion des vollziehbaren Bescheides des Bundesamts auszugehen war (vgl. , InfAuslR 2012, 186, juris Rn. 11, 24; , juris Rn. 10). Denn im Haftantrag wird konkret ausgeführt, dass das Bundesamt mit Bescheid vom den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet abgelehnt und dieser gegen den Bescheid am - erfolglos - Klage erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht gestellt hat. Hieraus ergibt sich zwangsläufig, dass dem Betroffenen der Bescheid des Bundesamts auch zugegangen ist. Die ausdrückliche Benennung eines Zustellnachweises ist nicht erforderlich.

9cc) Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, der Haftantrag habe einen zeitlichen Puffer für potentielle Unwägbarkeiten vorgesehen, für die keine konkreten Anhaltspunkte bestanden hätten, greift dies - auch vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - nicht durch. Unabhängig davon, dass der Senat einen kurzen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen anerkennt (vgl. , juris Rn. 20), war der Hinweis im Haftantrag auf einen solchen für die Begründung der Dauer der beantragten Haftverlängerung schon nicht tragend, da in dem Haftantrag konkret dargelegt wurde, warum für die Buchung des Fluges eine Haftdauer bis erforderlich war.

10b) Die Haft durfte nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auch für einen Zeitraum, der eine Haftdauer von drei Monaten übersteigt, angeordnet werden.

11aa) Frühere Haftzeiten sind in die Gesamtdauer der Sicherungshaft mit einzubeziehen, wenn diese auf die Durchsetzung derselben - auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden - Ausreisepflicht zurückgehen (vgl. , InfAuslR 2020, 165 Rn. 18). Sicherungshaft ist hier erstmals durch Beschluss des Amtsgerichts Dinslaken ab angeordnet und durch den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn bis , mithin über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus, verlängert worden.

12bb) Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur solche Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Bedeutung sein können, sondern auch Gründe, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung überhaupt erst entstanden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 54/17, InfAuslR 2018, 339 Rn. 5; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 21). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (vgl. , juris Rn. 20).

13cc) So liegt es hier. Der Betroffene besaß keine Ausweispapiere und hat auch an einer Passersatzpapierbeschaffung, die für eine Abschiebung nach Ghana erforderlich war, nicht mitgewirkt. Die Passersatzbeschaffung setzt eine persönliche Vorstellung bei einem Vertreter der Botschaft von Ghana voraus (Anhörungsverfahren). Der Betroffene ist bei der zuständigen Vertretung nicht selbst vorstellig geworden und trotz eines vorausgehenden Terminhinweises am in seiner Unterkunft nicht angetroffen worden, so dass er zur geplanten Sammelanhörung an diesem Tag nicht vorgeführt werden konnte. Der nächstmögliche Sammelanhörungstermin nach Festnahme des Betroffenen fand erst am statt, was aufgrund der danach noch erforderlichen Bearbeitungsschritte eine Haftanordnung bis zum erforderlich machte. Wäre der Betroffene im Vorfeld seiner Verhaftung seiner Mitwirkungsverpflichtung an der Passersatzpapierbeschaffung nachgekommen, wäre eine so lange Haftdauer nicht notwendig geworden.

14c) Auch die Rüge der Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren hat keinen Erfolg.

15aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.; vom - XIII ZB 58/20, juris Rn. 7). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 70/21, juris Rn. 9). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. , InfAuslR 2020, 30 Rn. 7).

16bb) Das Amtsgericht muss einen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zum Anhörungstermin aber nur laden und ihn über die Ladung des Betroffenen zu diesem Termin nur unterrichten, wenn der Bevollmächtigte sich in dem Verfahren zur Entscheidung über den Haftantrag der beteiligten Behörde bestellt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 222/09, FGPrax 2010, 154 Rn. 18; vom - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 9). Eine solche Bestellung ist auch nicht entbehrlich, wenn der Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen die Erstanordnung von Sicherungshaft eingelegt hat. Hieraus folgt nicht zwingend eine Bestellung auch für das Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 230/17, Asylmagazin 2018, 387 Rn. 7; vom - V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 10).

17cc) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch angenommen, dass das über einen Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft entscheidende Amtsgericht nicht verpflichtet ist, von Amts wegen zu prüfen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung bei einem anderen Amtsgericht ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat (vgl. , InfAuslR 2020, 30 Rn. 12). Anders liegt es, wenn dem Haftrichter bekannt wird, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde; dann muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 39/19, juris Rn. 7 f. und V ZB 144/17, InfAuslR 2020, 30 Rn. 12).

18dd) Vorliegend ist aber nicht festgestellt und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Amtsgericht Paderborn bei der Anhörung bekannt war, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Dinslaken von einer Rechtsanwältin vertreten wurde. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweist, dies habe sich aus der beigezogenen Ausländerakte ergeben, übersieht sie, dass die Ausländerakte auf Anforderung des Amtsgerichts Paderborn bereits am als PDF übersandt worden ist. Der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Dinslaken vom und die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Duisburg vom , aus denen die den Betroffenen im Beschwerdeverfahren gegen die erstmalige Haftanordnung vertretende Rechtsanwältin ersichtlich war, konnten in der bereits zuvor beigezogenen Ausländerakte somit noch nicht enthalten sein.

193. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160124BXIIIZB46.20.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-61162