BGH Beschluss v. - VII ZB 2/23

Elektronischer Rechtsverkehr im Zwangsvollstreckungsverfahren: Anforderungen an den von der Vollstreckungsbehörde in Form eines elektronischen Dokuments zu erteilenden Vollstreckungsauftrag zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen nach dem Justizbeitreibungsgesetz

Leitsatz

Der von der Vollstreckungsbehörde in Form eines elektronischen Dokuments zu erteilende Vollstreckungsauftrag zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen nach dem Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG), der eine qualifizierte elektronische Signatur des bearbeitenden Mitarbeiters als der verantwortenden Person trägt, genügt den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen (Anschluss an , NJW-RR 2023, 906).

Gesetze: § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 130d S 1 ZPO, § 753 Abs 4 S 2 ZPO, § 753 Abs 5 ZPO, § 6 Abs 1 Nr 1 JBeitrO, § 6 Abs 3 S 2 JBeitrO

Instanzenzug: Az: 51 T 463/22vorgehend AG Berlin-Kreuzberg Az: 31 M 1659/22

Gründe

I.

1Die für den Gläubiger, den Freistaat Thüringen, handelnde Justizzahlstelle des Thüringer Oberlandesgerichts betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen einer Gerichtskostenforderung.

2Im September 2022 stellte der Gläubiger bei dem Amtsgericht Kreuzberg - Gerichtsvollzieherverteilerstelle - einen Vollstreckungsauftrag gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Justizbeitreibungsgesetzes (JBeitrG) in Verbindung mit § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, § 803 ZPO zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen der Schuldnerin. Der aus dem besonderen elektronischen Behördenpostfach (beBPo) der Justizzahlstelle als elektronisches Dokument übersandte Auftrag ist qualifiziert elektronisch signiert, trägt den Namen des Bearbeiters, jedoch weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift.

3Die Erinnerung des Gläubigers gegen die Aufforderung des Gerichtsvollziehers, den Vollstreckungsauftrag auf dem Postweg im Original als vollstreckbare Ausfertigung zu übersenden, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Vollstreckungsauftrag weiter.

II.

4Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen. Der Gerichtsvollzieher darf die Ausführung des Vollstreckungsauftrags nicht mit der Begründung verweigern, der Gläubiger müsse den Vollstreckungsauftrag auf dem Postweg im Original als vollstreckbare Ausfertigung übersenden.

51. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, auch mit Blick auf die verpflichtende elektronische Einreichung des Vollstreckungsauftrags durch den Gläubiger sei weiterhin eine Einreichung des den Titel ersetzenden Vollstreckungsauftrags in Papierform erforderlich.

6Gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG ersetze der Vollstreckungsauftrag die nach § 754 ZPO grundsätzlich erforderliche Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung an das Vollstreckungsorgan. Insoweit seien an den Vollstreckungsauftrag hohe Anforderungen zu stellen; es dürften keine Zweifel an seiner Echtheit bestehen. Der unterschriebene Vollstreckungsauftrag sei daher schriftlich zu stellen und mit einem Dienstsiegel zu versehen. Hierdurch sei gewährleistet, dass aus dem Schriftstück die Person erkennbar werde, die für seinen Inhalt die Verantwortung übernehme. Eine Prüfung durch den Gerichtsvollzieher sei nur dann möglich, wenn er das Original des Vollstreckungsauftrags in den Händen halte. Dass der Vollstreckungsauftrag von der Bearbeiterin mit einer qualifizierten Signatur auf sicherem Übermittlungsweg an den Gerichtsvollzieher übermittelt worden sei, rechtfertige keine Ausnahme. Durch § 753 Abs. 4 und 5 und die §§ 130 ff. ZPO habe keine Vereinfachung des Zwangsvollstreckungsverfahrens erreicht werden sollen, so dass diese Anforderungen auch bei einer elektronischen Einreichung des Vollstreckungsauftrags Geltung beanspruchten.

7Weder die qualifizierte elektronische Signatur noch die einfache Signatur in Kombination mit einem sicheren Übermittlungsweg könnten die durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Anforderungen an den Vollstreckungsauftrag erfüllen. Die qualifizierte elektronische Signatur ersetze zwar die Unterschrift und gebe daher die Person wieder, die die Verantwortung für den Vollstreckungsauftrag übernehme; allerdings fehle es an einem Pendant zum Dienstsiegel. Die Versendung aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach möge zwar ein Dienstsiegel ersetzen; allerdings fehle es an einer Unterschrift.

82. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9Zu Recht beanstandet die Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht die Ausführung des Vollstreckungsauftrags des Gläubigers von der Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform abhängig gemacht hat.

10a) Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 JBeitrG von den Gerichtskassen als Vollstreckungsbehörden vollstreckt, soweit die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Gemäß § 1 der Thüringer Verordnung über die Zuständigkeiten der Justizzahlstelle (GVBl. für den Freistaat Thüringen 2012, Nr. 8, S. 304) ist das Oberlandesgericht - Justizzahlstelle - Vollstreckungsbehörde für die Beitreibung unter anderem der in § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 JBeitrG bezeichneten Ansprüche der Justizbehörden des Landes. Zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen richtet die Vollstreckungsbehörde gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 JBeitrG, § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO einen schriftlichen Vollstreckungsauftrag an den Vollziehungsbeamten. Der Vollstreckungsauftrag ist von der Vollstreckungsbehörde nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 5, § 130d Satz 1 ZPO zwingend in Form eines elektronischen Dokuments zu erteilen. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 2, § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.

11b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts genügt der von der Vollstreckungsbehörde in Form eines elektronischen Dokuments zu erteilende Vollstreckungsauftrag zur Pfändung und Verwertung beweglicher körperlicher Sachen nach dem JBeitrG, der eine qualifizierte elektronische Signatur des bearbeitenden Mitarbeiters als der verantwortenden Person trägt, den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 2, § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). In Ermangelung weiterer Formerfordernisse bedarf es insbesondere nicht der zusätzlichen Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel.

12aa) Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden und im Einzelnen begründet hat, entspricht der auf Abnahme der Vermögensauskunft nach § 7 Satz 1 Halbsatz 1 JBeitrG an den Gerichtsvollzieher gerichtete Vollstreckungsantrag den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist. Damit hat der Gesetzgeber die formellen Anforderungen abschließend festgelegt ( Rn. 15, NJW-RR 2023, 906; Beschluss vom - I ZB 103/22 Rn. 11, juris; Beschluss vom - I ZB 104/22 Rn. 11, juris; Beschluss vom - I ZB 115/22 Rn. 13, juris; vgl. ferner Beschluss vom - I ZB 1/23 Rn. 13, juris; Beschluss vom - I ZB 114/22 Rn. 15, juris; ebenso Rn. 13, MDR 2023, 1340 sowie - für Vollstreckungsanträge nach § 322 Abs. 3 AO - Rn. 6 ff., juris).

13bb) Dass hier nicht über einen Vollstreckungsantrag an den Gerichtsvollzieher nach § 7 Satz 1 Halbsatz 1 JBeitrG, sondern einen Sachpfändungsauftrag nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 802a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO, den die Vollstreckungsbehörde an den Gerichtsvollzieher gerichtet hat, zu befinden ist, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Gerichtsvollzieher ist gemäß § 196 Satz 1 der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) zuständig, als Vollziehungsbeamter nach dem JBeitrG für die nach dieser Vorschrift beizutreibenden Ansprüche mitzuwirken. Der Gerichtsvollzieher nimmt insoweit - rechtlich unbedenklich (vgl. , BVerwGE 62, 253, juris Rn. 20 ff.) - die Aufgaben eines Vollziehungsbeamten nach § 6 Abs. 3 Satz 2 JBeitrG wahr.

14Ein solcher Sachpfändungsauftrag unterliegt mangels insoweit abweichender verfahrensrechtlicher Bestimmungen keinen strengeren formellen Anforderungen als ein Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 Halbsatz 1 JBeitrG. Trägt der Sachpfändungsauftrag eine qualifizierte elektronische Signatur des bearbeitenden Mitarbeiters der Vollstreckungsbehörde, sind daher die formellen Anforderungen erfüllt. Um die Pflicht zur elektronischen Erteilung des Vollstreckungsauftrags nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 5, § 130d ZPO praktisch wirksam werden zu lassen und dem gesetzgeberischen Ziel zu entsprechen, den elektronischen Rechtsverkehr auch auf das Justizbeitreibungsverfahren zu erstrecken und dort eine Verwaltungsvereinfachung zu erzielen, ist eine zusätzliche Einreichung des Vollstreckungsauftrags in Papierform mit Unterschrift und Dienstsiegel nicht erforderlich (so schon für den Antrag nach § 7 Satz 1 Halbsatz 1 JBeitrG Rn. 22 ff., NJW-RR 2023, 906; Beschluss vom - I ZB 103/22 Rn. 18 ff., juris; Beschluss vom - I ZB 104/22 Rn. 18 ff., juris; Beschluss vom - I ZB 115/22 Rn. 16 ff., juris; siehe auch Rn. 15, juris).

15c) Gemessen daran genügt der mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des handelnden Mitarbeiters als der verantwortenden Person versehene Vollstreckungsauftrag der Gläubigerin den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden formellen Anforderungen.

III.

16Danach sind die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

IV.

17Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170124BVIIZB2.23.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 12
NJW-RR 2024 S. 410 Nr. 6
WM 2024 S. 649 Nr. 14
LAAAJ-60606