BGH Urteil v. - IX ZR 17/23

Insolvenzanfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung durch die Auszahlung von Scheingewinnen

Gesetze: § 129 Abs 1 InsO, § 134 Abs 1 InsO, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, § 814 BGB, § 43 Abs 5 S 1 EStG, § 44 Abs 5 S 2 Nr 2 EStG

Instanzenzug: Az: 3 U 10/22vorgehend Az: 4 O 386/20

Tatbestand

1Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E.          mbH & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin), welche Kapitalanlegern die Möglichkeit der Beteiligung als stille Gesellschafter bot. Die Schuldnerin warb bei Anlegern Gelder ein und reichte sie auf der Grundlage eines Rahmenkreditvertrags in Tranchen weiter an ihre Gründungskommanditistin zu 90 %, die L.      GmbH & Co. KG (im Folgenden: L.    ). Letztere sollte mit den Geldern ein Luxuspfandhaus betreiben und aus den Einnahmen die Rückzahlung der Darlehen nebst Zinsen an die Schuldnerin bewirken. Weiterer Kommanditist der Schuldnerin zu 10 % war     M.   . Laut dem Gesellschaftsvertrag der Schuldnerin waren deren Kommanditisten zur Geschäftsführung berufen; die Komplementärin war demgegenüber von der Geschäftsführung ausgeschlossen.

2Der Beklagte schloss mit Beitrittserklärung vom eine stille Gesellschaft mit der Schuldnerin im Rahmen des Angebots "L.      PP" über eine Einlage von 200.000 € zuzüglich Agio bei einer Laufzeit von 36 Monaten ab. Dieser Anlage lagen der Prospekt L.      PP sowie der darin enthaltene Gesellschaftsvertrag zur Errichtung einer stillen Gesellschaft zugrunde.

3Tatsächlich betrieb die L.     ein Schneeballsystem und wurden die von der Schuldnerin investierten Anlegergelder zweckwidrig für Darlehen innerhalb der Gruppe verwendet. Ein Pfandleihgeschäft wurde im großen Stil vorgetäuscht. Die Inpfandnahmen betrafen zumeist absichtlich zu hoch bewertete, gefälschte und wertlose Faustpfänder sowie Inhabergrundschuldbriefe oder Inhaberaktien nahestehender Personen oder Unternehmen. Aufgrund von Rahmenverrechnungsvereinbarungen mit der Schuldnerin verrechnete die L.     das fällige Darlehen mit einem neu ausgereichten, um eine tatsächliche Rückerstattung an die Schuldnerin zu umgehen. Das neue Darlehen wurde für einen Pfandkredit verwendet, der teils mit demselben Objekt wie zuvor, nur mit neuer Pfandnummer und höherer Bewertung, gesichert war. Infolge dieser Geschäftspraxis waren die von der Schuldnerin an die L.     ausgereichten Darlehen zum großen Teil nicht werthaltig.

4Der Beklagte erhielt von der Schuldnerin in den Jahren 2014 bis 2015 Auszahlungen in Höhe von insgesamt 21.333,33 € abzüglich Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % und Solidaritätszuschlag in Höhe von 5,5 %. Die neu aufgestellten Jahresabschlüsse der Schuldnerin für die Geschäftsjahre 2013 bis 2016 weisen allesamt ein negatives Ergebnis aus, ein Gewinn wurde in diesem Zeitraum nicht erwirtschaftet. Über das Vermögen der L.     wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet.

5Der Kläger hat den Beklagten unter dem Gesichtspunkt der unentgeltlichen Leistung gemäß § 134 InsO auf Rückgewähr der Auszahlungen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 21.333,33 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

6Die zulässige Revision ist nicht begründet.

I.

7Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Bei den Auszahlungen der Schuldnerin habe es sich um Scheingewinne und daher um unentgeltliche Leistungen gehandelt. Der Schuldnerin sei auch im Sinne von § 814 BGB bekannt gewesen, dass sie zu den Leistungen nicht verpflichtet gewesen sei. Entweder erfolge eine Zurechnung - wovon auszugehen sei - bereits aufgrund der Kenntnis des Geschäftsführers von der Rechtsgrundlosigkeit der Zahlungen oder jedenfalls aufgrund der Kenntnis des Hintermannes. Die Geltendmachung des Rückgewähranspruchs verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, weil der Schutz des Beklagten als einer der getäuschten Anleger es nicht gebiete, den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zurücktreten zu lassen. Die von den Auszahlungsbeträgen einbehaltene Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag unterlägen ebenfalls der Anfechtung. Die Abgeltungswirkung zugunsten des Beklagten sei bereits mit dem Steuerabzug eingetreten, ohne dass es auf die Anmeldung und Abführung der Steuer durch die Schuldnerin ankomme. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Abgeltungswirkung gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2, § 44 Abs. 1 Satz 10 und 11, Abs. 5 EStG seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch die Voraussetzungen für eine Entreicherung des Beklagten in Bezug auf die einbehaltenen Beträge seien nicht dargelegt.

II.

8Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.

91. Die zugunsten des Beklagten innerhalb von vier Jahren vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgten Ausschüttungen stellen unentgeltliche Leistungen der Schuldnerin gemäß § 134 Abs. 1 InsO dar. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung bewirkt (§ 129 Abs. 1 InsO).

10a) Zutreffend ist das Berufungsgericht von der rechtswirksamen Beteiligung des Beklagten als stiller Gesellschafter an der Schuldnerin ausgegangen. Sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB wäre lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene System, nicht aber die mit dem gutgläubigen Beklagten vereinbarte Kapitalanlage, und auch ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB, § 263 StGB) richtete sich nur gegen die Schuldnerin (vgl. , NZI 2021, 973 Rn. 14 f).

11b) Auszahlungen an Anleger - sei es auf ihre Gewinnbeteiligung, sei es auf ihre Einlage - sind gemäß § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar, wenn der Schuldner sie ohne Rechtsgrund vorgenommen hat und ihnen nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung (§ 140 InsO) keine ausgleichende Gegenleistung gegenübersteht (vgl. , BGHZ 214, 350 Rn. 10 mwN; vom - IX ZR 121/22, NZI 2023, 543 Rn. 11 f). Dies ist bei Leistungen ohne Rechtsgrund der Fall, wenn kein Rückforderungsanspruch in das Vermögen des Schuldners gelangt ist. Zur Annahme der Unentgeltlichkeit kann es daher führen, wenn eine rechtsgrundlose Leistung in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) oder unter den Voraussetzungen des § 817 Satz 2 BGB vorgenommen wird (vgl. aaO Rn. 16; vom - IX ZR 167/18, BGHZ 222, 283 Rn. 95; vom - IX ZR 247/19, NZI 2021, 30 Rn. 10 f; vom - IX ZR 26/20, NZI 2021, 973 Rn. 12; vom , aaO Rn. 16).

12Nach diesen Maßstäben kann der Insolvenzverwalter die Auszahlung von Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten (, NZI 2010, 605 Rn. 6; vom - IX ZR 198/10, NZI 2013, 841 Rn. 9; vom - IX ZR 247/19, NZI 2021, 30 Rn. 10 f; vom - IX ZR 26/20, NZI 2021, 973 Rn. 12). Ausschlaggebend ist, dass dem Anleger nach den vertraglichen Vereinbarungen nur ein Anspruch auf eine Beteiligung am Gewinn zusteht, tatsächlich jedoch ein solcher Gewinn nicht erzielt worden ist. Es handelt sich dann um eine Leistung ohne Rechtsgrund. Dass die Schuldnerin ein Schneeballsystem betrieben haben soll, sagt hingegen für sich genommen nichts darüber aus, ob die Voraussetzungen des § 134 InsO erfüllt sind ( aaO Rn. 35 mwN; Beschluss vom - IX ZR 17/22, NZI 2023, 332 Rn. 4).

13c) Die Revision macht demgegenüber geltend, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liege keine unentgeltliche Leistung vor. Der Beklagte habe Anspruch auf die streitbefangenen Auszahlungen gehabt, weil die Schuldnerin und die Anleger bei verständiger Auslegung des stillen Gesellschaftsvertrags an den festgestellten Jahresabschluss der Schuldnerin gebunden seien, solange dessen Nichtigkeit - wie hier - nicht analog § 256 AktG festgestellt sei. Dem kann - wie der Senat im Parallelverfahren mit Urteil vom (IX ZR 10/23) entschieden und näher begründet hat - nicht gefolgt werden.

142. Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass den Zuwendungen der Schuldnerin keine ausgleichende Gegenleistung gegenübersteht, weil die für die Schuldnerin verantwortlich handelnden Personen positive Kenntnis im Sinne des § 814 BGB vom Fehlen einer Auszahlungspflicht gehabt haben, hält den Angriffen der Revision stand.

15a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Zahlungen an den Beklagten nicht nach § 134 InsO anfechtbar wären, wenn die Schuldnerin sie ohne Rechtsgrund vorgenommen, ihr deswegen ein Bereicherungsanspruch zugestanden und der Beklagte diesem nicht § 814 BGB hätte entgegenhalten können (vgl. , NZI 2021, 973 Rn. 12). Nach § 814 Fall 1 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung. Zur Kenntnis der Nichtschuld genügt es nicht, dass dem Leistenden die Tatsachen bekannt sind, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt; der Leistende muss vielmehr aus diesen Tatsachen nach der maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung gezogen haben (, NZI 2021, 30 Rn. 30; vom - IX ZR 26/20, aaO Rn. 22). Weiß der Schuldner, dass er keine Gewinne, sondern im Gegenteil Verluste erwirtschaftet und ein betrügerisches Schneeballsystem betreibt, dann weiß er auch, dass die vereinbarten Voraussetzungen für die Ausschüttung nicht vorliegen und die Anleger keine Ansprüche auf die Ausschüttungen gegen ihn haben. Dagegen spricht nicht, dass die festgestellten Jahresabschlüsse fälschlich Gewinne und keine Jahresfehlbeträge ausweisen und von einem Wirtschaftsprüfer bestätigt worden sind. Denn der Schuldner hat aufgrund seiner Kenntnis, dass er nur noch Verluste erwirtschaftet und das eingeworbene Kapital ganz oder aber zu einem großen Teil benutzen muss, um die früheren Anleger zu bezahlen, auch Kenntnis davon, dass die betroffenen Jahresabschlüsse fehlerhaft sind und keine Grundlage für die vereinbarten Ausschüttungen darstellen können (, aaO Rn. 31; vom - IX ZR 26/20, aaO Rn. 36).

16b) Die Beantwortung der Tatfrage, ob die für die Schuldnerin verantwortlich Handelnden wussten, dass keine Verpflichtung zu Zahlungen an den Beklagten bestand, obliegt dem Berufungsgericht. Grundsätzlich ist die Würdigung, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist, Sache des Tatrichters, der unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat. Der Tatrichter ist bei einem auf Indizien gestützten Beweis grundsätzlich frei, welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst. Das Revisionsgericht ist an seine Feststellungen nach § 559 ZPO gebunden und überprüft die Beweiswürdigung lediglich dahin, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 Abs. 1 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (, NZI 2021, 973 Rn. 23 mwN).

17c) Nach diesen Maßstäben greifen die gegen die tatrichterliche Würdigung geführten Angriffe der Revision nicht durch. Dies hat der Senat im Parallelverfahren mit Urteil vom (IX ZR 10/23) entschieden und näher begründet.

183. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der Anfechtungsanspruch auf für die Scheingewinne einbehaltene Steuern erstreckt. Demgegenüber rügt die Revision ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe den Vortrag des Beklagten nicht berücksichtigt, eine Abführung der Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags an das Finanzamt sei durch die Schuldnerin nicht erfolgt.

19a) Voraussetzung für den Nichteintritt der Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ist gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 EStG in Verbindung mit § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 EStG, dass das die Kapitalerträge auszahlende inländische Finanzdienstleistungsinstitut die Kapitalerträge zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt hat. Erforderlich ist positives Wissen, eine Vermutung reicht nicht (Gersch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 2012, § 44 Rn. F 43). Diese Kenntnis hat der Gläubiger der Kapitalerträge und Steuerschuldner im Fall eines vorgenommenen Einbehalts, aber unterlassener Abführung nicht zwangsläufig, da er lediglich den Nettobetrag erhalten hat und ohne Einblick in die Organisation des Entrichtungspflichtigen nicht notwendig weiß, wo der einbehaltene Betrag verblieben ist (Herkenroth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 2023, § 44 EStG Rn. 113). Das Wissen darum, dass es voraussichtlich nicht zur Abführung kommen wird, reicht nicht aus (BFH BFH/NV 2004, 635).

20b) Die Revision zeigt keinen vom Berufungsgericht übergangenen Sachvortrag auf, aus dem sich das positive Wissen des Beklagten um die unterlassene Abführung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag ergeben würde. Auch dem als übergangen gerügten Vorbringen, die Schuldnerin habe systematisch keine Kapitalertragsteuer und keinen Solidaritätszuschlag an das Finanzamt abgeführt, ist nicht zu entnehmen, dass der Beklagte von der Nichtabführung gewusst hätte.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141223UIXZR17.23.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-59860