BSG Beschluss v. - B 6 KA 73/16 B

Vertragsärztliche Versorgung - Honoraranspruch - Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung

Gesetze: § 15 Abs 1 S 1 SGB 5, § 32 Abs 1 S 1 Ärzte-ZV

Instanzenzug: Az: S 21 KA 484/11 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 12 KA 136/14 Urteil

Gründe

1I. Der Kläger, der als hausärztlich tätiger Internist zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Richtigstellung wegen nicht persönlich erbrachter Leistungen und eine daraus resultierende Rückforderung der beklagten KÄV in Höhe von ca 57 157 Euro für die Quartale I/2007 bis II/2008.

2Der Kläger war im hier maßgebenden Zeitraum in der Form einer Praxisgemeinschaft mit der Gemeinschaftspraxis Dr. P. und Dr. S. verbunden. Er nutzte - zusammen mit der Gemeinschaftspraxis - die einige hundert Meter von seinem Praxissitz entfernten ehemaligen Praxisräume des Dr. M., der seine Tätigkeit als Vertragsarzt aufgegeben hatte, als (genehmigte) Zweigpraxis.

3Aufgrund von auffälligen Abrechnungsdaten (Behandlungsleistungen mit Prüfzeiten von täglich mehr als 12 Stunden) führte die Beklagte eine Plausibilitätsprüfung durch. Nach Durchführung weiterer Ermittlungen einschließlich der Auswertung von Rezepten, die nicht vom Kläger, sondern von Dr. M. oder auch anderen Personen unterschrieben worden waren, berichtigte die Beklagte die Honorarabrechnung des Klägers für die Quartale I/2007 bis II/2008 im Wesentlichen mit der Begründung, dass der Kläger einen Teil der abgerechneten Leistungen nicht persönlich erbracht habe. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.

4Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.

5II. Die Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.

61. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; B 9a/9 VG 15/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 5 RdNr 3). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt dann, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist und/oder wenn sie sich ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus der bereits vorliegenden Rechtsprechung klar beantworten lässt (hierzu s zB - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; - SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (s die BVerfG-Angaben in - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 sowie BVerfG ff <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2597/05 - SozR 4-1500 § 160a Nr 16 RdNr 4 f; BVerfG <Kammer> Beschluss vom - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff).

8Auf die formulierte Rechtsfrage kommt es für die Entscheidung in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist kein Arzneimittelregress wegen fehlerhafter Verordnung von Arzneimitteln, sondern eine Honorarrückforderung wegen nicht persönlicher Erbringung von Leistungen, die der Kläger als eigene gegenüber der KÄV abgerechnet hat. Der Umstand, dass nicht der Kläger, sondern Dr. M. und andere Ärzte Arzneimittelverordnungen auf dem Rezeptblock des Klägers unterschrieben haben, ist im vorliegenden Verfahren nicht unmittelbar Grund für die Rückforderung, sondern eines von mehreren Indizien, die dafür sprechen, dass der Kläger auch Behandlungen, die er gegenüber der Beklagten abgerechnet hat, nicht selbst erbracht und damit gegen die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung (§ 15 Abs 1 Satz 1 SGB V, § 32 Abs 1 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, § 15 Abs 1 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte) verstoßen hat. Für nicht persönlich erbrachte Leistungen steht dem Kläger ein Honoraranspruch nicht zu (stRspr, vgl zB - BSGE 80, 1 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2; - SozR 4-5540 § 25 Nr 1 RdNr 18 mwN). Dass für die Entscheidung über daraus folgende Honorarberichtigungen die KÄVen und nicht die Prüfgremien zuständig sind, ergibt sich eindeutig aus § 106a Abs 2 SGB V in der hier noch maßgebenden Fassung der Jahre 2007 und 2008.

10Soweit die formulierte Rechtsfrage jedoch dahin zu verstehen sein sollte, dass das LSG hier auf der Grundlage der durchgeführten Ermittlungen nicht zu der Beurteilung hätte gelangen dürfen, dass der Kläger die Leistungen in einem Umfang nicht persönlich erbracht hat, der dem Anteil der von anderen Ärzten unterschriebenen Rezepte entspricht, fehlt es an der erforderlichen Klärungsbedürftigkeit über den Einzelfall hinaus. Insoweit rügt er die hier vorgenommene Beweiswürdigung durch das LSG. In Betracht käme insoweit allenfalls ein Verfahrensmangel, der jedoch gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) gestützt werden kann (vgl - Juris). Die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht wäre nach § 103 SGG nur statthaft, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezöge, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Einen entsprechenden Verfahrensmangel hat der Kläger nicht geltend gemacht. Im Übrigen hat das LSG bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der KÄV in Fällen wie dem Vorliegenden, in dem - auch nach Auffassung des Senats - eine zumindest grob fahrlässige Falschabrechnungen außer Frage steht, ein weites Schätzungsermessen bei der Ermittlung der Höhe des Regresses zukommt (grundlegend: - SozR 3-5550 § 35 Nr 1 S 1, 6, 9; ebenso für den Fall einer nur pro forma bestehenden Gemeinschaftspraxis: - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 69).

112. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

123. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2017:280617BB6KA7316B0

Fundstelle(n):
RAAAJ-58745