Anfrage an den 8. Senat zu den Voraussetzungen des nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderlichen berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts
Leitsatz
Bedarf es in den Fällen sich typischerweise kurzfristig erledigender Maßnahmen, die während des Andauerns der Beschwer regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten, für das berechtigte Feststellungsinteresse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eines qualifizierten Grundrechtseingriffs?
Gesetze: § 113 Abs 1 S 4 VwGO, § 11 Abs 3 S 1 VwGO, § 11 Abs 3 S 3 VwGO, Art 19 Abs 4 S 1 GG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 5 A 2000/20 Urteilvorgehend VG Gelsenkirchen Az: 17 K 2391/19nachgehend Az: 8 AV 1/24 Beschluss
Gründe
I
1Der 6. Senat hat in einem Revisionsverfahren über die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu entscheiden. Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Betretungs- und Aufenthaltsverbots für die Dortmunder Innenstadt, das ihm gegenüber durch Bescheid des Polizeipräsidiums Dortmund vom für die Zeit von 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr am anlässlich der an diesem Tag angesetzten Begegnung der ersten Fußballbundesliga zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04 ("Revierderby") angeordnet worden war. Zur Begründung hatte das Polizeipräsidium u. a. ausgeführt, der Kläger sei als "Capo" der gewaltbereiten Fanszene zuzurechnen. Aufgrund seines im Zusammenhang mit Fußballgroßveranstaltungen bisher gezeigten Verhaltens müsse damit gerechnet werden, dass er bewusst und geplant im Rahmen der genannten Begegnung Straftaten begehen bzw. zu ihrer Begehung beitragen werde.
2Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe kein berechtigtes Interesse analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des bereits vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsakts. Es sei weder eine hinreichende Wiederholungsgefahr noch ein rechtlich erhebliches Rehabilitationsinteresse erkennbar. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse werde zwar auch in Fällen angenommen, in denen sich ein gewichtiger Grundrechtseingriff durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in der der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung eröffneten (Hauptsache-)Instanz nicht erlangen könne. Ein entsprechend gewichtiger Grundrechtseingriff liege jedoch bei dem zeitlich auf wenige Stunden befristeten und räumlich auf einen innerstädtischen Bereich Dortmunds beschränkten Aufenthalts- und Betretungsverbot nicht vor. Entgegen der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlange Art. 19 Abs. 4 GG nicht, dass jeder sich zeitnah erledigende Eingriff in Grundrechte, soweit er nicht als schwerwiegend in dem vorgenannten Sinne anzusehen sei, oder in sonstige Rechtspositionen zur Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses führe. Eine Ausweitung dieser Fallgruppe des besonderen Rechtsschutzinteresses im Anwendungsbereich des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sei vielmehr mit seiner prozessualen Funktion, eine Fortsetzungsfeststellungsklage nur in bestimmten Fällen zuzulassen, nicht vereinbar und auch nicht notwendig, um Rechtsschutzlücken zu schließen ( - juris).
3Mit der vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, auf die Intensität des Eingriffs könne es für die Frage nach dem berechtigten Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nicht ankommen.
II
4Die Anfrage beruht auf § 11 Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO.
5Der 6. Senat möchte in dem zu entscheidenden Fall an seiner Rechtsprechung festhalten, dass das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung jenseits der anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses grundsätzlich nur dann erfüllt ist, wenn neben der Voraussetzung, dass sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnte, die weitere Voraussetzung erfüllt ist, dass der Verwaltungsakt zu einem qualifizierten Grundrechtseingriff geführt hat (1.). Damit würde der 6. Senat jedoch im Sinne des § 11 Abs. 2 VwGO von der in dem Urteil des 8. Senats vom - 8 C 3.20 - (BVerwGE 171, 242 Rn. 11) zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung abweichen, dass es auf das Vorliegen eines qualifizierten Grundrechtseingriffs für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse grundsätzlich nicht ankommt (2.). Da die Abweichung im vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist (3.), fragt der 6. Senat bei dem 8. Senat an, ob er an seiner Rechtsauffassung festhält.
61. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts, das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist, rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben, kann aber auch aus anderen besonderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern (vgl. 6 C 1.16 - BVerwGE 158, 301 Rn. 29 m. w. N.; Beschluss vom - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 10).
7Eine weitere in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG grundsätzlich anerkannte Fallgruppe betrifft Verwaltungsakte, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt (vgl. 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 32, vom - 2 C 5.19 - BVerwGE 170, 319 Rn. 15, vom - 3 C 14.21 - NJW 2023, 2658 Rn. 14 f. und vom - 1 C 19.21 - juris Rn. 17; Beschlüsse vom - 7 B 1.16 - Buchholz 406.25 § 16 BImSchG Nr. 3 Rn. 25 und vom - 6 B 56.18 - DVBl. 2019, 711 Rn. 12).
8Bei der Feststellung, dass sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden kann, handelt es sich nach der Auffassung des 6. Senats jedoch nicht um eine hinreichende, sondern nur um eine notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO dieser Fallgruppe. Neben dem Erfordernis einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme muss darüber hinaus die weitere Voraussetzung eines qualifizierten (tiefgreifenden, gewichtigen bzw. schwerwiegenden) Grundrechtseingriffs erfüllt sein. Die dahingehende Auslegung des Verwaltungsprozessrechts (a) wird weder durch verfassungsrechtliche (b) oder europarechtliche Vorgaben (c) noch durch praktische Schwierigkeiten bei der Abgrenzung (d) in Frage gestellt.
9a) Aus dem Wortlaut des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergibt sich, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können ( 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 30). Dies spricht dagegen, das Erfordernis einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme als hinreichende und nicht nur als notwendige Voraussetzung für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzusehen, sofern weder eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitationsinteresse noch ein Präjudizinteresse für einen Amtshaftungsprozess vorliegt. Der Verzicht auf die Voraussetzung eines qualifizierten Grundrechtseingriffs hätte in Regelungsbereichen, die - wie insbesondere im Polizeirecht - durch Maßnahmen mit typischerweise nur kurzer Geltungsdauer geprägt werden, im Ergebnis zur Folge, dass die in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geregelte Sachurteilsvoraussetzung des berechtigten Interesses auch dann erfüllt wäre, wenn sich das mit der Fortsetzungsfeststellungsklage verfolgte Anliegen in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpft. Da jeder belastende Verwaltungsakt zumindest in Art. 2 Abs. 1 GG eingreift, würde das prozessuale Erfordernis eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses insoweit praktisch leerlaufen (vgl. 10 ZB 16.965 - NJW 2017, 2779 Rn. 10; OVG Schleswig, Urteil vom - 4 LB 36/17 - juris Rn. 32).
10Die bei einem Verzicht auf die Voraussetzung eines qualifizierten Grundrechtseingriffs eintretende Folge, dass im Bereich polizeilicher oder sonstiger Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, regelmäßig bereits die Geltendmachung eines einfachen Klärungsinteresses als Sachurteilsvoraussetzung ausreicht, entspräche auch nicht der in § 42 Abs. 2 und § 113 VwGO zum Ausdruck kommenden Ausrichtung des deutschen Verwaltungsprozesses auf den Individualrechtsschutz, der grundsätzlich nicht der objektiven Verwaltungskontrolle, sondern der Durchsetzung materieller subjektiv-öffentlicher Rechte dient (vgl. hierzu Rennert, DVBl. 2017, 69 <70>; Wahl, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, Vorb. zu § 42 Abs. 2 Rn. 11 ff.; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 42 Abs. 2 Rn. 6; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 Rn. 1).
11Dass die kurzfristige Erledigung der Maßnahme nur als notwendige und nicht auch als hinreichende Voraussetzung für das Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzusehen ist, wird schließlich auch durch § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestätigt, demzufolge nach Erledigung der Hauptsache grundsätzlich nur noch nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden ist. Damit wollte der Gesetzgeber die Regelung des § 91a ZPO übernehmen, weil diese "eine erhebliche Arbeitseinsparung bei den Gerichten" bewirke (BT-Drs. 3/55 S. 47 zu § 158 des VwGO-Entwurfs). Der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift und damit der angestrebte Entlastungseffekt wäre jedoch deutlich eingeschränkt, wenn bei allen Maßnahmen, die sich typischerweise kurzfristig erledigen, regelmäßig allein schon das Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit zur Fortsetzung des Prozesses mit abschließendem Sachurteil führen würde (vgl. Unterreitmeier, NVwZ 2015, 25 <28>).
12b) Die auf eine systematische und teleologische Auslegung des Verwaltungsprozessrechts gestützte Rechtsauffassung, dass das durch § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geforderte berechtigte Interesse an der Feststellung in den Fällen einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme außerdem die Geltendmachung eines qualifizierten Grundrechtseingriffs voraussetzt, sofern nicht zugleich die Kriterien einer der in der Rechtsprechung etablierten Fallgruppen (z. B. Wiederholungsgefahr) erfüllt sind, steht nicht in Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
13Prüfungsmaßstab ist Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, wonach jemandem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offensteht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält diese Norm ein Grundrecht auf wirksamen und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gewährleistet. Sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne die Möglichkeit fachgerichtlicher Prüfung zu tragen hat. Die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens ist allerdings vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses bei der Verfolgung eines subjektiven Rechts abhängig. Damit der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht unzumutbar beschränkt wird, dürfen aber an ein solches Rechtsschutzbedürfnis keine aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Anforderungen gestellt werden ( - BVerfGE 110, 77 <85> m. w. N.).
14Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert den Rechtsweg nicht nur bei aktuell anhaltenden, sondern grundsätzlich auch bei Rechtsverletzungen, die in der Vergangenheit erfolgt sind, allerdings unter dem Vorbehalt eines darauf bezogenen Rechtsschutzbedürfnisses. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, wenn die Fachgerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 817/90, 728/92, 802/95, 1065/95 - BVerfGE 96, 27 <39 f.> und vom - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <85 f.> m. w. N.). Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gebietet darüber hinaus, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in Fällen gewichtiger, allerdings in tatsächlicher Hinsicht überholter Grundrechtseingriffe zu eröffnen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann ( - BVerfGE 110, 77 <85 f.> m. w. N.). Hingegen gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann. Dies dient auch der Entlastung der Gerichte, die damit Rechtsschutz insgesamt für alle Rechtsschutzsuchenden schneller und effektiver gewähren können (, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232>). Ebenso wie das einfachrechtliche Verwaltungsprozessrecht garantiert auch das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz dem Bürger keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle der Verwaltung, sondern trifft eine Systementscheidung für den Individualrechtsschutz (vgl. - NVwZ 2009, 1426 <1427>).
15Das Bundesverfassungsgericht sieht es mithin nicht als durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geboten an, dass bei allen Maßnahmen, die in tatsächlicher Hinsicht überholt sind, die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung eröffnet wird, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Vielmehr setzt das von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geforderte berechtigte Interesse nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts weiter voraus, dass die angegriffene Maßnahme zu einem gewichtigen Grundrechtseingriff führt ( - BVerfGE 110, 77 <86>; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 1705/15 - NJW 2017, 545 Rn. 11).
16c) Auch europarechtliche Vorgaben verlangen nicht, dass das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Sachurteilsvoraussetzung geforderte Fortsetzungsfeststellungsinteresse in allen Fällen einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der angegriffenen Maßnahme unabhängig von dem Vorliegen eines qualifizierten Grundrechtseingriffs bejaht werden muss. Der unionsrechtliche Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Sinne des Art. 47 GRC findet in dem vorliegenden Fall eines auf landespolizeirechtlicher Grundlage ergangenen Aufenthalts- und Betretungsverbots mangels eines Bezugspunkts zum Unionsrecht schon keine Anwendung. Im Übrigen hindert dieser Grundsatz den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber nicht, für die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs ein qualifiziertes Interesse des Klägers zu fordern, und begründet insbesondere auch keine Verpflichtung, eine Fortsetzung der gerichtlichen Kontrolle nach Erledigung des Eingriffs unabhängig von einem rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Nutzen für den Kläger allein unter dem Gesichtspunkt eines abstrakten Rechtsklärungsinteresses vorzusehen ( 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 38, 41 f.). Weitergehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 oder Art. 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
17d) Für einen Verzicht auf die Voraussetzung des qualifizierten Grundrechtseingriffs - neben der typischerweise vor der gerichtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren eintretenden Erledigung - spricht schließlich auch nicht, dass verallgemeinerungsfähige Kriterien, anhand derer geprüft werden kann, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, nicht auf der Hand liegen. Als zumindest grobe Orientierungshilfe lassen sich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Leitlinien für die im jeweiligen Einzelfall erforderliche Abgrenzung entnehmen.
18Danach muss ein Rechtsschutzbegehren zur nachträglichen gerichtlichen Überprüfung jedenfalls immer dann zulässig sein, wenn eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) in Frage steht (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 553/01 - NJW 2002, 2699 <2700>, vom - 2 BvR 261/01 - NJW 2002, 2700 <2701>, vom - 2 BvR 1811/03 - NStZ-RR 2004, 252 <253>, vom - 2 BvR 1514/03 - juris Rn. 13 und vom - 2 BvR 1023/08 - NJW 2011, 137 Rn. 30). Als schwerwiegend sind darüber hinaus solche Grundrechtseingriffe anzusehen, die das Grundgesetz selbst - wie in den Fällen der Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 GG - unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 817/90, 728/92, 802/95, 1065/95 - BVerfGE 96, 27 <40> und vom - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <233>; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 370/13 - juris Rn. 19). Auch dem von der Telefonüberwachung - als erheblicher Eingriff in die durch Art. 10 GG geschützte Rechtsposition - Betroffenen muss eine nachträgliche Kontrolle des bereits beendeten und gemäß § 100b StPO unter einem gesetzlichen Richtervorbehalt stehenden Eingriffs möglich sein (vgl. - NJW 2005, 1855 <1856>). Ebenso muss die Möglichkeit der nachträglichen Kontrolle eines bereits beendeten Eingriffs bestehen, wenn der Betroffene ein am Maßstab einfachen Rechts so eklatant fehlerhaftes Vorgehen eines Hoheitsträgers geltend machen kann, dass objektive Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) naheliegt ( - NStZ-RR 2004, 252 <253>).
19Hinsichtlich anderer Grundrechte ist bei der Beurteilung der Eingriffsintensität nach der Art des Eingriffs zu differenzieren. Im Rahmen der Einzelfallwürdigung ist - der Ermittlung des durch Art. 19 Abs. 2 GG garantierten Wesensgehalts des jeweiligen Grundrechts vergleichbar - zum einen dessen besondere Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte zu berücksichtigen (vgl. - BVerfGE 30, 47 <53>) und zum anderen zu bewerten, inwieweit die fragliche Maßnahme die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung in dem durch das Grundrecht erfassten Lebensbereich beschränkt (vgl. Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 150 ff.). So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise entschieden, dass nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründet ( - BVerfGE 110, 77 <89>; Kammerbeschluss vom - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405 Rn. 22). Vielmehr ist danach zu unterscheiden, ob die Versammlung auf Grund einer im Eilrechtsschutzverfahren wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung des eingelegten Rechtsbehelfs im Wesentlichen wie geplant stattfinden konnte oder nicht (vgl. - BVerfGE 110, 77 <89 f.>).
20Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sind - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - nur ausnahmsweise als so gewichtig anzusehen, dass sie in dem Fall ihrer Erledigung die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses rechtfertigen. Denn nach den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätzen gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit im umfassenden Sinne. Geschützt ist damit nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (stRspr, vgl. - BVerfGE 80, 137 <152>). Dieser weit gefasste Schutzbereich erfordert jedoch im vorliegenden Zusammenhang eine sachgerechte Eingrenzung, da anderenfalls das Kriterium des berechtigten Interesses in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO - wie bereits ausgeführt - weitgehend leerlaufen würde und jedenfalls in bestimmten Regelungsbereichen wie dem Polizeirecht ein dem gesetzgeberischen Konzept des Individualrechtsschutzes widersprechender Anspruch auf objektive Rechtskontrolle entstünde. Ein das Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei folgenlos erledigten Maßnahmen rechtfertigender qualifizierter Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG ist deshalb grundsätzlich nur anzunehmen, soweit das individuelle Verhalten, das mangels spezieller Grundrechtsgarantien nur dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG unterfällt, eine gesteigerte, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung besitzt (vgl. zu dieser Erwägung die Abweichende Meinung des Richters Grimm zum - BVerfGE 80, 137 <164 f.>). Keine Relevanz für das Gewicht des Eingriffs hat hingegen etwa die Zahl der Fälle, in denen sich dieser aktualisiert ( 2 C 5.19 - BVerwGE 170, 319 Rn. 18).
212. Die unter 1. dargestellte Rechtsauffassung des 6. Senats, die in neueren Entscheidungen des 2. und 3. Senats geteilt wird (vgl. 2 C 5.19 - BVerwGE 170, 319 Rn. 15 und vom - 3 C 14.21 - NJW 2023, 2658 Rn. 15), weicht von der in dem Urteil des 8. Senats vom - 8 C 3.20 - BVerwGE 171, 242 Rn. 11 zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung ab. Nach dieser kommt es auf das Vorliegen eines qualifizierten Grundrechtseingriffs für das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung jenseits der anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses grundsätzlich nicht an, wenn sich die angegriffene Maßnahme typischerweise so kurzfristig erledigt, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnte.
22Bereits in seiner die Untersagung der Vermittlung von Sportwetten betreffenden Grundsatzentscheidung vom hat der 8. Senat ausgeführt, dass ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in den Fällen, in denen sich das Anliegen des Betroffenen mangels eines berechtigten rechtlichen, ideellen oder wirtschaftlichen Interesses in der bloßen Klärung der Rechtmäßigkeit des erledigten Verwaltungsakts erschöpfe, nach Art. 19 Abs. 4 GG zu bejahen sei, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon sei nur bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigten, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend sei dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergebe ( 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 32; vgl. ebenso Urteile vom - 8 C 20.12 - juris Rn. 23 und vom - 8 C 39.12 - juris Rn. 29). Zugleich hat der 8. Senat hervorgehoben, dass die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht nach der Intensität des erledigten Eingriffs und dem Rang der betroffenen Rechte differenziere. Sie gelte auch für einfach-rechtliche Rechtsverletzungen, die - von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abgesehen - kein Grundrecht tangierten, und für weniger schwerwiegende Eingriffe in Grundrechte und Grundfreiheiten ( 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 29 ff.). Das in diesen Erwägungen zum Ausdruck kommende Verständnis, dass das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in den Fällen der typischerweise vor der gerichtlichen Prüfung im Hauptsacheverfahren eintretenden Erledigung der Maßnahme keinen qualifizierten Grundrechtseingriff voraussetzt, war allerdings im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, da es dort bereits an der Voraussetzung eines sich typischerweise kurzfristig erledigenden Eingriffs fehlte. Der 8. Senat konnte sich deshalb darauf beschränken, der Annahme der Vorinstanz entgegenzutreten, dass das Vorliegen eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs in die Berufsfreiheit bereits für sich genommen ausreiche, um das Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen (vgl. 10 BV 10.2271 - juris Rn. 70).
23Entscheidungserheblich war die Frage, ob ein gewichtiger Grundrechtseingriff als weitere Voraussetzung - neben der typischerweise kurzfristigen Erledigung - zu fordern ist, hingegen in dem Urteil des 8. Senats vom - 8 C 3.20 -. Der Fall betraf die Klage einer Gewerkschaft für Dienstleistungsberufe auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Bewilligung zur Beschäftigung von jeweils 800 Arbeitnehmern an zwei Adventssonntagen im Dezember 2015, die einem Online-Versandhandelsunternehmen auf der Grundlage von § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG erteilt worden war. Unter Bezugnahme auf sein Urteil vom - 8 C 14.12 - hat der 8. Senat ausgeführt, der klagenden Gewerkschaft stehe das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse - soweit die Klage sich nach Klageerhebung erledigt habe - bzw. Feststellungsinteresse - soweit die Klage sich vor Klageerhebung erledigt habe - zur Seite. Es sei schon deswegen anzunehmen, weil Bewilligungen von Sonntagsarbeit zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens sich entsprechend der für ihre Beantragung aufgeführten Bedarfslagen typischerweise so kurzfristig erledigten, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung zugeführt werden könnten ( 8 C 3.20 - BVerwGE 171, 242 Rn. 11).
24Die Frage eines qualifizierten Eingriffs in das Grundrecht der klagenden Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG hat der 8. Senat im Zusammenhang mit dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht erwähnt. Die Annahme einer qualifizierten Grundrechtsverletzung ist den Gründen der Entscheidung auch im Übrigen nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der 8. Senat auch die nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Klagebefugnis der Gewerkschaft nicht aus deren Grundrechten hergeleitet, sondern mit der drittschützenden Wirkung des § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG begründet und hierbei lediglich mittelbar auch Grundrechte in den Blick genommen. Die Norm diene auch dem Schutz der Interessen der Gewerkschaften. Sie konkretisiere mit den Voraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen ausnahmsweise beschäftigt werden dürften, auf der Ebene des einfachen Rechts den verfassungsrechtlichen Schutzauftrag, der sich für den Gesetzgeber aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV ergebe. Der Gesetzgeber sei danach zur Stärkung derjenigen Grundrechte verpflichtet, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen seien. Dazu zählten neben der Religionsfreiheit die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Gewährleistung rhythmisch wiederkehrender Tage der Arbeitsruhe solle deren effektive Wahrnehmung ermöglichen. Sie erleichtere dem Einzelnen, sich in einem Verein oder einer Koalition zu gemeinsamem Tun zusammenzufinden. Spiegelbildlich werde zugleich die Möglichkeit der Vereinigung selbst gefördert und erleichtert, ihren Zweck zu verwirklichen, der gerade in der Organisation von gemeinschaftlich wahrzunehmenden Interessen bestehe. Die Vereinigung könne insoweit nicht nur verlangen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Durchbrechung des Sonntagsschutzes den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügten, sondern auch, dass die Anwendung von Vorschriften, die zu Eingriffen in den Sonntagsschutz ermächtigten, in jedem Einzelfall mit den Bestimmungen der Verfassung vereinbar sei (vgl. 8 C 3.20 - BVerwGE 171, 242 Rn. 14). Gegen die Annahme, dass der 8. Senat in diesem Zusammenhang von einem qualifizierten Eingriff in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 9 Abs. 3 GG ausgegangen ist, spricht auch, dass der 8. Senat zwar einerseits ausgeführt hat, die Gewerkschaften könnten eine mögliche Verletzung der sie schützenden Vereinigungsfreiheit geltend machen ( 8 C 3.20 - BVerwGE 171, 242 Rn. 16), andererseits jedoch ausdrücklich betont hat, § 42 Abs. 2 VwGO lasse die Möglichkeit jeder noch so geringfügigen Rechtsbeeinträchtigung des Klägers für die Zulässigkeit der Klage genügen ( 8 C 3.20 - BVerwGE 171, 242 Rn. 17).
25Sollte der 8. Senat einen qualifizierten Grundrechtseingriff unausgesprochen vorausgesetzt haben, wofür die Bezugnahme auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sprechen könnte, in denen jeweils die Voraussetzung "tief greifender", "schwerwiegender" bzw. "gewichtiger" Grundrechtseingriffe hervorgehoben wird ( 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 32 mit dem Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 527/99, 1337/00, 1777/00 - BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <86>), hat eine solche implizite Annahme in den Gründen des Urteils vom jedenfalls keinen Niederschlag gefunden. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass die erwähnte Rechtsprechung auch von mehreren Oberverwaltungsgerichten dahingehend verstanden wird, der 8. Senat habe die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht auf die Fälle gewichtiger Grundrechtseingriffe bei sich gleichzeitig typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten beschränkt, sondern sei der Auffassung, die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verlange, dass der Betroffene jeden Eingriff in eine Rechtsposition in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen können müsse, wenn sich die kurzfristige Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergebe (vgl. neben der im vorliegenden Verfahren angegriffenen Berufungsentscheidung des - juris Rn. 59 f. etwa auch - juris Rn. 40 f.).
26Hingegen erscheint es verfehlt, dass das Berufungsgericht in dem vorliegenden Verfahren neben der Rechtsprechung des 8. Senats auch eine Entscheidung des 7. Senats ( 7 B 1.16 - Buchholz 406.25 § 16 BImSchG Nr. 3 Rn. 25) als weiteren Beleg für die Annahme zitiert, das Bundesverwaltungsgericht beschränke die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht auf die Fälle gewichtiger Grundrechtseingriffe, wenn sich die kurzfristige Erledigung aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergebe. Zwar hat der 7. Senat in dem genannten Nichtzulassungsbeschluss u. a. auf das Urteil des 8. Senats vom - 8 C 14.12 - Bezug genommen. Auf das Erfordernis eines gewichtigen Grundrechtseingriffs kam es in dem konkreten Zusammenhang jedoch nicht an. Im Rahmen der Begründung, weshalb die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage zuzulassen war, musste der 7. Senat vielmehr allein die Voraussetzung des Vorliegens einer sich typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahme in den Blick nehmen.
273. Die Frage, ob neben dem Erfordernis einer typischerweise kurzfristigen Erledigung der Maßnahme die weitere Voraussetzung eines qualifizierten Grundrechtseingriffs erfüllt sein muss, ist im vorliegenden Fall entscheidungserheblich.
28Folgt der Senat der in dem Urteil des 8. Senats vom - 8 C 3.20 - zum Ausdruck kommenden Rechtsauffassung, muss er der Revision des Klägers wegen des gerügten Verfahrensfehlers stattgeben und gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Denn die bei - wie hier - vor Klageerhebung eingetretener Erledigung des Verwaltungsakts in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthafte (vgl. 6 C 1.13 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 19 Rn. 10) Fortsetzungsfeststellungsklage ist nur dann zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass das Betretungs- und Aufenthaltsverbot in dem Bescheid des Polizeipräsidiums Dortmund vom rechtswidrig gewesen ist. Wird hierbei die Rechtsprechung des 8. Senats zugrundegelegt, ist das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts allein schon deshalb zu bejahen, weil der Zeitraum, für den sich das mit Bescheid vom für den erlassene Betretungs- und Aufenthaltsverbot Geltung beimaß, offensichtlich zu kurz war, um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in der Hauptsache zu erlangen. Die vom Beklagten in der Revisionserwiderung erwähnte Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz im Eilverfahren zu erlangen, reicht nicht aus. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nach Maßgabe der Sachentscheidungsvoraussetzungen einen Anspruch auf Rechtsschutz in der Hauptsache und nicht nur auf Rechtsschutz in einem Eilverfahren gewährt ( - BVerfGE 110, 77 <86>).
29Muss hingegen - der vom 2., 3. und 6. Senat vertretenen Auffassung folgend - die weitere Voraussetzung erfüllt sein, dass der angegriffene Verwaltungsakt zu einem qualifizierten Grundrechtseingriff geführt hat, ist die Revision des Klägers zurückzuweisen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzung eines qualifizierten Grundrechtseingriffs im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist. Das auf die Innenstadt Dortmunds bezogene Aufenthalts- und Betretungsverbot berührte nicht den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 11 GG auf Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet (vgl. zu einem vergleichbaren Fall: - juris Rn. 26). Auch lag kein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vor, wonach die Freiheit der Person unverletzlich ist. Aufenthalts- und Betretungsverboten auf polizeirechtlicher Grundlage, die sich üblicherweise auf einen örtlich eng begrenzten Bereich bei einer auf wenige Stunden oder Tage beschränkten Geltungsdauer beziehen, sind jedenfalls nicht generell als Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG anzusehen. Dementsprechend ist das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit einer solchen Maßnahme nicht auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingegangen, sondern hat neben dem - nicht berührten - Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) allein die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG in den Blick genommen ( - juris Rn. 24 ff.). Der Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG hat hier mangels einer gesteigerten, dem Schutzgut der übrigen Grundrechte vergleichbaren Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung kein solches Gewicht, dass die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) es gebietet, die Berechtigung des Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen, obwohl dieser tatsächlich nicht mehr fortwirkt. Das räumlich auf Teile des Gebiets der Stadt Dortmund und zeitlich auf eine Dauer von 10 Stunden beschränkte Aufenthalts- und Betretungsverbot beeinträchtigte lediglich die Möglichkeiten zur Gestaltung der Freizeit des Klägers und der Erledigung seiner alltäglichen Geschäfte (vgl. zu einem vergleichbaren Fall: - juris Rn. 39). Auf subjektive Gesichtspunkte wie etwa den gesteigerten Erlebniswert der in Rede stehenden Fußballbegegnung und ihrer Begleitveranstaltungen gerade für den Kläger kann hierbei nicht abgestellt werden; vielmehr ist ein objektiver Maßstab anzulegen.
30Die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage entfällt auch nicht deshalb, weil das Fortsetzungsfeststellungsinteresse in dem zu entscheidenden Fall mit Blick auf eine der anderen in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zu bejahen wäre. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr fehlt es jedenfalls an der Voraussetzung im Wesentlichen unveränderter tatsächlicher Umstände (vgl. hierzu 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 21 und vom - 6 C 8.21 - NVwZ 2023, 1167 Rn. 20 m. w. N.). Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger selbst vorgetragen, aufgrund der Geburt seines Kindes im November 2018 habe er sich aus seiner Funktion als "Capo" zurückgezogen. Zudem hat der Beklagte erklärt, er werde mit Blick auf die Wohlverhaltensperiode des Klägers allein aufgrund vergangener Vorfälle keine weiteren vergleichbaren Maßnahmen gegen diesen ergreifen. Aus dem Vortrag des Klägers folgt auch kein rechtlich erhebliches Rehabilitationsinteresse. Da das Ordnungsrecht für die Störereigenschaft kein Verschulden, sondern nur die objektive Verursachung voraussetzt (vgl. 1 B 36.99 - juris Rn. 10 f.), hat ein polizeiliches Aufenthaltsverbot nicht schon generell eine stigmatisierende Wirkung. Unabhängig davon, ob sich ausnahmsweise aus der Begründung des konkreten Bescheids eine Stigmatisierung des Klägers ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen, fehlt es jedenfalls an der ebenfalls erforderlichen Außenwirkung (vgl. zu dieser Voraussetzung 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 25; Beschluss vom - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 13). Anhaltspunkte dafür, dass die Behörde den ausschließlich an die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers adressierten Bescheid Dritten zugänglich gemacht oder dessen Inhalt in sonstiger Weise in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld gegenüber Dritten verbreitet haben könnte, sind nicht erkennbar. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht ergänzend ausgeführt, dass eine relevante Außenwirkung der Stigmatisierung auch dann nicht vorliegt, wenn der Betroffene selbst den Bescheid an Dritte weitergibt, da er sich anderenfalls ein Rehabilitationsinteresse durch eigenes Verhalten schaffen könnte. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse folgt schließlich auch nicht aus der - vom Kläger schon nicht geltend gemachten - Präjudizwirkung der beantragten Feststellung für einen angestrebten Staatshaftungsprozess.
314. Abschließend ist auf das Urteil des 10. Senats vom - 10 C 6.16 - (BVerwGE 159, 327) zu der "Lichter aus!"- Aktion hinzuweisen. Dort hat der 10. Senat, dessen Zuständigkeit für das Kommunalrecht nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesverwaltungsgerichts inzwischen auf den 8. Senat übergegangen ist (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 2 VwGO), das für eine allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse unter Bezugnahme auf die erwähnte, zu § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ergangene Rechtsprechung des 8. Senats ebenfalls allein mit der typischerweise kurzfristig eintretenden Erledigung der hoheitlichen Maßnahme - im konkreten Fall der amtlichen Äußerung eines Oberbürgermeisters - begründet. Zwar liegt eine Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Senats im Sinne des § 12 Abs. 1 i. V. m. § 11 Abs. 2 VwGO nur dann vor, wenn es sich um eine Divergenz bei Anwendung ein und derselben entscheidungserheblichen Norm handelt (BVerwG, Beschluss des Großen Senats vom - 30 GS 1.20 - BVerwGE 172, 159 Rn. 13 ff.). Angesichts der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beobachtenden Tendenz, die Anforderungen an das Feststellungsinteresse nach beiden Vorschriften weitgehend anzugleichen, ist jedoch auch die genannte Entscheidung des 10. Senats ergänzend mit in den Blick zu nehmen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:291123B6C2.22.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-57743