BAG Urteil v. - 6 AZR 333/22

Tarifliche Entgeltregelung - Schutzbereich von Art. 12 GG

Leitsatz

Tarifliche Entgeltregelungen sind stets ein Kompromiss zwischen den kollidierenden Vorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Wertigkeit einer bestimmten Tätigkeit. Das Aushandeln von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist jedoch gerade Aufgabe der insoweit sachnahen Tarifvertragsparteien und von Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist gegenüber tariflichen Entgeltregelungen daher erst eröffnet, wenn sie den existentiellen Kern der Berufsfreiheit betreffen.

Gesetze: Art 12 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 17 Abs 3 TV-L, § 17 Abs 4 S 1 TV-L, § 17 Abs 4 S 5 TV-L, § 14 Abs 1 TV-L, § 16 Abs 3 S 1 TV-L, § 241 Abs 2 BGB, § 315 BGB

Instanzenzug: Az: 9 Ca 703/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 2 Sa 434/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Stufenzuordnung der Klägerin auf der Grundlage des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) nach einer Höher- und einer kurz darauf erfolgten Herabgruppierung.

2Die Klägerin ist seit 1981 beim beklagten Land als Lehrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der TV-L Anwendung.

3Die für den Rechtsstreit maßgeblichen Tarifnormen in §§ 16, 17 TV-L lauten auszugsweise:

4Bis Mai 2019 war die Klägerin in der Entgeltgruppe 14 TV-L eingruppiert und darin zuletzt der Stufe 5 zugeordnet. Im Herbst 2017 bewarb sie sich auf die Funktionsstelle einer Studiendirektorin zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben, welche ihr zunächst für ein Jahr kommissarisch, ab Ende Mai 2019 endgültig übertragen wurde. In der Folge wurde sie in die Entgeltgruppe 15 TV-L höhergruppiert und der Stufe 4 zugeordnet.

5Im Dezember 2019 beantragte die Klägerin die Entbindung von den Aufgaben der Studiendirektorin. Dem entsprach das beklagte Land mit Wirkung zum . Daraufhin wurde sie in die Entgeltgruppe 14 TV-L unter stufengleicher Zuordnung zur Stufe 4 herabgruppiert und ab April 2020 entsprechend vergütet.

6Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin mit ihrer Klage Vergütung nach Stufe 5 der Entgeltgruppe 14 TV-L ab April 2020 verlangt. Da sie ihre ursprüngliche Unterrichtstätigkeit auch nach Übertragung der Funktionsstelle durchgehend ausgeübt und lediglich zusätzliche Tätigkeiten organisatorischer Art übernommen habe, sei die vor ihrer Höhergruppierung erworbene Berufserfahrung nicht verloren gegangen. In dieser Konstellation sei sie nach der Herabgruppierung wieder der Stufe zuzuordnen, die sie bereits vor der Höhergruppierung erreicht habe. § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L sei nicht anzuwenden, denn das führe zu einem nicht gerechtfertigten Verlust einer bereits erworbenen Erfahrungsstufe. Diese Auswirkungen hätten die Tarifvertragsparteien unerkannt nicht berücksichtigt. Auch ein Vergleich mit den Regelungen zur Unschädlichkeit bestimmter Unterbrechungen der tatsächlichen Tätigkeit für die Stufenlaufzeit nach § 17 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 TV-L zeige, dass die Zuordnung zur Stufe 4 der Entgeltgruppe 14 TV-L in ihrem Fall nicht interessengerecht sei. Außerdem verstoße die erfolgte Rückstufung gegen höherrangiges Recht. Schließlich seien ihr die Auswirkungen der Höher- und der Herabgruppierung auf die Stufenzuordnung weder bekannt gewesen noch sei sie von ihrem Arbeitgeber entsprechend aufgeklärt worden.

7Die Klägerin hat beantragt,

8Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 17 Abs. 4 TV-L finde auch auf den Fall der Klägerin Anwendung. Diese habe infolge ihrer Höhergruppierung die gesamte Bandbreite der Entgeltgruppe 15 TV-L wahrnehmen müssen, während ihr nach der Entbindung von der Stelle einer Studiendirektorin erneut nur die geringer bewerteten Tätigkeiten der Entgeltgruppe 14 TV-L übertragen worden seien. Insofern sei - worauf es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L allerdings nicht ankomme - das von ihr auszuübende Tätigkeitsspektrum gerade nicht gleichgeblieben. Die Tarifnorm sehe auch keine Ausnahme oder Härtefallregelung für die streitgegenständliche Fallkonstellation vor. Der Klägerin sei die Tätigkeit der höheren Entgeltgruppe 15 TV-L zudem dauerhaft übertragen worden. § 17 Abs. 3 TV-L sei nicht einschlägig; es fehle bereits an einer Unterbrechung im Sinn der Norm. Der Tarifvertrag sehe - insbesondere, wenn die Beschäftigte die Herabgruppierung auch noch frei wähle - keine umfassende Besitzstandswahrung vor. Eine Pflicht, Arbeitnehmer auf rechtliche Folgen einer Änderung im Arbeitsverhältnis hinzuweisen, bestehe für den Arbeitgeber nicht.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Gründe

10Die Revision ist unbegründet. Die Klage hat keinen Erfolg. Das haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt.

11I. Die Klage ist insgesamt zulässig. Für den Feststellungsantrag zu 2. besteht sowohl der von § 256 Abs. 1 ZPO verlangte Gegenwartsbezug als auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klägerin erstrebt gegenwärtige rechtliche Vorteile in Form eines höheren Entgelts aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum (vgl. zB  - Rn. 11 mwN).

12II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Das beklagte Land hat die Klägerin nach erfolgter Herabgruppierung in die Entgeltgruppe 14 TV-L zurecht der Stufe 4 zugeordnet.

131. § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L gewährt der Klägerin nach allen denkbaren Auslegungsmaßstäben keinen Anspruch auf Zuordnung zur Stufe 5 der Entgeltgruppe 14 TV-L ab April 2020 (zu den Grundsätzen der Tarifauslegung vgl. zB  - Rn. 27). Diese Bestimmung findet in allen Fällen Anwendung, in denen die tariflichen Voraussetzungen für die Eingruppierung in eine niedrigere Entgeltgruppe erfüllt sind. Das gilt auch dann, wenn der Herabgruppierung eine Höhergruppierung voranging.

14a) Bereits nach dem eindeutigen Wortlaut der Tarifbestimmung, die die vergütungsrechtliche Behandlung von Herabgruppierungen regelt, ist offenkundig, dass die Klägerin nach ihrer Eingruppierung in die niedrigere Entgeltgruppe 14 TV-L der in der höheren Entgeltgruppe 15 TV-L erreichten Stufe 4 zuzuordnen war.

15b) Aus der Tarifsystematik und dem aus ihr abgeleiteten Regelungszweck der Norm ergibt sich nichts anderes.

16aa) Nach den von den Tarifvertragsparteien gefundenen Regelungen stellen sowohl Höher- als auch Herabgruppierungen grundsätzlich vergütungsrechtliche Zäsuren dar, welche das Erfordernis einer erneuten Stufenzuordnung mit sich bringen (vgl. zB  - Rn. 30; sh. auch  - Rn. 55). Die Berufserfahrung, die der Beschäftigte in seiner bisherigen Entgeltgruppe erworben hat, spielt nach der Konzeption des Tarifvertrags für die Stufenzuordnung in der neuen Entgeltgruppe keine Rolle mehr; sie wird „auf null“ gesetzt (vgl.  - Rn. 21; zur gleichlautenden Regelung in § 17 Abs. 5 TVöD zB  - Rn. 17 mwN, BAGE 159, 214). Dies gilt - entgegen der Auffassung der Klägerin - unabhängig vom konkreten Inhalt der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit in der jeweiligen Entgeltgruppe, welche insoweit allenfalls für die Eingruppierung in eine konkrete Entgeltgruppe Berücksichtigung finden könnte. Die Zuordnung zu einer bestimmten Entgeltstufe nach erfolgter Höher- bzw. Herabgruppierung haben die Tarifvertragsparteien hingegen ohne Bezug zu bereits gesammelten Erfahrungszeiten verstanden.

17bb) Dagegen spricht nicht, dass § 17 Abs. 4 TV-L eine betragsbezogene Höher- und eine stufengleiche Herabgruppierung vorsieht. Diese Bestimmungen haben allein eine besitzstandsregelnde Funktion. Es obliegt den Tarifvertragsparteien darüber zu befinden, ob Einkommensverluste und -nachteile, die sich nach dem Regelungssystem des TV-L in Verbindung mit den Entgelttabellen durch die Stufenzuordnung nach einer Änderung der Eingruppierung häufig ergeben, überhaupt und gegebenenfalls in welchem Umfang kompensiert werden sollen. Insoweit sieht § 17 Abs. 4 Satz 1 TV-L für den Fall der Höhergruppierung zwar vor, dass Beschäftigte mindestens ihr bisheriges Tabellenentgelt erhalten sollen und gewährt damit vollen finanziellen Besitzstand. Durch die mit § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L vorgenommene stufengleiche Zuordnung bei Herabgruppierungen haben sich die Tarifvertragsparteien dagegen für eine nur beschränkte Besitzstandswahrung bezüglich der „erreichten“ Stufe entschieden. Die nachteiligen finanziellen Folgen der Herabgruppierung sollen damit allenfalls abgemildert werden (vgl. zB  - Rn. 30; - 6 AZR 753/12 - Rn. 43, BAGE 148, 323;  6 P 15.08 - Rn. 55).

18cc) Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung der Klägerin - auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a bis e TV-L. § 17 Abs. 3 TV-L regelt die Frage, welche Unterbrechungszeiten den Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit iSd. § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L gleichstehen und welche Auswirkungen andere Unterbrechungen haben. Die Norm bezieht sich nur auf § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L und damit allein auf die Stufenlaufzeit innerhalb derselben Entgeltgruppe (vgl.  - Rn. 28, BAGE 174, 63; zu § 17 Abs. 3 TVöD-AT vgl.:  - Rn. 19, BAGE 148, 312; - 4 AZR 456/14 - Rn. 46). Die Klägerin beansprucht jedoch keine Anrechnung von Stufenlaufzeiten in derselben Entgeltgruppe, sondern die Neuzuordnung zu einer Entgeltstufe nach erfolgter Herabgruppierung. Hierauf findet § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a bis e TV-L keine Anwendung (vgl. zu § 17 Abs. 3 TVöD-AT  - Rn. 19, aaO).

19dd) Ein Anspruch auf die begehrte Zuordnung zur Entgeltstufe 5 folgt - anders als die Klägerin meint - auch nicht aus § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. f TV-L, wonach Zeiten der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit den Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit iSv. § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L gleichgestellt sind.

20(1) Auch § 17 Abs. 3 Satz 1 Buchst. f TV-L bezieht sich nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf die Gleichstellung bestimmter Zeiten bezüglich der Stufenlaufzeit nach § 16 Abs. 3 Satz 1 TV-L innerhalb derselben Entgeltgruppe und ergänzt diese Vorschrift (vgl. zu § 16 Abs. 4 TVöD-AT (Bund) bzw. § 16 Abs. 3 TVöD-AT (VKA)  - Rn. 19 mwN, BAGE 148, 312). Entscheidend ist die vorübergehende Unterbrechung des Erwerbs von Berufserfahrung in einer bestimmten Entgeltgruppe. Dies erfasst nur den Fall des § 14 TV-L (sh. zB  - Rn. 28, BAGE 174, 63). Ein solcher ist vorliegend nicht gegeben.

21(2) Die Klägerin ist mit den Aufgaben einer Studiendirektorin nicht nur vorübergehend iSv. § 14 Abs. 1 TV-L betraut worden.

22(a) Sie hat weder behauptet, die Übertragung dieser Funktionsstelle sei bereits von Beginn an nicht auf Dauer angelegt gewesen, noch hat sie (fristgerecht) die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Rechtstatsache (vgl. hierzu  - Rn. 31, BAGE 167, 264; - 5 AZR 178/18 - Rn. 19, BAGE 167, 144; - 6 AZR 487/09 - Rn. 37, BAGE 136, 340), die Funktion in der höheren Entgeltgruppe sei ihr dauerhaft übertragen worden, mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 Abs. 1 ZPO (vgl. zB  - Rn. 44;  - Rn. 49; GMP/Müller-Glöge ArbGG 10. Aufl. § 74 Rn. 106; Musielak/Voit/Ball ZPO 20. Aufl. § 559 Rn. 16) angegriffen. Der Senat ist deshalb an diese Feststellung gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

23(b) Entgegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerten Auffassung beurteilt sich die Frage, ob die Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit vorübergehend oder dauerhaft erfolgt ist, nicht rückblickend, sondern - wovon das Landesarbeitsgericht unausgesprochen ausgegangen ist - aus der ex-ante-Perspektive.

24(aa) Der TV-L unterscheidet zwischen einer Höhergruppierung und einer vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit. Während er unter einer Höhergruppierung die dauerhafte Übertragung von Tätigkeiten einer höheren Entgeltgruppe versteht (zum TVöD vgl.  - Rn. 18, BAGE 148, 312), regelt § 14 TV-L deren nur vorübergehende Übertragung. Diese Norm setzt die Möglichkeit voraus, im Wege des Direktionsrechts eine höherwertige Tätigkeit vorübergehend und vertretungsweise übertragen zu können, und bestimmt, wofür auch ihre systematische Stellung im Abschnitt III „Eingruppierung, Entgelt und sonstige Leistungen“ spricht, deren Vergütung. Damit enthält § 14 TV-L eine Ausnahme von der Tarifautomatik, die bei der Übertragung einer „nicht nur vorübergehend auszuübenden höherwertigen Tätigkeit“ zu einer dauerhaften Höhergruppierung führt (zu § 14 TVöD-V vgl.  - Rn. 23 mwN, BAGE 171, 297; vgl. auch  - Rn. 22, BAGE 154, 83). Die Entscheidung des Arbeitgebers, die höher bewertete Tätigkeit nur vorübergehend zu übertragen, muss deshalb billigem Ermessen iSd. § 315 BGB entsprechen (vgl. zB  - Rn. 20 mwN; - 4 AZR 468/14 - Rn. 19, aaO). Das setzt voraus, dass nicht lediglich das „Ob“, sondern auch das „Wie“ der Übertragung, also auch ihre zeitliche Komponente, bereits zum Zeitpunkt der Übertragung feststehen muss. Dies steht einer von der Klägerin für erforderlich erachteten rückblickenden Betrachtung entgegen. Auf die erst im Rückblick feststellbare tatsächliche zeitliche Dauer der Ausübung der endgültig übertragenen höherwertigen Tätigkeit kommt es folglich für die Stufenzuordnung nach Herabgruppierung nicht an.

25(bb) Die Klägerin kann sich zur Begründung ihrer Auffassung entgegen ihrem Vortrag vor dem Senat auch nicht auf seine Entscheidung vom (- 6 AZR 702/19 - Rn. 19, BAGE 174, 63) stützen, wonach der Begriff der Höhergruppierung in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes entsprechend dem allgemeinen Wortgebrauch meist im Sinn einer dauerhaften Übertragung von Tätigkeiten einer höheren Entgeltgruppe verwendet wird. Durch die einschränkende Wendung „meist“ hat der Senat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass Tarifvertragsparteien bei Überleitungen in neue Eingruppierungsordnungen eine daraus folgende Zuordnung zu einer höheren Entgeltgruppe ebenfalls als Höhergruppierung ansehen können (sh.  - Rn. 24). Entsprechendes gilt auch für Eingruppierungen in höhere Entgeltgruppen infolge einer Höherbewertung bestimmter Tätigkeiten durch die Tarifvertragsparteien. Keinesfalls liegt hierin ein Ausschluss einer „Höhergruppierung“ im tariflichen Sinn bei Fällen einer im Nachhinein nur zeitlich begrenzten Übertragung der höherwertigen Tätigkeit.

26c) Eine Sicherung der bereits in der Entgeltgruppe 14 TV-L erreichten Stufe 5 nach der erfolgten Herabgruppierung aus Entgeltgruppe 15 TV-L kommt auch nicht im Wege einer ergänzenden Tarifauslegung in Betracht, selbst wenn die Klägerin ihre Unterrichtstätigkeit während der gesamten Dauer der Höhergruppierung ausgeübt haben sollte. Die Voraussetzungen einer solchen Auslegung liegen nicht vor (vgl. zu den Voraussetzungen der ergänzenden Tarifauslegung zB  - Rn. 33 mwN).

27Dabei kann dahinstehen, ob eine ergänzende Auslegung von § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L bereits deshalb ausscheidet, weil die Tarifvertragsparteien die Konstellation, dass Beschäftigte auch nach Übertragung der höherwertigen Tätigkeit die Aufgaben der niedrigeren Entgeltgruppe durchgehend weiter wahrnehmen, zwar gesehen, aber bewusst nicht abweichend geregelt haben, sodass es schon an einer unbewussten Regelungslücke fehlt (aA wohl BeckOK TV-L/Felix § 17 Stand Rn. 133c). Selbst bei Annahme einer unbewussten Regelungslücke könnte diese wegen der durch die Tarifautonomie gewährleisteten Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien nicht durch den Senat geschlossen werden (vgl. hierzu  - Rn. 24, BAGE 174, 63; - 10 AZR 334/20 - Rn. 85, BAGE 173, 205; - 8 AZR 125/18 - Rn. 16, BAGE 169, 1; - 6 AZR 753/12 - Rn. 37 mwN, BAGE 148, 323). Den Tarifvertragsparteien bliebe vorliegend ein Gestaltungsspielraum zur Lückenschließung, etwa über eine verpflichtende Verkürzung der Stufenlaufzeiten oder eine Zulagenregelung. Anhaltspunkte dafür, dass sie eine etwaige Lücke nur auf eine bestimmte Art und Weise hätten schließen wollen, lassen sich der Tarifkonzeption nicht entnehmen.

282. Mit diesem Tarifverständnis verstößt § 17 Abs. 4 Satz 5 TV-L nicht gegen höherrangiges Recht (vgl. zur mittelbaren Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien zB:  - Rn. 37 mwN; - 10 AZR 553/20 - Rn. 18 mwN; ausführlich  - Rn. 19 f., BAGE 169, 163).

29a) Ein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gleichheitssatz liegt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor.

30aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen vergleichbaren Personenkreis dagegen vorenthalten wird. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reicht er vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse (vgl. für die st. Rspr.  - Rn. 16 und 19;  - Rn. 31; - 6 AZR 364/16 - Rn. 21, BAGE 159, 294; - 4 AZR 456/14 - Rn. 49 mwN).

31bb) Der von der Klägerin angeführte Vergleich ihrer Stufenzuordnung nach der Herabgruppierung mit den von § 17 Abs. 3 TV-L erfassten Sachverhalten lässt keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes erkennen. Die Norm erfasst nur Unterbrechungen bei unveränderter Tätigkeit in derselben Entgeltgruppe. Höher- bzw. Herabgruppierungen stellen, wie unter Rn. 16 ausgeführt, nach dem Tarifkonzept im System der Stufenzuordnung jedoch eine Zäsur dar. Diese Differenzierung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. zum TVöD  - Rn. 55).

32Ebenso wenig kann sich die Klägerin zur Begründung eines Gleichheitsverstoßes darauf berufen, sie sei trotz identischer Berufserfahrung schlechter gestellt als diejenigen Kollegen, die ohne Unterbrechung durch eine Höhergruppierung in der Entgeltgruppe 14 TV-L eingruppiert sind. Auch insoweit handelt es sich wegen des durch die Herabgruppierung ausgelösten vergütungsrechtlichen Einschnitts um nicht vergleichbare Sachverhalte. Die von den Tarifvertragsparteien für die Stufenzuordnung nach Höher- oder Herabgruppierung vorgesehenen beschränkten Kompensationen sind von ihrem Gestaltungsspielraum (ausführlich zum Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien vgl. zB  - Rn. 38 f. mwN) gedeckt und deshalb nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit sie - wie im Streitfall - für bestimmte Sachverhaltskonstellationen keine Besitzstandswahrung vorsehen (vgl.  - Rn. 43, 49, BAGE 148, 323; vgl. auch  - Rn. 16 ff., 19 mwN).

33Allerdings bleibt es den Arbeitgebern in den besonderen Fällen, in denen die Tätigkeit in der höheren Entgeltgruppe durchgehend auch die Tätigkeiten der niedrigeren Entgeltgruppe mit beinhaltet, was insbesondere in sog. „Aufbaufallgruppen“ vorliegt, unbenommen, nach der Herabgruppierung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 TV-L die Stufenlaufzeit in der niedrigeren Entgeltgruppe zu verkürzen und somit erlittene Entgelteinbußen zumindest teilweise zu kompensieren.

34b) Die Tarifnorm verstößt entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Die Schutzbereiche dieser Verfassungsnormen sind nicht eröffnet.

35aa) Die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit bewahrt Arbeitnehmer nicht vor jeder Regelung der Tarifvertragsparteien, die Arbeitsbedingungen, zu denen auch das Arbeitsentgelt gehört (vgl.  ua. - Rn. 15;  - Rn. 83, BAGE 174, 138; - 6 AZR 114/00 - zu B III 3 b der Gründe mwN, BAGE 98, 175; sh. auch  ua. - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 88, 145), beeinflussen. Vielmehr muss die Anwendung der Regelung eine nennenswerte Beeinträchtigung der Berufsausübung zur Folge haben (vgl. zB  ua. - zu B III der Gründe, BVerfGE 81, 108;  - Rn. 29 mwN, BGHZ 214, 269). Ansonsten würde jeder Regelungseffekt, der Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, zur Eröffnung des Schutzbereichs führen und damit Art. 12 Abs. 1 GG konturlos machen (st. Rspr. für Gesetze, vgl. zB:  - Rn. 186, BVerfGE 164, 347; - 1 BvR 1187/17 - Rn. 47, BVerfGE 161, 63; - 1 BvR 1679/17 ua. - Rn. 96, BVerfGE 155, 238). Zudem kollidierte ein solches Verständnis von Art. 12 Abs. 1 GG mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie. Danach gehört das Aushandeln von Tarifverträgen zu den wesentlichen Zwecken der Tarifvertragsparteien. Hierin sollen sie nach dem Willen des Grundgesetzes frei sein. Der Staat enthält sich in diesem Betätigungsfeld grundsätzlich einer Einflussnahme und überlässt die erforderlichen Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zum großen Teil den Koalitionen, die sie autonom durch Vereinbarung treffen (vgl. zB  - Rn. 62, BVerfGE 138, 261; - 1 BvR 1373/08 - Rn. 29 mwN; - 1 BvR 712/86 - zu C I 1 der Gründe mwN, BVerfGE 94, 268;  - zu B III 3 a der Gründe, aaO). Tarifliche Entgeltregelungen enthalten einen Kompromiss hinsichtlich der unterschiedlichen Vorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Wertigkeit einer bestimmten Tätigkeit. Das schließt auch die Befugnis zu Entgeltregelungen ein, die Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen (st. Rspr. seit  - Rn. 41, BAGE 140, 83). Darum können tarifliche Entgeltregelungen den Schutzbereich der Berufsfreiheit allenfalls dann berühren, wenn sie deren existentiellen Kern betreffen (vgl. ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einleitung Rn. 53a; sh. auch  - Rn. 29). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

36bb) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst nur schuldrechtliche Ansprüche, die einem Rechtssubjekt bereits zustehen. Zwar können hierunter auch rechtlich gesicherte Anwartschaften von Arbeitnehmern fallen. Diese müssen aber so verfestigt sein, dass sie Eigentumscharakter haben. Bloße Vergütungserwartungen werden von der Eigentumsgarantie nicht gewährleistet (sh. zB  - Rn. 31 mwN, BAGE 169, 163).

37Die bloße Erwartung der Klägerin, dass sie nach ihrer Herabgruppierung aus der Entgeltgruppe 15 Stufe 4 TV-L, die vergütungsrechtlich zu einer Zäsur führt (Rn. 16), unmittelbar wieder der streitgegenständlichen Stufe 5 der Entgeltgruppe 14 TV-L zugeordnet wird, fällt damit nicht unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Es handelt sich insoweit nicht um eine bestehende Rechtsposition, sondern lediglich um eine von der Eigentumsgarantie nicht gewährleistete Hoffnung, die zudem im Tarifvertrag keine Entsprechung findet.

383. Die Klägerin kann sich für ihr Klagebegehren auch nicht erfolgreich darauf berufen, das beklagte Land habe sie über die vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Herabgruppierung nicht informiert.

39a) Eine Verletzung etwaiger Hinweis- und Aufklärungspflichten iSv. § 241 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu zB  - Rn. 33, BAGE 165, 315; - 8 AZR 853/16 - Rn. 32, BAGE 161, 245; - 6 AZR 433/15 - Rn. 30) kann - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen hat - nur im Wege eines Schadensersatzanspruchs geltend gemacht werden (vgl. zB  - Rn. 36 mwN, aaO). Einen solchen hat die Klägerin im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zur Entscheidung durch das Gericht gestellt.

40b) Unabhängig davon träfe das beklagte Land auch keine Hinweis- bzw. Aufklärungspflicht gegenüber der Klägerin (zu den Voraussetzungen vgl. zB:  - Rn. 33 mwN, BAGE 165, 315; - 6 AZR 254/14 - Rn. 45 mwN). Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 BGB gebietet es nicht, den Arbeitnehmer auf die entgeltrechtlichen Auswirkungen einer von ihm selbst ausgelösten Herabgruppierung hinzuweisen. Eine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen, besteht nicht (vgl.  - Rn. 33, aaO). Zudem hat die Klägerin nicht dargelegt, dass die unterlassene Aufklärung des beklagten Landes für einen ihr entstandenen Schaden kausal war (zu dieser Voraussetzung  - Rn. 63).

41III. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:051023.U.6AZR333.22.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 371 Nr. 7
DB 2024 S. 1618 Nr. 26
ZIP 2024 S. 716 Nr. 13
QAAAJ-57649