BGH Urteil v. - VIa ZR 1081/22

Instanzenzug: Az: 19 U 697/22vorgehend LG Landshut Az: 42 O 2231/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb am ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW X1 xDrive2, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe B 47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Der Kläger hat gestützt u.a. auf die Verwendung eines Thermofensters und einer Aufheizvorrichtung die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge mit Ausnahme des die Deliktszinsen betreffenden Antrags zu II weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stünden die geltend gemachten Schadensersatzansprüche schon deshalb nicht zu, weil ihm die Darlegung eines Schadens nicht gelungen sei. Er habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die zuständige Aufsichtsbehörde die behaupteten Abschalteinrichtungen zum Anlass für eine Entziehung der Betriebserlaubnis nehme. Der Fahrzeugkäufer erleide einen in einem ungewollten Vertragsschluss liegenden Schaden nur dann, wenn die Gefahr bestehe, dass die Betriebserlaubnis von der hierfür zuständigen Behörde entzogen werde. Davon könne nicht ausgegangen werden, wenn - wie hier - das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zum Ausdruck bringe, dass es aufgrund eigener Überprüfungen keinen Anhaltspunkt für das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen feststellen könne. Soweit der Kläger geltend mache, ein merkantiler Minderwert des Fahrzeugs begründe die Annahme eines ungewollten Vertrages bzw. einen erstattungsfähigen Schaden, fehlten Angaben zur Höhe des behaupteten Minderwerts mit Rücksicht auf die Entwicklung der Preise für gebrauchte Dieselfahrzeuge. Aus § 823 Abs. 2 BGB ergebe sich kein Anspruch, weil in den als verletzt in Frage kommenden Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht stand.

81. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht einen Schaden des Klägers mit der Begründung verneint, mit Rücksicht auf spätere Überprüfungen und anschließende Äußerungen des KBA bestehe keine Gefahr der Entziehung der Betriebserlaubnis. Für die Frage der Brauchbarkeit und damit den Schadenseintritt kommt es - anders als das Berufungsgericht angenommen hat – im Falle des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung darauf an, dass es aus der ex-ante-Sicht des Käufers letztlich vom Zufall abhängt, ob der Umstand aufgedeckt und die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs in der Folge eingeschränkt wird (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 54). Dementsprechend kann es nicht auf nachträgliche Prüfungen und Äußerungen des KBA als solche ankommen, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist und wegen der damit verbundenen Möglichkeit beschränkender Maßnahmen einen Schaden begründet. Da die bloße Möglichkeit solcher Maßnahmen genügt, die nicht nur in der weitest gehenden Maßnahme einer Betriebsuntersagung liegen müssen, sondern Betriebsbeschränkungen umfassen, kann ein Schaden auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, das KBA habe bisher keine beschränkenden Maßnahmen ergriffen bzw. hierfür nach Überprüfungen keinen Anlass gesehen. Sieht das KBA nach einer Überprüfung von solchen Maßnahmen ab, kann darin unter Umständen ein Anhaltspunkt dafür liegen, dass in einem Fahrzeug die seitens des Käufers behaupteten Vorrichtungen keine Verwendung gefunden haben. Das setzt aber voraus, dass das KBA das Vorhandensein solcher Vorrichtungen aufgrund einer zutreffenden rechtlichen Bewertung verneint hat. Nur unter diesen Voraussetzungen kann der Tatrichter entsprechende Äußerungen des KBA in die ihm obliegende Würdigung des Tatsachenvorbringens einbeziehen.

9Im vorliegenden Fall hätte das Berufungsgericht einen Schaden im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses gestützt auf Äußerungen des KBA nur verneinen können, wenn es sich davon überzeugt hätte, dass den Äußerungen des KBA auch die Nichtverwendung des als Abschalteinrichtung vom Kläger behaupteten Thermofensters in den Motoren der Baureihe B47 in Fahrzeugen des Typs BMW X1 xDrive2 mit einer EG-Typgenehmigung nach Maßgabe der Norm Euro 6 zu entnehmen war. Stattdessen hat sich das Berufungsgericht mit Erklärungen des KBA begnügt, unzulässige Abschalteinrichtungen seien nicht festgestellt worden. Diese Erklärungen boten schon wegen der Vermengung rechtlicher und tatsächlicher Gesichtspunkte keine Grundlage für eine Verneinung des Schadens.

102. Die Revision wendet sich überdies mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

123. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu einem merkantilen Minderwert betreffen einen nach den vorstehenden Erwägungen nicht erheblichen Gesichtspunkt. Liegen die über die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung deutlich hinausreichenden Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB vor, kommt es für den beantragten "großen" Schadensersatz als Kompensation des Vertragsabschlussschadens nicht darauf an, ob das Fahrzeug einen merkantilen Minderwert aufweist. Steht dem Kläger wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, ist der Schaden nach den im Urteil des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) geklärten Grundsätzen zu ermitteln. Auch das erfordert die vom Berufungsgericht vermissten Darlegungen des Klägers nicht.

III.

13Der Zurückweisungsbeschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

14Insbesondere kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom ( VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. , BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an ( aaO, Rn. 61; Urteil vom - VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe - selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe - das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt ( aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch vom Kläger gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

15Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR1081.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-57337