Nachträgliche Gesamtstrafenbildung: Erledigung einer Einziehungsanordnung
Gesetze: § 55 Abs 2 StGB, § 73 Abs 1 StGB, §§ 73ff StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Dresden Az: 15 KLs 305 Js 47440/21nachgehend Az: 5 StR 387/24 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Dresden vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die darin getroffene Einziehungsentscheidung hat es aufrechterhalten. Darüber hinaus hat es den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie Erpressung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, dass drei Jahre und zehn Monate der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Das auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann keinen Bestand haben. Die Ausführungen des Landgerichts belegen nicht, dass die Voraussetzungen der seit geltenden und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle maßgeblichen Neufassung des § 64 StGB vorliegen, was der Senat nach § 354a StPO zu beachten hat (vgl. ). Beim Angeklagten besteht nach den Urteilsfeststellungen zwar eine Polytoxikomanie, die sich aus einer schweren Abhängigkeit von Methamphetamin, Kokain und Alkohol – in den letzten Monaten auch von Heroin – ergibt, was den von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzten Begriff einer Substanzkonsumstörung erfüllen könnte (vgl. näher BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Die bisherigen Feststellungen belegen aber jedenfalls nicht, dass die Taten des Angeklagten im Sinne der Neuregelung „überwiegend“ auf einen Hang zurückgehen.
3Der Gesetzgeber hat hierzu ausgeführt (BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.): „Durch die Ergänzung des Wortes ‚überwiegend‘ soll nunmehr gesetzlich konkretisiert werden, unter welchen Voraussetzungen ein kausaler Zusammenhang zwischen ‚Hang‘ und ‚Anlasstat‘ angenommen werden kann. Nur für den Fall, dass die rechtswidrige Tat überwiegend auf den Hang der Person, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zurückgeht, ist ein solcher künftig anzunehmen. ‚Überwiegend‘ ursächlich ist der ‚Hang‘ für die ‚Anlasstat‘, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war … Die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat ist für die Annahme der Kausalität also nur noch dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt. Eine Mitursächlichkeit des ‚Hangs‘ für die ‚Anlasstat‘ unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv festzustellen.“
4Das Landgericht hat bei seiner Prüfung – zum damaligen Zeitpunkt zutreffend – diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht vor Augen gehabt und seine Feststellungen nicht daran ausgerichtet. Diese belegen gerade nicht, dass die Taten „überwiegend“ auf den Hang zurückgingen: Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass der Angeklagte, welcher seit seiner Einreise nach Deutschland vor etwa zehn Jahren keiner legalen Erwerbstätigkeit nachging, die Taten sowohl zur Finanzierung seiner Drogensucht als auch seines Lebensunterhalts beging. Nach Einschätzung des Sachverständigen pflegte der Angeklagte einen „eher lustgesteuerten“ Lebensstil; beim gelegentlichen Automatenspiel verspielte er bis zu 200 Euro.
5Weil das Landgericht den durch die Neufassung des § 64 StGB veränderten und für die Senatsentscheidung nach § 2 Abs. 6 StGB und § 354a StPO maßgeblichen Anordnungsmaßstab noch nicht berücksichtigen konnte, bedarf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird auch zu berücksichtigen haben, dass nach § 64 Satz 2 StGB nF das Erreichen des Unterbringungsziels „aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten“ sein muss.
62. Der Ausspruch über die Aufrechterhaltung der Entscheidung über die Einziehung des sichergestellten Bargeldes in Höhe von 1.015 Euro im Urteil des Amtsgerichts Dresden vom hat zu entfallen.
7Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 StGB grundsätzlich durch das spätere Erkenntnis einheitlich anzuordnen, sodass über sie durch das Gericht zu entscheiden ist, das auch über die nachträgliche Gesamtstrafe befindet. Nur wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die (weitere) Vollstreckung vorliegen, ist die frühere Einziehungsentscheidung im neuen Urteil aufrechtzuerhalten. Wird die Einziehungsanordnung in der früheren rechtskräftigen Entscheidung hingegen gegenstandlos im Sinne des § 55 Abs. 2 StGB, hat die Anordnung zu entfallen. Dies ist hier der Fall, denn mit der Rechtskraft der Einziehungsanordnung nach § 73 Abs. 1 StGB ist das Eigentum an den als Tatertrag eingezogenem Bargeld bereits auf den Staat übergegangen (§ 75 Abs. 1 Satz 1 StGB); die Einziehungsanordnung hat sich damit erledigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 114/19; vom – 6 StR 523/22; vom – 5 StR 330/23; vom – 5 StR 380/22).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:020124B5STR512.23.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-57016