BFH Beschluss v. - VII B 188/22

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei elektronischer Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift

Leitsatz

1. NV: Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen elektronischen Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift an den Bundesfinanzhof erfordert unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung erteilt wurde.

2. NV: Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Gesetze: FGO § 56; FGO § 52a Abs. 5 Satz 2;

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Mit Urteil vom  - 6 K 1105/21 gab das Hessische Finanzgericht (FG) einer Klage des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) gegen den Haftungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom und des Teilrücknahmebescheides vom statt. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) den Kläger gemäß § 191 Abs. 1, § 69 der Abgabenordnung (AO) für rückständige Umsatzsteuer und steuerliche Nebenleistungen der Firma A-GmbH in Haftung genommen.

2 Gegen das ihm am zugestellte Urteil legte das FA mit Schreiben vom Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte gleichzeitig eine Verlängerung der Begründungsfrist um einen Monat. Der Senatsvorsitzende verlängerte die Frist mit Verfügung vom gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) antragsgemäß bis zum . Am Samstag, dem ging eine auf den datierende, 18 Seiten umfassende Beschwerdebegründung des FA nebst einer 63 Seiten umfassenden Anlage beim Bundesfinanzhof (BFH) über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ein.

3 Auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis stellte das FA mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führte es aus, zwar sei die Beschwerdebegründung laut der elektronischen Sendungsquittung erst am um 04:48 Uhr auf dem Justiz-Intermediär des BFH eingegangen. Der Unterzeichner des Schriftsatzes habe diesen jedoch bereits am gegen 19:30 Uhr fertiggestellt und sogleich elektronisch versandt. Erfahrungsgemäß erfolge der Versand über das EGVP innerhalb der ersten halben Stunde nach dem Sendeauftrag. Eine Verzögerung von über neun Stunden sei sehr ungewöhnlich. Da vom System auch keine Übermittlungsfehler gemeldet worden seien, habe sich der Unterzeichner auf die rechtzeitige Übermittlung verlassen. Das FA treffe kein Verschulden am verspäteten Eingang der Beschwerdebegründung.

4 Auf eine gerichtliche Aufforderung, das elektronische Versandprotokoll zu übersenden, legte das FA einen Nachweis über den „Sendezeitpunkt elektronische Nachricht via EGVP“ vor, wonach die Sendung am um 19:50 Uhr dem elektronischen System übermittelt wurde. Eine Bestätigung über die Verarbeitung wurde demnach am um 04:46 Uhr gespeichert.

5 In der Sache macht das FA mit seiner Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sowie eine Unrichtigkeit im Tatbestand des Urteils geltend.

Gründe

II.

6 Die Beschwerde ist unzulässig.

7 1. Das FA hat die Beschwerde zwar fristgerecht erhoben, aber die Beschwerdebegründungsfrist versäumt.

8 a) Die Beschwerdebegründung des FA ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist beim BFH eingegangen.

9 Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.

10 Nachdem das FG-Urteil dem FA am zugestellt worden war, lief die —vom Senatsvorsitzenden verlängerte— Beschwerdebegründungsfrist am Freitag, dem ab. Innerhalb dieser Frist hat das FA jedoch keine Begründung eingereicht. Die Beschwerdebegründung ging vielmehr erst am um 04:48 Uhr in der von § 52d Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 1 FGO vorgeschriebenen elektronischen Form (per EGVP) beim BFH ein.

11 b) Dem FA kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden.

12 aa) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt die Frist einen Monat. Innerhalb der Antragsfrist ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH schließt jedes Verschulden —auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z.B. , Rz 7; Senatsbeschluss vom  - VII R 32/90, BFH/NV 1994, 553, unter II. der Gründe). Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat; das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des FA gleichsteht (, BFHE 280, 408, Rz 13, m.w.N.).

13 Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift hat der BFH aus diesen Vorgaben abgeleitet, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (, BFHE 280, 408, Rz 16, m.w.N.). Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei unter anderem die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erteilt wurde (, BFHE 280, 408, Rz 16, mit Verweis auf , BAGE 167, 221 und , Rz 22). Außerdem ist anhand des zuvor vergebenen Dateinamens zu prüfen, ob sich diese Meldung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (, BFHE 280, 408, Rz 16, mit Verweis auf , Rz 10). Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (, BFHE 280, 408, Rz 17; vgl. auch Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, FGO, § 52a Rz 68; Schmieszek in Gosch, FGO § 52a Rz 37; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 52a FGO Rz 127, m.w.N.).

14 bb) Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das FA, dem das Verhalten des Unterzeichners des Schriftsatzes vom als Bevollmächtigtem zuzurechnen ist, war nicht ohne Verschulden im Sinne des § 56 Abs. 1 FGO gehindert, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.

15 Denn das FA hat nicht dargelegt, dass es die ordnungsgemäße Übermittlung der Beschwerdebegründung an den BFH überprüft hat. Es ist nicht ersichtlich, dass es am kontrolliert hat, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erteilt worden ist. Ohne diese Überprüfung kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand —wie beschrieben— nicht in Betracht.

16 Das FA kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, es habe sich auf die rechtzeitige Übermittlung verlassen können, weil der Unterzeichner der Beschwerdebegründung diese am gegen 19:30 Uhr fertiggestellt und sogleich elektronisch versandt habe, der Versand über das EGVP erfahrungsgemäß innerhalb der ersten halben Stunde nach dem Sendeauftrag erfolge und vom System auch keine Übermittlungsfehler gemeldet worden seien. Wie beschrieben kommt es nach der Rechtsprechung nicht auf den rechtzeitigen Versand, sondern auf die Eingangsbestätigung bei Gericht an. Im Streitfall bestand zudem die Besonderheit, dass die Beschwerdebegründung 18 Seiten umfasste und eine Anlage im Umfang von 63 Seiten aufwies. Dass es bei der elektronischen Übermittlung größerer Dateien zu Verzögerungen kommen kann, liegt nicht außerhalb des Erwartbaren.

17 2. Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen ist die Beschwerde aber auch deshalb unzulässig, weil sie nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO entspricht.

18 a) Das FA hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht dargelegt.

19 Für eine den Vorgaben des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechende Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist darüber hinaus der substantiierte Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (Senatsbeschlüsse vom  - VII B 74/15, Rz 6 und vom  - VII B 116/12, Rz 9).

20 Das FA hat insgesamt drei Fragen formuliert, und zwar zwei Fragen zu den Überwachungs- und Kontrollpflichten des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber einer mandatierten Steuerberaterin und eine Frage zur groben Fahrlässigkeit bei der Überwachung dieser Steuerberaterin. Alle drei Fragen sind jedoch so formuliert, dass sie infrage stellen, ob —wie es das FG gesehen hat— aufgrund einer Vielzahl besonderer Sachverhaltsumstände die Überwachungs- und Kontrollpflichten des Geschäftsführers erfüllt worden sind und folglich ein Verschulden zu verneinen war. Damit hat das FA indes keine Rechtsfragen formuliert, sondern beanstandet —im Kern— lediglich, dass das FG den besonderen Sachverhalt des Streitfalls nicht richtig unter die Merkmale des gesetzlichen Tatbestands des § 69 AO subsumiert habe. Ein Subsumtionsfehler würde aber lediglich einen Rechtsanwendungsfehler darstellen, der von vornherein die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.

21 Das FA hat auf Seite 12 seiner Beschwerdebegründung auch selbst erkannt, dass materiell-rechtliche Fehler des FG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich unerheblich sind. Gleichwohl hat es an seiner Beschwerde festgehalten.

22 b) Die Rüge des FA, der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sei unrichtig, weil zwischen den Beteiligten nicht unstreitig gewesen sei, ob die A-GmbH zum Zeitpunkt der gesetzlichen Abgabetermine der Umsatzsteuervoranmeldungen über eine ausreichende Liquidität verfügt habe, rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestands sind nicht als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu rügen, sondern müssen gegebenenfalls zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) gemacht werden (Senatsbeschlüsse vom  - VII B 124/10, Rz 14 und vom  - VII B 61/08, BFH/NV 2008, 1708, unter II.2. der Gründe).

23 3. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.

24 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2023:B.131223.VIIB188.22.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2024 S. 294 Nr. 3
NJW 2024 S. 9 Nr. 5
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2024 S. 240
StuB-Bilanzreport Nr. 6/2024 S. 240
HAAAJ-56560