Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen bzw. Kindern: Bedeutung der Gründe für die Teileinstellung eines Verfahrens für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen
Gesetze: § 154 Abs 2 StPO, § 154a Abs 2 StPO, § 174 Abs 1 Nr 1 StGB vom , § 176 Abs 4 Nr 4 StGB vom
Instanzenzug: LG Erfurt Az: 6 KLs 140 Js 10911/19
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, und sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass ein Monat der Gesamtfreiheitsstrafe wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt gilt.
2Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
3Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
41. a) Bei dem Angeklagten handelt es sich um den ehemaligen Lebensgefährten der Zeugin E. K. , der Tante der Zeugin P. K. , die wiederum die Mutter der Nebenklägerin ist.
5Nach der Trennung von E. K. lebte der Angeklagte in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Erfurt. Sein Kontakt zu der Familie K. blieb auch nach dem Beziehungsende bestehen und er besuchte unter anderem Geburtstagsfeiern der Nebenklägerin. Auf Bitten der P. K. übernahm er, wenn diese verhindert war, auch die Betreuung des Kindes. Dabei kam es „öfters“, insbesondere an Wochenenden, zu Übernachtungen der Nebenklägerin beim Angeklagten, der das Mädchen bei diesen Gelegenheiten „beaufsichtigen“ und „ernähren“, außerdem „Erziehungsaufgaben“ wahrnehmen sollte.
6b) Bei der Wahrnehmung dieser Betreuungsaufgaben kam es im Tatzeitraum vom bis zum an nicht näher bestimmbaren Tagen in der Wohnung des Angeklagten zu nachfolgenden Tathandlungen gegenüber der zu dieser Zeit vier bis fünf Jahre alten Nebenklägerin:
7Der Angeklagte schaute mit dem Kind einen pornografischen Zeichentrickfilm mit dem Titel „Schneeflittchen“, in dem unter anderem zu sehen ist, wie sich eine weibliche Hauptfigur mit einem „goldenen Dildo“ selbst befriedigt (Fall 1 der Urteilsgründe). Außerdem schaute er mit der Nebenklägerin „einen weiteren pornografischen Film an, welcher von Pinocchio handelte“ (Fall 2 der Urteilsgründe).
8Bei einer weiteren Gelegenheit befanden sich der Angeklagte und die Nebenklägerin gemeinsam in der Badewanne. Der Angeklagte zog das Mädchen zu sich zwischen seine Beine, zog sie sodann nach hinten und rieb sein Glied an ihrem Hinterkopf und Ohr, um sich sexuell zu erregen (Fall 3 der Urteilsgründe).
9An einem weiteren Tag sahen sich der Angeklagte und die Nebenklägerin eine Tierdokumentation an. Nachdem das Mädchen die Frage, ob sie wisse, wie Hühner entstehen, verneint hatte, wollte der Angeklagte ihr zeigen „wie Hühner poppen“. Hierzu begab sich die Nebenklägerin nach Aufforderung in den Vierfüßlerstand auf den Boden. Der Angeklagte positionierte sich hinter ihr und simulierte bekleidet den Geschlechtsverkehr, indem er wiederholt mit seinem Unterleib gegen das Gesäß des Kindes stieß, was ihn sexuell erregte (Fall 4 der Urteilsgründe).
10Bei anderer Gelegenheit schliefen der Angeklagte und die Nebenklägerin gemeinsam im Bett. Der Angeklagte berührte den Körper und den Intimbereich des Mädchens, rieb sein erigiertes Glied zwischen deren Beinen und drang erst mit seinem Finger und dann mit seinem Penis vaginal in die Nebenklägerin ein (Fall 5 der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall drang der Angeklagte erneut vaginal mit seinem erigierten Penis in die Nebenklägerin ein (Fall 6 der Urteilsgründe). Schließlich forderte er sie ein anderes Mal auf, sein Glied in die Hand zu nehmen, was diese auch tat (Fall 7 der Urteilsgründe).
112. Das Landgericht hat den bestreitenden Angeklagten auf Grundlage dieser Feststellungen, die es zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Bekundungen der Nebenklägerin stützt, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe), wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Fälle 3, 4 und 7 der Urteilsgründe) und wegen schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB (Fälle 5 und 6 der Urteilsgründe), in sämtlichen Fällen tateinheitlich wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB, jeweils in den Fassungen des Gesetzes vom , verurteilt.
12In den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe hat es das Verfahren gemäß § 154a Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO „auf das Anschauen eines pornografischen Zeichentrickfilms“ beschränkt. Außerdem hat es die Taten zu den Ziffern 3, 5, 9, 10, „14“ (gemeint: 12), 13 und 14 der Anklageschrift gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
II.
13Die Revision des Angeklagten ist begründet.
141. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 2 StR 119/22, NStZ-RR 2023, 185, 186 mwN) – sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
15a) Die Beweissituation ist hinsichtlich sämtlicher abgeurteilter Fälle dadurch gekennzeichnet, dass die getroffenen Feststellungen maßgeblich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhen. Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit war insoweit von Belang, welche Angaben die Zeugin zu den weiteren gleichgelagerten Tatvorwürfen 3, 5, 9 und 10 der Anklage gemacht hat und wieso es insoweit zu den Verfahrenseinstellungen sowie den Beschränkungen in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe kam. Das Tatgericht teilt indes nur mit, dass das Verfahren hinsichtlich dieser Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO eingestellt bzw. beschränkt worden sei. Darin liegt ein durchgreifender Erörterungsmangel.
16aa) Beruhen mehrere Tatvorwürfe auf den belastenden Angaben eines Zeugen und stellt das Tatgericht das Verfahren wegen eines Teils dieser Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, kann den Gründen für die Teileinstellung des Verfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen insbesondere hinsichtlich der Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen zukommen (vgl. , BGHSt 44, 153, 160; BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 281/22; vom − 4 StR 346/17, NStZ 2018, 618; BeckOK StPO/Eschelbach, 48. Ed., § 261 Rn. 61). Ist dies nach der konkret gegebenen Beweissituation der Fall, ist der Tatrichter aus Gründen sachlichen Rechts gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und sich mit deren Beweisbedeutung auseinanderzusetzen (vgl. − 4 StR 346/17, NStZ 2018, 618).
17bb) Hiervon ausgehend liegt in der fehlenden Mitteilung der Gründe für die Beschränkungen der Tatvorwürfe und der teilweisen Verfahrenseinstellungen ein Erörterungsmangel.
18Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sieben festgestellter Taten verurteilt, wobei es zuvor in zwei Fällen (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe) gemäß § 154a Abs. 2 StPO eine Beschränkung vorgenommen hat. Sieben weitere angeklagte Taten hat es gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt, von denen vier allein auf der Aussage der einzigen Belastungszeugin aufbauen und die nach der Anklageschrift von gleichem Gewicht wie Fall 3 der Urteilsgründe waren. Kommt es bei sechs von elf angeklagten Tatvorwürfen, die insoweit allein auf die Bekundungen der einzigen Belastungszeugin zurückgehen, zu Beschränkungen oder vorläufigen teilweisen Verfahrenseinstellungen, und nur in fünf Fällen zu einer im Vergleich zur Anklageschrift uneingeschränkten Verurteilung, ist eine Beweisbedeutung für die maßgeblich entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin und der Glaubhaftigkeit ihrer den Angeklagten belastenden Angaben nicht auszuschließen. Insbesondere legen die Urteilsgründe nahe, dass die Beschränkungen in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe auf Widersprüche in den Aussagen der Nebenklägerin zurückgehen. So habe die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung geschildert, dass es in beiden Fällen des Vorspielens pornografischer Filme „während des Anschauens zu sexuellen Handlungen gekommen sei“. Demgegenüber soll sie in der Hauptverhandlung bekundet haben, dass der Angeklagte „währenddessen“ seine Hand auf ihrem Bein gehabt habe, „sie glaube jedoch nicht, dass mehr passiert sei.“ Hiermit setzt sich das Landgericht nicht auseinander, sondern löst einen etwaigen Widerspruch in den Bekundungen der einzigen Belastungszeugin durch die Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf. Der Senat kann so nicht nachvollziehen, ob die vorläufigen Verfahrenseinstellungen mit weiteren Widersprüchen oder Inkonstanzen in der Aussage der Nebenklägerin zusammenhängen, was von erheblicher Beweisbedeutung wäre.
19Dies gilt auch, soweit das Landgericht nicht die Gründe für die vorläufige Verfahrenseinstellung in weiteren drei angeklagten Taten von vergleichbarem Gewicht (Fälle 12, 13 und 14 der Anklageschrift) mitteilt, in denen nach der Anklage ein weiteres Kind, in einem dieser Fälle (Fall 14 der Anklageschrift) sogar gemeinsam mit der Nebenklägerin, Opfer der Tathandlungen geworden sein soll.
20b) Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Beweiswürdigungsmängeln. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einem abweichenden Beweisergebnis gekommen wäre. Die Verurteilung ist daher insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO). Hiervon umfasst ist auch der Ausspruch über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
212. Neben diesem bereits vollumfänglich durchgreifenden und zur Urteilsaufhebung führenden Erörterungsmängeln weist das Urteil weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
22a) So hält der Schuldspruch in Fall 2 der Urteilsgründe und in sämtlichen Fällen die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen rechtlicher Prüfung nicht stand.
23aa) Der Schuldspruch jeweils wegen tateinheitlich verwirklichten sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes vom findet in den Urteilsgründen keine Stütze.
24(1) Die Feststellungen belegen kein Anvertrautsein im Sinne der Vorschrift.
25(a) Der Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB alter Fassung setzt voraus, dass zwischen Täter und Opfer ein Verhältnis besteht, kraft dessen eine Person unter 16 Jahren dem Täter zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist. Erforderlich hierfür ist ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne einer Unter- und Überordnung, die den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich umfasst, in welchem einer Person das Recht und die Pflicht obliegt, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-seelische Entwicklung zu überwachen und zu leiten (st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 33, 340, 344 f.; BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 228/17; vom – 4 StR 97/11; vom – 3 StR 12/11). Dabei kann allein aus dem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft noch kein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 StGB a.F. hergeleitet werden (vgl. ‒ 2 StR 200/15, NStZ 2017, 155, 156; ‒ 5 StR 112/99; ). Auch eine nur ganz kurzfristige Verantwortlichkeit während der Abwesenheit des Erziehungsberechtigten reicht nicht aus, um ein Obhutsverhältnis im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. zu begründen (vgl. ). Zudem genügt es nicht, dass sich das Kind oder der Jugendliche lediglich sehr oft bei dem Täter zu Besuch aufhält und der Täter sich um ihn kümmert, da diese Umstände nicht zur Begründung eines dem Schutzzweck des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. entsprechenden Abhängigkeitsverhältnisses genügen (vgl. ).
26(b) Davon ausgehend belegen die Feststellungen ein Anvertrautsein in diesem Sinne nicht. Zwar stellt das Landgericht fest, dass der Angeklagte „Erziehungsaufgaben“ gegenüber der Nebenklägerin wahrnahm. In welcher konkretisierenden Art und Weise und in welchem zeitlichen Umfang der nur „öfters“ die Nebenklägerin beaufsichtigende Angeklagte jedoch vor allem deren Erziehung unterstützte und ihre geistig-seelische Entwicklung überwachte und leitete, ist weder ausreichend festgestellt noch belegt. Gelegentliche kurze Besuche, auch wenn sie mit einer Übernachtung verbunden sind, genügen hierfür gerade nicht.
27(2) Daneben tragen die Feststellungen in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen aus einem weiteren Gesichtspunkt nicht. Denn zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands bedarf es der Vornahme einer sexuellen Handlung am Schutzbefohlenen oder der Täter muss eine sexuelle Handlung vom Schutzbefohlenen an sich vornehmen lassen. Beide Tatbestandsalternativen erfordern unmittelbaren Körperkontakt (vgl. , BGHSt 41, 242, 243; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 174 Rn. 28; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 174 Rn. 14), der gerade nicht festgestellt, vielmehr aus nicht näher dargelegten Gründen wegbeschränkt worden ist.
28bb) Darüber hinaus tragen die Feststellungen im Fall 2 der Urteilsgründe auch nicht die (tateinheitliche) Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes vom .
29(1) Es ist nicht hinreichend belegt, dass der Nebenklägerin pornographische Abbildungen oder Darstellungen vorgezeigt wurden. Pornographisch sind Darstellungen, die sexualbezogenes Geschehen vergröbernd und ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen zeigen. Die – wie in Fall 2 der Urteilsgründe – pauschale Bezeichnung des Videos als „Pornofilm“ belegt dieses Tatbestandsmerkmal für sich gesehen nicht (vgl. , NStZ-RR 2015, 74; , NStZ 2011, 455).
30(2) Aufgrund dieses Darstellungsmangels tragen die Feststellungen auch nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals „Einwirken“ im Sinne des § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung des Gesetzes vom . Ein solches erfordert eine psychische Einflussnahme tiefergehender Art (vgl. , NStZ-RR 2015, 74; Rn. 6 mwN), die etwa beim bloßen Vorzeigen pornographischer Bilder in aller Regel nicht vorliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 190/18; vom – 3 StR 490/14, NStZ-RR 2015, 139, 140; BeckOK StGB/Ziegler, 58. Ed., § 176a Rn. 7). Eine solche Einwirkung kann indes dann angenommen werden, wenn das Vorspielen mit sexualbezogenen Nachrichten oder körperlichen sexuellen Übergriffen verbunden ist (vgl. , NStZ-RR 2015, 74), zudem, wenn einer – wie hier – vier- bis fünfjährigen ein Film mit Darstellungen harter Pornographie gezeigt wird, um sich sexuell zu erregen (vgl. ).
31Indes sind weder diese noch andere Fallgestaltungen in Fall 2 der Urteilsgründe hinreichend festgestellt und ergeben sich auch nicht aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe. Neben der fehlenden Feststellung der vorgespielten Inhalte kann insbesondere ein zeitlicher Kontext zwischen dem Vorspielen des Videos und der weiteren festgestellten sexuellen Übergriffe aufgrund der insoweit nicht aussagekräftigen Urteilsgründe nicht hergestellt werden.
32b) Schließlich begegnet auch der Strafausspruch für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. So hat das Landgericht in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe Einzelstrafen von jeweils vier Monaten verhängt, indes die Voraussetzungen des § 47 StGB entgegen § 267 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht erörtert. Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hat aber regelmäßig nur Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird. Die gleichzeitige Verurteilung eines Angeklagten zu einer hohen Freiheitsstrafe macht die Erörterung nicht entbehrlich; die Prüfung ist vielmehr für jede einzelne Tat vorzunehmen (vgl. , NStZ-RR 2020, 273). Eine Ausnahme, nach denen sich diese Voraussetzungen auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben können (vgl. ‒ 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554), liegt bei dem nicht vorbestraften Angeklagten nicht vor.
III.
33Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neue Tatgericht Gelegenheit haben, sich sorgfältiger als bisher mit der Frage der Konstanz der Angaben der Nebenklägerin auseinanderzusetzen haben. Darüber hinaus wird es aufgrund der Besonderheiten der Beweissituation die Anforderungen an die Darlegung der Aussageinhalte und -entwicklung zu beachten haben (vgl. nur ). So lässt sich insbesondere im Fall 6 der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, wann und wie sich die Nebenklägerin außerhalb der Hauptverhandlung hierzu eingelassen hat. Vielmehr beschränken sich die Ausführungen in den Urteilsgründen darauf, sie habe in der Hauptverhandlung ausgesagt, der Angeklagte sei „ein weiteres Mal (sei er) mit seinem Penis eingedrungen“.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:251023B2STR285.23.0
Fundstelle(n):
TAAAJ-56423