BGH Urteil v. - II ZR 211/21

Auslegung der Rücknahmeerklärung über die Kündigung einer Genussrechtsbeteiligung; Rechtsfolgen der Kündigung einer Genussrechtsbeteiligung

Gesetze: § 145 BGB, § 242 BGB, § 280 BGB, § 561 Abs 1 ZPO, § 563 ZPO

Instanzenzug: Az: 5 U 870/20vorgehend LG Erfurt Az: 9 O 1010/19

Tatbestand

1Die Beklagte ist eine englische Limited und Rechtsnachfolgerin der T.     L.    I.                        GmbH (im Folgenden: TLI), welche ihren Sitz in Österreich hatte. Diese Gesellschaft ist aus der T.         L.       I.                  AG hervorgegangen, an welcher die Klägerin 2007 Namens-Genussrechte in Höhe von 10.272 € (9.600 € zuzüglich 672 € Agio) gezeichnet hatte. Sie erwarb Genussrechte mit der Emissionsbezeichnung T.      L.     . Der Zeichnung lagen Genussrechtsbedingungen (nachfolgend: GB) zugrunde in denen folgende Regelungen enthalten waren:

"§ 5 Verlustteilnahme

1.    Die begebenen Genussrechte nehmen bis zum Laufzeitende (§ 6 Abs. 1) ... an einem etwaigen zum Ende des jeweiligen Geschäftsjahres auszuweisenden Jahresfehlbetrag der Gesellschaft teil, soweit kraft vertraglicher Regelungen nicht anderes freies (Eigen-)Kapital durch eine Verlustbeteiligung vorrangig herabzusetzen ist. Maßgeblich für die Berechnung des Verlustanteils pro Genussrecht ... ist der in der nach den Rechnungslegungsvorschriften IFRS erstellten Gewinn- und Verlustrechnung für das jeweilige Geschäftsjahr auszuweisende Jahresfehlbetrag. An einem etwaigen Verlustvortrag nehmen die Genussrechte nicht teil.

§ 6 Laufzeit, Rückzahlung, Kündigung

1.    Die Laufzeit der Genussrechte ist unbegrenzt. Eine Kündigung ist frühestens zum Ablauf von fünf Geschäftsjahren seit der Begebung der Genussrechte (§ 3 Abs. 2) (Mindestvertragsdauer) zum Ende eines Geschäftsjahres möglich (Laufzeitende), nachfolgend jeweils zum Ablauf des folgenden Geschäftsjahres.

[...]

4.    Die Rückzahlung der Genussrechte erfolgt zu 100 % des Nennbetrages abzüglich eines etwaigen Verlustanteils gemäß § 5 dieser Bedingungen (Rückzahlungsbetrag). Der Rückzahlungsanspruch ist nach Maßgabe des § 4 Abs. 5 dieser Bedingungen fällig.

[...]

§ 8 Bestandsschutz

1.    Der Bestand der Genussrechte wird vorbehaltlich § 5 dieser Bedingungen im Falle der Beteiligung der Gesellschaft an einem Umwandlungsvorgang oder Bestandsübertragung der Gesellschaft nicht berührt.

2.    Im Falle einer Maßnahme nach Abs. 1 sind den Genussrechtsinhabern gleichwertige Rechte an einen neuen/übernehmenden Rechtsträger einzuräumen."

2Die Klägerin kündigte den Vertrag gegenüber der TLI zum . Mit Schreiben vom bestätigte die T.        L.       A.                                       (im Folgenden: TLA), dass sie die Kündigung fristgerecht erhalten und zum vorgemerkt habe. Im Februar 2019 erhielt die Klägerin ein von der Beklagten veranlasstes Schreiben der TLA. Darin wurde ausgeführt, dass im Rahmen des Versuchs einer angemessenen und positiven Entwicklung der Zielgesellschaft der TLI, der T.          L.      G.     LTD (im Folgenden: TLG), die Restrukturierung der TLI zum abgeschlossen worden sei. Diese umfasse: "im Kern die Umwandlung sämtlicher Genussrechte und -scheine in Aktien". Für einen rechnerischen Wert der Genussrechte und -scheine zum von 10.000 € erhalte der Inhaber 10.000 Aktien je 1 € rechnerischem Wert. Einschließlich eines Aufwertungspotenzials ergebe sich ein rechnerischer Beteiligungsbuchwert von 14.790 €.

3Es wurde darauf hingewiesen, dass es unter anderem aus rechtlichen und steuerlichen Gründen unvermeidlich gewesen sei, die Beteiligungsbuchwerte aller "Genussrechts-/-schein-Inhaber" zum Stichtag temporär auf ein Minimum abzuwerten. Der beigelegten Anlegerinformation für den Vertrag der Klägerin, überschrieben als "Vertragshistorie für den Zeitraum vom Investitionsbeginn bis ", war zu entnehmen, dass sich der rechnerische Wert der "Genussrechte/-Scheine" der Klägerin per bei einem Anlagebetrag von 9.600 € auf 10.985,20 € belaufe.

4Die Wirksamkeit der Kündigung der Klägerin wurde bestätigt und ihr wurden zwei Wahlmöglichkeiten angeboten. Für den Fall, dass sie ihre Kündigung aufrechterhalte, solle sie das beiliegende Formblatt ausfüllen und bis spätestens unterschrieben zurückschicken. Nach Eingang des Formblatts werde der Vertrag gemäß den maßgeblichen "Genussrechts-/-scheinbedingungen" abgerechnet. Der Rückzahlungsbetrag zum Kündigungsstichtag31. Dezember 2017 betrage Null Euro. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Rückzahlungsbetrag weder den tatsächlichen Wert noch das mögliche zukünftige Wertsteigerungspotential des Investments der Klägerin widerspiegele. Alternativ wurde ihr angeboten, von der Kündigung zurückzutreten. Die Klägerin unterzeichnete am das von der Beklagten zur Verfügung gestellte Formblatt und erklärte durch Ankreuzen des entsprechenden Felds: "Ich möchte meine Kündigung zurücknehmen". Mit anwaltlichem Schreiben vom kündigte die Klägerin jedoch erneut, diesmal fristlos und forderte die Beklagte auf, das Auseinandersetzungsguthaben zu berechnen und auszuzahlen.

5Die Klägerin macht mit ihrer Klage die Rückzahlung des im Schreiben vom Februar 2019 aufgeführten "Gesamtbeteiligungsbuchwerts" ihrer Anlage in Höhe von 10.985,20 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Rechte aus der Beteiligung an der T.           L.                                                     an die Beklagte sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

6Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der Klägerin der Zahlungsanspruch nicht zustehe. Entscheidend sei, dass die Klägerin ihre Beteiligung zum ordentlich gekündigt habe, dann jedoch auf das ihr gegenüber mit dem Schreiben der T.     L.      A.                                       im Februar 2019 gemachte Angebot ihre Kündigung zurückgenommen habe. Das Schreiben der Anlegerverwaltung vom Februar 2019 und das darin enthaltene Angebot der Beklagten an die Klägerin zur Rücknahme der Kündigung und (zukünftigen) Weiterführung der Beteiligung in Form von Aktien sei als Vertragsangebot im Sinne des § 145 BGB zum Abschluss einer entsprechenden Aktienbeteiligung zu verstehen, welches die Klägerin ihrerseits dann mit schriftlicher Erklärung vom angenommen habe. Damit hätten sich die Parteien darauf geeinigt, dass die Klägerin mit der Umwandlung der Genussrechte und -scheine in Aktien unter Zugrundelegung der Berechnung der Beklagten einverstanden sei. Deshalb könne sie sich nicht mehr darauf berufen, dass diese Umwandlung kein gleichwertiges Recht nach den vormaligen Genussrechtsbedingungen darstelle.

9Die Klägerin könne sich auch nicht für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf die weiter erklärte fristlose Kündigung der Genussrechte stützen. Diese Kündigung sei ins Leere gegangen, da zu diesem Zeitpunkt aufgrund der vorherigen übereinstimmenden Umwandlung der Genussrechte in Aktien keine Genussrechtsbeteiligung der Klägerin mehr bestanden habe, die sie habe fristlos kündigen können. Da sich die Klägerin mit der Umwandlung der Genussrechte in Aktien einverstanden erklärt und die Verschmelzung bereits stattgefunden habe, könne die Umwandlung nicht mehr eine ein außerordentliches Kündigungsrecht für die Klägerin begründende Pflichtverletzung darstellen. Sämtliche der zur Begründung der außerordentlichen Kündigung angeführten Tatsachen seien der Klägerin bereits zum Zeitpunkt der Rücknahme ihrer ordentlichen Kündigung und in dem von ihr erklärten Einverständnis mit der Umwandlung der Genussrechte in Aktien bekannt gewesen, weshalb hierauf eine fristlose Kündigung nicht habe gestützt werden können.

10Auch ein Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB stehe der Klägerin mangels Pflichtverletzung gegen die Beklagte nicht zu. Eine solche Pflichtverletzung liege weder in der Umwandlung der Genussrechte in Aktien noch könne eine Pflichtverletzung in der erfolgten temporären Abwertung oder einer vermeintlich fehlenden Gleichwertigkeit zwischen den Genussrechten und den Aktien gesehen werden. Denn auch insoweit müsse die mit der Rücknahme der Kündigung verbundene Erklärung eines Einverständnisses mit der Umwandlung der Genussrechte in Aktien berücksichtigt werden.

11Die Zulassung der Revision sei wegen einer eine gleiche Fallgestaltung betreffenden abweichenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom29. Januar 2021 (9 U 66/20, NZG 2021, 562 Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch ) erforderlich.

12II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

131. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist dabei das gesamte Berufungsurteil. Die Zulassung der Revision ist im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht auf Ansprüche aus der erklärten fristlosen Kündigung beschränkt, so dass Ansprüche aus der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung der Klägerin nicht ausgeklammert sind. Dem allgemeinen Verweis auf eine abweichende Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts lässt sich eine solche Beschränkung nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen.

142. Den Angriffen der Revision nicht stand hält die Auffassung des Berufungsgerichts, der Klägerin stehe kein Anspruch zu, weil durch die auf dem von der Beklagten vorgefertigten Formularblatt erklärten Rücknahme der ordentlichen Kündigung durch die Klägerin unter Anwendung deutschen Rechts ein neuer Vertrag über die Anlage in eine Aktienbeteiligung zustande gekommen sei.

15a) Die tatrichterliche Auslegung einer Individualerklärung kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht ( ­ II ZR 76/21, ZIP 2023, 467 Rn. 18; Urteil vom - VIII ZR 272/20, juris Rn. 71).

16b) Einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Auslegung der Erklärungen der Parteien durch das Berufungsgericht nicht stand.

17aa) Die Annahme eines eigenständigen neuen Vertragsschlusses durch das Berufungsgericht überdehnt den Wortlaut der Erklärung der Klägerin über die Rücknahme der ordentlichen Kündigung. Der Wortlaut der von der Beklagten vorformulierten Erklärung lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass ein neuer Vertrag über eine Aktienbeteiligung geschlossen werden soll, der unabhängig von den bisherigen vertraglichen Beziehungen der Parteien steht. Der Wortlaut ist vielmehr auf Fortbestand der Genussrechtsbeziehungen gerichtet. So ist dort lediglich von der Rücknahme der Kündigung die Rede, wie auch im weiteren Text davon, dass diese keine Rechtswirkungen entfalten solle und die Beteiligung weiterhin Bestand habe, die durch die Fusion auf die Beklagte übergegangen sei. Im Übersendungsschreiben betreffend das Formular zur Rücknahme der Kündigung wird der Rücktritt von der Kündigung als Möglichkeit angeboten. Zwar wird in dem Anschreiben aus Februar 2019 auf eine gute Entwicklung "ihrer Aktien" Bezug genommen. Hiervon ist aber in dem von der Beklagten vorformulierten und von der Klägerin unterschriebenen gesonderten Formblatt keine Rede mehr.

18bb) Die Auslegung des Berufungsgerichts verstößt auch gegen die allgemein anerkannte Auslegungsregel einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung. Dieser Grundsatz bezweckt, die Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen. Es geht hierbei nicht darum, dem Rechtsgeschäft zu dem Inhalt zu verhelfen, der dem Richter im Entscheidungszeitpunkt als interessengemäß erscheint. Maßgeblich ist vielmehr der Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte ( ­ VIII ZB 20/20, BGHZ 228, 373 Rn. 32; Urteil vom ­ IX ZR 214/08, ZIP 2010, 238 Rn.14).

19Die Erklärung der Klägerin betreffend die Rücknahme ihrer Kündigung muss vor dem Hintergrund des Schreibens der TLA von Februar 2019 ausgelegt werden. Darin war der Klägerin für den Fall der Aufrechterhaltung ihrer bereits wirksam gewordenen Kündigung der Totalverlust ihrer Anlage in Aussicht gestellt worden, wenn sie ihre Kündigung nicht zurücknehme. Anderseits würde die Rücknahme der Kündigung ihre gesamte Anlage wertmäßig erhalten. Der Klägerin ging es darum, keinen Totalverlust ihrer Anlage zu erleiden, sondern diesen Wert zu erhalten. Ein Neuabschluss eines Vertrags unabhängig vom vorherigen war ersichtlich nicht der Wille der Klägerin. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass in der Anlegerinformation für den Vertrag der Klägerin für den Stichtag der rechnerische Wert der Genussrechte/-scheine in nahezu identischer Höhe angegeben worden war, wie der Beteiligungsbuchwert der Aktienanlage und lediglich in Höhe von 20 Cent abwich.

203. Auf der rechtsfehlerhaften Annahme eines Vertragsschlusses der Parteien beruht die Entscheidung des Berufungsgerichts, da es mit diesem nicht tragfähigen Argument alle in Betracht kommenden Ansprüche der Klägerin dem Grunde nach ausgeschlossen hat.

21III. Die Zurückweisung der Ansprüche der Klägerin kann aber auch nicht aus anderen Gründen aufrechterhalten werden, § 561 ZPO. Insbesondere steht die ausgesprochene Rücknahme der Kündigung durch die Klägerin nach dem der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Sachverhalt möglichen Ansprüchen der Klägerin nicht entgegen. Die Beklagte kann sich nach § 242 BGB (vgl. ­ II ZR 81/21, NZG 2022, 1440 Rn. 17) nicht auf die Wirkungen der Rücknahmeerklärung der Klägerin berufen, denn sie ist insofern der Klägerin wiederum nach § 280 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie die Klägerin pflichtwidrig zur Rücknahme veranlasst hat.

221. Der Genussrechtsvertrag ist ein Dauerschuldverhältnis eigener Art. Aus diesem Verhältnis ergeben sich Schutz- und Verhaltenspflichten der Gesellschaft, deren Inhalt in der Wahrung der Rechte der Genussrechtsinhaber und der Rücksichtnahme auf deren wohlverstandenen Interessen besteht. Die Gesellschaft trifft demnach grundsätzlich die Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genusskapitals zu unterlassen bzw. zu unterbinden. Verletzt sie diese Pflicht, kann eine Schadensersatzverpflichtung nach § 280 BGB entstehen. Der Genussrechtsinhaber geht von der dem Vertragspartner erkennbaren Erwartung aus, dass sich die Geschäfte der Gesellschaft im Rahmen des von der Satzung vorgegebenen Unternehmensgegenstandes bewegen. Ferner erwartet er, dass sein Kapital nicht durch eine Geschäftstätigkeit gefährdet wird, die schlechterdings kein seriöser Kaufmann durchführen würde (vgl. BGH, Urteil vom5. Oktober 1992 ­ II ZR 172/91, BGHZ 119, 305, 330 f.; Urteil vom ­ II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 Rn. 22 beide zu Genussrechten in einer AG;Habersack/Casper/Löbbe/Leuschner, GmbHG, 3. Aufl., § 29 Rn. 225; Scholz/Seibt, GmbHG, 13. Aufl., § 14 Rn. 147; Rowedder/Pentz/Pentz, GmbHG, 7. Aufl., § 29 Rn. 143; Noack/Servatius/Haas/Kersting, GmbHG, 23. Aufl., § 29 Rn. 93).

232. Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin hat sich nach dem der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legenden Sachvortrag schuldhaft pflichtwidrig gegenüber der Klägerin verhalten und ist deshalb zum Schadensersatz verpflichtet.

24a) Wenn das Berufungsgericht zu Tatsachen keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsrechtlichen Prüfung die Richtigkeit des Sachvortrags des Revisionsklägers im Berufungsverfahren zu unterstellen (vgl. ­ V ZR 112/22, juris Rn. 33; Urteil vom ­ VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 28).

25Die Klägerin hat in den Vorinstanzen vorgetragen, dass im Jahresabschluss zum ihr Genussrechtskapital zu Unrecht mit Null Euro bewertet worden sei. Vielmehr habe dieses in Höhe der Klageforderung bestanden. Die temporäre Abwertung sei rechtswidrig erfolgt. Dieser Vortrag ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren als richtig zu unterstellen. Im Schreiben der T.        L.        A.                                        vom Februar 2019 ist zudem ausgeführt, dass der Rückzahlungsbetrag nicht dem tatsächlichen Wert der Anlage entspricht.

26b) Die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin haben ihre Pflichten schuldhaft verletzt und sind insofern der Klägerin zum Schadensersatz nach § 280 BGB verpflichtet, weil sie die Klägerin pflichtwidrig zur Rücknahme veranlasst hat.

27Die Genussrechtsinhaber nehmen nach § 5 Nr. 1 der Genussrechtsbedingungen am Jahresfehlbetrag der Gesellschaft teil. Maßgeblich für die Berechnung des Verlustanteils sind die Rechnungslegungsvorschriften IFRS. An einem Verlustvortrag nehmen die Genussrechte nicht teil. Die Rückzahlung der Genussrechte erfolgt zu 100 % des Nennbetrags abzüglich eines etwaigen Verlustanteils nach § 5 der Bedingungen (§ 6 Nr. 4 GB).

28Da die Genussrechte vom Gewinn der Gesellschaft abhängig sind, darf die Gesellschaft den Gewinn nicht manipulieren, also etwa unangemessene Rückstellungen bilden oder Erzeugnisse zu niedrigen Verrechnungspreisen an rechtlich selbständige Tochtergesellschaften abgeben, um dort die Gewinne entstehen zu lassen. Hat eine Änderung bei Bilanzierungswahlrechten nur den Zweck, die Genussrechtsinhaber zu benachteiligen, so hat jeder Genussrechtsinhaber einen Schadensersatzanspruch in Höhe des auf ihn bei ordnungsgemäßen Verhaltens entfallenden Gewinns (Rowedder/Pentz/Pentz, GmbHG, 7. Aufl., § 29 Rn. 143; Scholz/Seibt, GmbHG, 13. Aufl., § 14 Rn. 143).

29Gemessen an diesem Maßstab liegt nach dem hier maßgeblichen Sachvortrag der Klägerin eine mit den Genussrechtsbedingungen nicht vereinbare vorübergehende Abwertung der Genussrechte vor, die manipulativ und zweckgerichtet auf die Vernichtung der Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsinhaber gerichtet war, die eine Kündigung ausgesprochen hatten. So würde ein seriöser Kaufmann nicht vorgehen. Das gleiche gilt für den Umstand, dass in dem Schreiben vom Februar 2019 die Klägerin getäuscht wurde, soweit darin behauptet worden ist, der Rückzahlungsbetrag der Genussrechtsbeteiligung betrage Null Euro und dementsprechend bestehe kein Auszahlungsanspruch.

30IV. Die Sache ist zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird sich auch mit den weiteren Rügen der Parteien auseinandersetzen müssen, zu denen Stellung zu nehmen der Senat zum jetzigen Zeitpunkt keine Veranlassung hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:241023UIIZR211.21.0

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2024 S. 9 Nr. 4
EAAAJ-56415