BGH Urteil v. - VIa ZR 319/22

Instanzenzug: Az: 5 U 2900/21vorgehend LG Amberg Az: 13 O 198/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im April 2018 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz CLS 350 CDI 4MATIC zu einem Kaufpreis von 31.000 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet.

3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.292,75 € Zug um Zug gegen "Rückgabe" und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen begehrt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der auf den Freistellungsbetrag begehrten Zinsen weiter.

Gründe

5Die Revision des Klägers hat Erfolg.

A.

6Die Berufung des Klägers war, was der Senat als Prozessfortsetzungsbedingung von Amts wegen zu überprüfen hat (vgl. , IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 737/21, juris Rn. 6; Urteil vom - VIII ZR 184/21, juris Rn. 11), zulässig. Insbesondere genügte die Berufungsbegründung den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

7Hat das Gericht erster Instanz die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen. Denn nur dann kann die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungserheblich sein (, NJW-RR 2020, 1132 Rn. 16; Beschluss vom - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7). Dagegen ist die Berufung insgesamt zulässig, wenn die Begründung immerhin zu einem Streitpunkt eine § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügende Begründung enthält und die bezeichneten Umstände geeignet sind, der angegriffenen Entscheidung insgesamt die Grundlage zu entziehen (vgl. , NJW 2015, 3040 Rn. 12; Beschluss vom - II ZB 21/10, WM 2012, 209 Rn. 7; Beschluss vom - VIa ZB 5/21, juris Rn. 9).

8So verhielt es sich hier. Das Landgericht hat Ansprüche des Klägers nach §§ 826, 31 BGB wegen des Einbaus eines Thermofensters, wegen der vom Kläger behaupteten Verwendung einer "Prüfstandserkennung/Abgasmanipulation […] wie beim EA 189-Motor des VW-Konzerns" und wegen einer vom Kläger angeführten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten verneint. Der Kläger hat in seiner fristgemäß eingereichten Berufungsbegründung unter anderem beanstandet, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft Vortrag zu "5 weitere[n] unzulässige[n] Abschalteinrichtungen, nämlich das sogenannte Slipguard sowie Bit 13-15" übergangen. Damit war § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genüge getan. Über den Vorwurf hinaus, das Landgericht habe den Prozessstoff nicht ausgeschöpft, musste der Kläger keine Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung vorbringen, weil es mangels einer Befassung des Landgerichts mit einer Rechtfertigung der Ansprüche aufgrund solcher weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen an selbständig tragenden Erwägungen fehlte. Im Übrigen hat der Kläger durch das Weiterverfolgen von Ansprüchen aus §§ 826, 31 BGB deutlich gemacht, dass er auch die Ausführungen des Landgerichts zum Vorrang der kaufrechtlichen Gewährleistung angreife.

B.

9Der angefochtene Beschluss ist in der Sache von Rechtsfehlern beeinflusst.

I.

10Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

11Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB seien nicht gegeben. Hinsichtlich des Thermofensters fehlte es - selbst wenn die Funktionsweise als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten wäre - an einem vorsätzlichen Vorgehen der Beklagten. Ebenso wie hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung behaupte der Kläger selbst nicht, dass diese auf dem Prüfstand anders arbeite als unter vergleichbaren Bedingungen im Straßenverkehr. Der Vortrag des Klägers zu den weiteren Abschalteinrichtungen, etwa den Funktionen Bit 13 bis 15 und Slipguard, sei prozessual unbeachtlich, da er nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützt und "ins Blaue hinein" gehalten sei. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kämen nicht Betracht, weil es sich bei der Bestimmung nicht um ein Schutzgesetz handele.

II.

12Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

131. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

142. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

15Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

16Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

17Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:201123UVIAZR319.22.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-55909