Kausalität von Anwaltsverschulden bei Übermittlungsfehler des Gerichts
Gesetze: § 520 Abs 2 S 3 ZPO
Instanzenzug: Az: 6 U 14/23 Beschlussvorgehend LG Ellwangen Az: 4 O 152/22
Gründe
I.
1Die klagende Bank begehrt von dem Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Der Beklagte hat gegen das ihm am zugestellte Urteil fristgerecht Berufung eingelegt.
2Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ohne Begründung beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat bis zum zu verlängern. Noch am selben Tag hat der Vorsitzende verfügt, der Beklagte erhalte im Hinblick auf § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO Gelegenheit, seinen Fristverlängerungsantrag unverzüglich zu begründen. Diese Verfügung sollte dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten mit Begleitschreiben über das besondere elektronische Anwaltspostfach mitgeteilt werden. Versehentlich wurde am jedoch nur das Begleitschreiben ohne die Verfügung übersandt. Darin heißt es: "Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt […], anliegende Dokumente werden Ihnen elektronisch übermittelt."
3Nachdem in der Folgezeit keine Reaktion des Beklagten erfolgt war, hat der Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung vom den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen, weil der Beklagte keine Einwilligung der Klägerin beigebracht und entgegen § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO trotz des gerichtlichen Hinweises vom keine erheblichen Gründe dargelegt habe.
4Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom mitgeteilt, dass ihm die Verfügung vom nicht zugegangen sei und er auf einen entsprechenden Hinweis sofort reagiert hätte, zumal die beantragte Fristverlängerung auf einer Arbeitsüberlastung infolge seiner Corona-Erkrankung vom bis zum beruht habe.
5Mit Schriftsatz vom , eingegangen beim Berufungsgericht am , hat der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und erneut eine Verlängerung dieser Frist um einen Monat beantragt. Zur Begründung hat er auf die unterbliebene Mitteilung des in der Verfügung vom enthaltenen Hinweises sowie darauf verwiesen, dass in einem bei einem anderen Senat desselben Berufungsgerichts geführten Verfahren mit einem gleichlautenden Antrag die Berufungsbegründungsfrist verlängert worden sei. Er habe daher darauf vertrauen dürfen, dass auch im Streitfall die Frist wie beantragt verlängert oder ihm anderenfalls ein entsprechender Hinweis erteilt werde.
6Am hat der Beklagte eine Berufungsbegründung eingereicht.
7Mit Beschluss vom , der unter anderem in juris (OLG Stuttgart, 6 U 14/23) und NJOZ 2023, 670 veröffentlicht ist, hat das Berufungsgericht den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und dessen Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
8Der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist versäumt, da die am eingegangene Berufungsbegründung die am abgelaufene und nicht verlängerte Frist nicht habe wahren können. Die beantragte Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil der Beklagte nicht glaubhaft gemacht habe, ohne sein bzw. ein ihm zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an einem ordnungsgemäßen Fristverlängerungsantrag gehindert gewesen zu sein. Führe die beantragte Fristverlängerung - wie hier im Hinblick auf die bei Gewährung entsprechend hinausgeschobene Prüfung gemäß § 522 ZPO - zur Verzögerung des Rechtsstreits, dürfe die Berufungsbegründungsfrist nur dann verlängert werden, wenn es sich um den ersten Fristverlängerungsantrag handele und der Rechtsmittelführer darin gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlege. Werde der Antrag nicht begründet, müsse der Rechtsmittelführer damit rechnen, dass der Antrag deshalb abgelehnt werde. Diese Rechtsprechung müsse dem Rechtsanwalt auch bekannt sein. Da ein gerichtlicher Hinweis nicht erforderlich gewesen sei, könne sich daraus, dass die Verfügung vom dem Beklagten nicht mitgeteilt worden sei, von vornherein nichts zu dessen Gunsten ergeben. Darüber hinaus stelle es ein selbständiges Verschulden dar, wenn ein Prozessbevollmächtigter, dem auf seinen Fristverlängerungsantrag ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts zugehe, dem aber die darin in Bezug genommene Verfügung nicht beigefügt sei, diesen Vorgang weder zum Anlass für eine Nachfrage bei Gericht noch für eine Überprüfung seines Fristverlängerungsantrags nehme, obwohl ein Prozessbevollmächtigter im Fall eines solchen Antrags ohne Darlegung erheblicher Gründe bei Gericht nachfragen müsse, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden sei. Der Beklagte habe auch nicht deshalb auf die Stattgabe des Fristverlängerungsantrags vertrauen dürfen, weil in einem Fall durch einen anderen Senat des Berufungsgerichts eine Berufungsbegründungsfrist ohne Darlegung eines erheblichen Grundes verlängert worden sei.
9Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
10Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs weder zur Rechtsfortbildung noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 und 2 ZPO) erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht vielmehr in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt nicht die Ansprüche des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Denn die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
111. Nach § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung ohne Einwilligung des Gegners - auf diese hat sich der Beklagte im Streitfall nicht berufen - auf Antrag um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt. Zwar muss ein Berufungsführer grundsätzlich damit rechnen, dass der Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf er jedoch im Allgemeinen darauf vertrauen, dass einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen wird, wenn dieser auf erhebliche Gründe im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestützt wird (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8, vom - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 10, vom - VI ZB 47/17, NJW-RR 2018, 569 Rn. 7 f. und vom - VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 16, jeweils mwN). Das setzt die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung voraus, auch wenn an diese bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden dürfen und beispielsweise der bloße Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten ausreicht, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 42/10, NJW-RR 2011, 285 Rn. 8, vom - XII ZB 565/16, NJW 2018, 1400 Rn. 19, vom , aaO Rn. 8 f., vom - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12 und vom , aaO, jeweils mwN).
12Entspricht der Fristverlängerungsantrag diesen Anforderungen und darf der Prozessbevollmächtigte deshalb mit der erstmaligen Verlängerung der Begründungsfrist mit großer Wahrscheinlichkeit rechnen, ist er nicht gehalten, sich vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht zu vergewissern, ob dem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde (BVerfG, NJW 2001, 812, 813 f.; BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 34/16, NJW-RR 2017, 564 Rn. 12, vom - VI ZB 54/16, NJW-RR 2017, 1532 Rn. 12, vom - V ZB 166/17, juris Rn. 7 und vom - VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 17, jeweils mwN).
13Dagegen kann der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers nicht damit rechnen, dass seinem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird, wenn in diesem kein erheblicher Grund für die Gewährung einer Fristverlängerung dargelegt wird, sondern der Antrag jeglicher Begründung zur Notwendigkeit einer Fristverlängerung entbehrt (BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 7 und vom - VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 18 f.). In einem solchen Fall muss der Prozessbevollmächtigte damit rechnen, dass der Senatsvorsitzende in einer nicht mit erheblichen Gesichtspunkten begründeten Verlängerung der Frist eine Verzögerung des Rechtsstreits sehen und das Gesuch deshalb ablehnen wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - X ZB 6/92, NJW 1992, 2426, 2427, vom , aaO Rn. 7 f., vom - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 12 und vom , aaO Rn. 18 f., 21).
142. Die ihm nach diesen Maßgaben im Zusammenhang mit der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist obliegenden Sorgfaltspflichten hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht eingehalten.
15a) In dem Antrag vom sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Dem Schriftsatz ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die Verlängerung begehrt worden ist. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht ohne weiteres als Grund des Antrags zu vermuten (BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 7, vom - X ZB 13/18, NJW-RR 2019, 1392 Rn. 13 und vom - VIII ZB 70/20, NJW-RR 2022, 201 Rn. 19). Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Beklagte zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern wäre gehalten gewesen, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde.
16b) Das gilt auch, nachdem dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am letzten Tag der Frist, einen Tag nach Einreichung seines Antrags, ein als Begleitschreiben erkennbares Schreiben des Gerichts übersandt wurde, dem das darin in Bezug genommene Dokument nicht beigefügt war. Denn es war nicht ersichtlich, ob es sich dabei um einen Hinweis auf die fehlende Begründung, die Gewährung oder die Ablehnung der beantragten Fristverlängerung handelte. Der Prozessbevollmächtigte, der nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die ihm bekannt sein musste, mit der Ablehnung seines nicht begründeten Fristverlängerungsantrags rechnen musste, konnte nicht darauf vertrauen, dass es sich um die Gewährung der Fristverlängerung oder die rechtzeitige Erteilung eines Hinweises handelte.
17Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten konnte entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht auf eine ihm günstige gerichtliche Übung vertrauen. Der Beklagte hat schon nicht behauptet, dass gerade der Vorsitzende des zuständigen Senats einem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auch ohne Darlegung eines erheblichen Grundes üblicherweise stattgebe (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 126/89, FamRZ 1990, 613, 614 und vom - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rn. 9). Aber selbst dann, wenn auch die Behandlung von Fristverlängerungsanträgen durch andere Senate des Berufungsgerichts berücksichtigt würde (vgl. , NJW 1992, 2426, 2427), genügt der - hier erfolgte - Hinweis auf einen anderen Fall nicht, um eine gerichtliche Übung (vgl. BVerfGE 78, 123, 126; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 28/92, NJW 1993, 134, 135 und vom , aaO) darzulegen, die geeignet wäre, ein berechtigtes Vertrauen auf die Gewährung einer ersten Fristverlängerung auch ohne Angabe eines Grundes im Antrag zu begründen.
18c) Der Fehler des Gerichts bei der Übermittlung der Verfügung vom schließt die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung nicht aus (vgl. , VersR 2007, 1583 Rn. 8). Hätte sich der Prozessbevollmächtigte des Beklagten vor Ablauf der ursprünglichen Frist durch Nachfrage beim Berufungsgericht vergewissert, ob seinem Fristverlängerungsgesuch stattgegeben wurde, wäre ihm der Hinweis des Berufungsgerichts zur Kenntnis gelangt, er hätte dadurch erfahren, dass eine Begründung für die beantragte Fristverlängerung fehlt, und er hätte die Möglichkeit gehabt, noch rechtzeitig einen ordnungsgemäß begründeten Antrag elektronisch zu übermitteln, wie seine Reaktion auf die Zurückweisung der Fristverlängerung vom zeigt, die noch am gleichen Tag erfolgt ist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:141123BXIZB10.23.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-54816