BGH Beschluss v. - XII ZB 169/23

Betreuungssache: Voraussetzungen einer nachträglichen Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die Anhörungsrüge eines Verfahrensbeteiligten; Überprüfung der Anhörungsrüge auf deren Statthaftigkeit, Zulässigkeit und Begründetheit durch das Rechtsmittelgericht

Leitsatz

1. Die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die Anhörungsrüge eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 44 FamFG kommt u.a. dann ausnahmsweise in Betracht, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde auf die Zulassungsentscheidung bezogenen Vortrag der Verfahrensbeteiligten verfahrensfehlerhaft übergangen hat (im Anschluss an Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646).

2. Das Rechtsmittelgericht ist nicht an die Beurteilung der Vorinstanz zur Zulässigkeit und Begründetheit der Anhörungsrüge gebunden, sondern hat dessen Entscheidung, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (Anschluss an - NJW 2023, 1718).

Gesetze: § 44 Abs 1 S 1 Nr 2 FamFG, § 44 Abs 2 S 4 FamFG, § 70 Abs 1 FamFG, § 70 Abs 2 S 2 FamFG

Instanzenzug: LG Aurich Az: 7 T 6/23vorgehend AG Wittmund Az: 61 XVII 265/17

Gründe

I.

1Die Beteiligte zu 1 wendet sich als Erbin des im Juni 2018 verstorbenen Betroffenen gegen die Festsetzung der Betreuervergütung zugunsten des Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Betreuer), der für den Betroffenen als Berufsbetreuer bestellt war.

2Der Betreuer hat mit im Zeitraum November 2017 bis Juni 2018 gestellten Anträgen die Festsetzung seiner Vergütung für den Zeitraum vom bis zum beantragt. Die in der Folge als Alleinerbin des Betroffenen ermittelte Beteiligte zu 1 (im Folgenden: Erbin) hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Amtsgericht hat die aus dem Nachlass des Betroffenen zu entrichtende Vergütung auf insgesamt 971,50 € festgesetzt. Die Beschwerde der Erbin hat das zurückgewiesen. Der hiergegen gerichteten Anhörungsrüge hat das den Erfolg versagt, zugleich aber die Rechtsbeschwerde zugelassen.

3Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Erbin ihr Begehren auf Zurückweisung der Festsetzungsanträge des Betreuers weiter.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist mangels wirksamer Zulassung nach § 70 Abs. 1 FamFG nicht statthaft und damit unzulässig.

51. Das Landgericht hat zur Begründung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ausgeführt, diese sei ausnahmsweise aufgrund der von der Erbin erhobenen Anhörungsrüge nachträglich zulässig und zur Fortbildung des Rechts geboten. Denn mit seiner ursprünglichen Entscheidung habe es - nur hinsichtlich der Zulassungsentscheidung - das rechtliche Gehör der Erbin verletzt, weil es die in der Rügeschrift benannten Fundstellen für eine abweichende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht berücksichtigt habe.

62. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7a) Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist gegen einen Beschluss die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie in dem angefochtenen Beschluss ausdrücklich zugelassen hat, sei es in der Beschlussformel oder in den Gründen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646 Rn. 5 mwN). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, da der die Beschwerde zurückweisende Beschluss vom keinen Ausspruch der Zulassung der Rechtsbeschwerde enthält.

8b) Die vom nachträglich ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde bindet den Senat entgegen § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht. Sie ist unwirksam, weil sie einer verfahrensrechtlichen Grundlage entbehrt (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646 Rn. 7 mwN).

9aa) Allerdings kann das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nachträglich auf die von einem Verfahrensbeteiligten ordnungsgemäß angebrachte Anhörungsrüge (§ 44 FamFG) für das Rechtsbeschwerdegericht bindend zulassen, wenn bei der vorangegangenen Entscheidung, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dieses Beteiligten vorgelegen hat (Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646 Rn. 9).

10Die Anhörungsrüge räumt dem Gericht indes keine umfassende Abhilfemöglichkeit ein, sondern dient allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie des rechtlichen Gehörs. Das Unterbleiben der Zulassung der Rechtsbeschwerde kann im Grundsatz für sich genommen den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzen. Eine nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die Anhörungsrüge eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 44 FamFG kommt deshalb nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde auf die Zulassungsentscheidung bezogenen Vortrag der Verfahrensbeteiligten verfahrensfehlerhaft übergangen hat oder wenn das Beschwerdeverfahren aufgrund eines Gehörsverstoßes gemäß § 44 Abs. 5 FamFG fortgeführt wird und sich erst aus dem anschließend gewährten rechtlichen Gehör ein Grund für die Zulassung ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646 Rn. 10 mwN).

11bb) Beides ist hier nicht der Fall.

12(1) Das Beschwerdegericht hat bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde keinen hierauf bezogenen Vortrag der Erbin verfahrensfehlerhaft übergangen. Insbesondere begründet es entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts keine Verletzung der Erbin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), dass es die erstmals mit der Anhörungsrüge benannten Fundstellen für eine abweichende rechtliche Beurteilung der Verjährungsproblematik nicht in seine die Beschwerdeentscheidung tragenden Überlegungen einbezogen hatte. Für eine Gehörsverletzung im Rahmen der ursprünglichen Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die eine nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde hätte rechtfertigen können, ist auch sonst nichts dargetan oder ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass das Beschwerdegericht zulassungsrelevantes Vorbringen der Erbin (vgl. BVerfGE 119, 292 = NZA 2008, 1201, 1202 mwN) nicht zur Kenntnis genommen oder solches nicht bei der Entscheidungsfindung erwogen hätte (vgl. BVerfGE 47, 182 = NJW 1978, 989 mwN; Senatsbeschluss vom - XII ZB 133/21 - FamRZ 2021, 1659 Rn. 15).

13(2) Das Beschwerdegericht hat die Fortführung des Verfahrens nach § 44 Abs. 5 FamFG mangels Vorliegens eines Gehörsverstoßes abgelehnt, so dass sich ein auf die Rechtsbeschwerdezulassung bezogener Grund auch nicht im Rahmen einer Verfahrensfortsetzung ergeben konnte.

14Selbst wenn das Beschwerdegericht aber das Verfahren fortgeführt hätte, wäre die nachträgliche Zulassungsentscheidung unwirksam. Denn das Beschwerdegericht hätte das Verfahren auf die Anhörungsrüge der Erbin mangels Darlegung eines Gehörsverstoßes jedenfalls nicht fortführen dürfen und konnte daher die Rechtsbeschwerde schon aus diesem Grunde nicht wirksam zulassen. Für eine zulässige Anhörungsrüge ist nach § 44 Abs. 2 Satz 4, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FamFG die schlüssige Darlegung erforderlich, dass dem Gericht eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beteiligten unterlaufen ist (vgl. zu den Anforderungen - NJW 2009, 1609 Rn. 9 ff. mwN zu § 321 a ZPO). Hieran fehlt es vorliegend. Mit ihrer Anhörungsrüge hat die Erbin - wie auch das Beschwerdegericht erkannt hat - lediglich auf eine abweichende Auffassung zur Verjährungsfrage verwiesen und hierzu eine Referenzentscheidung und eine weitere Fundstelle benannt, die das Beschwerdegericht vor der Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nicht in den Blick genommen hatte. Sie hat sich damit auf eine Argumentation zur Sache beschränkt, aber eine für die Zulassung der Rechtsbeschwerde relevante Gehörsverletzung nicht aufgezeigt. Bei der Beurteilung, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war und das Verfahren daher fortgeführt werden durfte, ist der Senat nicht an die Beurteilung des Beschwerdegerichts gebunden, sondern hat dessen Entscheidung, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, selbst zu überprüfen (vgl. - NJW 2023, 1718 Rn. 19 mwN zu § 321 a ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:181023BXIIZB169.23.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2024 S. 409 Nr. 6
TAAAJ-53977