(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz - keine formgerechte Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG)
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG
Instanzenzug: SG Aachen Az: S 1 KR 130/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 5 KR 55/19 Urteil
Gründe
1I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte erfolglos bei der Beklagten und vor dem SG die Versorgung mit Liposuktionen der Beine und Arme (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom , Urteil vom ). Während des Berufungsverfahrens ließ die Klägerin Liposuktionen durchführen (4.3. und ). Der Chirurg B (Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Katholische Kliniken Ruhrhalbinsel gGmbH) berechnete der Klägerin aufgrund zweier jeweils am Operationstag getroffener "Wahlleistungsvereinbarungen" jeweils 4004,40 Euro unter Angabe von Ziffern der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Entsprechend berechnete der Anästhesist nach GOÄ 780 Euro und 420 Euro. Das LSG hat die Berufung der Klägerin, die zuletzt mit ihrer Klage die Erstattung von 9208,80 Euro begehrt hat, zurückgewiesen: Der Kostenerstattungsanspruch reiche nicht weiter als der Sachleistungsanspruch. Versicherte hätten keinen Anspruch auf Liposuktionen als ambulante Leistungen, da insoweit noch keine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege. Die Klägerin gehe zu Unrecht davon aus, dass die Liposuktionen unter stationären Bedingungen durchgeführt worden seien. Die Operation sei in der Station für ambulante Behandlungen durchgeführt worden. Korrespondierend dazu hätten die behandelnden Ärzte durch den wirtschaftlichen Behandlungsweg (GOÄ, Anästhesierechnung mit Zuschlag für ambulante Behandlung) zu erkennen gegeben, dass es sich um ambulante Behandlungen gehandelt habe (Urteil vom ).
2Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
3II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der hier geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG, dazu 1.) und der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, dazu 2.).
41. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist auch dann nicht formgerecht bezeichnet, wenn trotz naheliegender rechtlicher Gestaltung die schlüssige Darlegung fehlt, dass die Entscheidung des LSG nicht mit einer anderen als der vom LSG angeführten rechtlichen Begründung bestätigt werden kann, die Divergenzfrage mithin auch für das BSG entscheidungserheblich ist (vgl Leitsatz des - SozR 1500 § 160a Nr 54; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 15a). An einer hiernach gebotenen schlüssigen Darlegung fehlt es.
5Die Klägerin formuliert als Rechtssatz des BSG: Ein chirurgischer Eingriff findet nur ambulant im Sinne des § 115b SGB V statt, wenn der Patient die Nacht vor und die Nacht nach dem Eingriff nicht im Krankenhaus verbringt (Hinweis auf - BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1). Sie stellt diesem den von ihr formulierten Rechtssatz des LSG gegenüber, dass es für die Frage, ob eine Leistungserbringung ambulant oder stationär erfolge, allein auf den Blickwinkel der Abrechnung aus Sicht des Leistungserbringers abstelle.
6Ungeachtet dessen, ob das LSG einen solchen Rechtssatz überhaupt formuliert hat, legt die Klägerin nicht hinreichend dar, dass das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht und die Entscheidung des LSG nicht mit einer anderen als der vom LSG angeführten rechtlichen Begründung bestätigt werden kann. Ausführungen dazu wären aber erforderlich gewesen. Denn der vom LSG nur unzulänglich aufgeklärte Sachverhalt lässt die naheliegende Möglichkeit zu, dass die Klägerin die Liposuktionen trotz vorausgegangener Ablehnung der Beklagten von einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus im Wege der Sachleistungen erhalten hat.
7Die vom LSG in Bezug genommenen Rechnungen nach GOÄ betreffen die reinen Operationsleistungen einschließlich der damit zusammenhängenden Anästhesieleistungen. Rechnungen über die Leistungen des Krankenhauses insgesamt hat die Klägerin nicht vorgelegt. Es liegt aber fern, dass die Klägerin stationäre Aufnahme in einem Krankenhaus gefunden hat, ohne dass das Krankenhaus dafür eine Vergütung gefordert hat. Von den dann denkbaren Vertragsvarianten, nach denen ärztliche Leistungen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung gesondert abgerechnet werden können, ist der Abschluss einer Wahlleistungsvereinbarung (totaler Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag) die wahrscheinlichste; es liegt nahe, dass ein Versicherter besondere ärztliche Leistungen "hinzukaufen", nicht aber den Krankenhausträger aus der Verpflichtung entlassen will, ihm diese Leistungen gleichfalls zu schulden (vgl zu Wahlleistungsvereinbarungen iS des § 17 KHEntgG und zu den verschiedenen Vertragsformen des totalen Krankenhausvertrags, des gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrags und des totalen Krankenhausvertrags mit Arztzusatzvertrag - NJW 2016, 3027, RdNr 22 - 25).
8Zu dieser naheliegenden Möglichkeit, dass das Krankenhaus den von der Klägerin behaupteten Leistungsanspruch zu Lasten der Beklagten bereits erfüllt und die von der Klägerin eingeklagten Kosten nur zusätzlich entstandene sind, verhält sich die Beschwerdebegründung nicht. Damit zeigt die Klägerin ein Beruhen der Entscheidung des LSG auf einer möglichen Divergenz nicht auf.
92. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
10Die Klägerin stellt die Rechtsfrage, "ob die rechtliche Einordnung einer Operation als ambulant oder stationär allein aus der Perspektive des Leistungserbringers oder nach den faktischen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist."
11Die Klägerin legt die Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage nicht dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).
12Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin führt selbst an, dass sich die Rechtsprechung des BSG bereits "intensiv mit der Frage auseinander" gesetzt habe, wie eine ambulante von einer stationären Behandlung abzugrenzen sei (unter Verweis auf ). Inwieweit gleichwohl noch Klärungsbedarf bestehe, zeigt sie nicht auf.
133. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:170521BB1KR520B0
Fundstelle(n):
OAAAJ-53688