Tarifliche Nachtarbeitszuschläge - Gleichheitssatz - Zuschlagshöhe - Differenzierung - Nachtschichtarbeit - sonstige Nachtarbeit - Tarifauslegung - Brauereien
Gesetze: § 1 TVG, Art 3 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, Art 51 Abs 1 EUGrdRCh, § 6 Abs 5 ArbZG, Art 20 EUGrdRCh, Art 21 EUGrdRCh, EGRL 88/2003, § 2 Abs 3 ArbZG, § 2 Abs 5 ArbZG, § 106 GewO
Instanzenzug: Az: 17 Ca 298/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 50/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.
2Die Klägerin leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit in der von der Beklagten betriebenen Hamburger Brauerei. Im Arbeitsverhältnis der Parteien gilt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Brauereien und deren Niederlassungen in Hamburg und Schleswig-Holstein vom (MTV).
3Der MTV enthält unter anderem folgende Regelungen:
4Die Klägerin verrichtete von Oktober 2018 bis Januar 2019 Nachtschichtarbeit im tarifvertraglichen Sinn, für die sie einen Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts (§ 5 Nr. 2 MTV) erhielt.
5Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - für die geleistete Nachtarbeit die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 bis 06:00 Uhr in Höhe von 25 % und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 50 % des Stundenentgelts.
6Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 9 Nr. 1 Buchst. b MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 bis 06:00 Uhr - trotz Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmergruppen - Zuschläge von nur 25 %, für Nachtarbeit dagegen Zuschläge von 50 %, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund vorliege. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei Schichtarbeit von 22:00 bis 06:00 Uhr deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei Nachtschichtarbeit als auch bei Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit vorliegen oder fehlen. Ein Zuschlag von nur 25 % für Nachtschichtarbeit sei nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt, er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Außerdem sei dieser Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge der Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dienten und insoweit an Art. 20 und Art. 31 Abs. 1 GRC zu messen seien.
7Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gruppen der Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit verrichteten, seien schon nicht vergleichbar. Zwischen Nachtschichtarbeit und sonstiger Nachtarbeit bestehe zudem ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil Nachtschichtarbeit sehr viel häufiger anfalle als sonstige Nachtarbeit außerhalb von Schichtarbeit. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Die Zuschlagsdifferenz verringere sich außerdem durch die Regelungen zu den Schichtfreizeiten, die bezahlten Pausen und den Umstand, dass der Zuschlag von 50 % für Nachtarbeit, die keine Schichtarbeit ist, typischerweise Mehrarbeit betreffe und daher den Mehrarbeitszuschlag enthalte. Zugleich diene er als Anreiz, eine nicht im Schichtplan vorgesehene Tätigkeit zur tariflichen Nachtzeit ausnahmsweise aufzunehmen. Der Zuschlag solle auch nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen.
9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin zuletzt ihre Zahlungsansprüche weiter.
Gründe
10Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass sie für den streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann.
11I. Die Klage ist hinsichtlich der zuletzt nur noch gestellten Zahlungsanträge zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin hat für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die Anzahl der geleisteten Nachtarbeitsstunden angegeben und die Klageforderung ausgehend vom tariflichen Bruttostundenlohn mit der geltend gemachten Differenz von 25 Prozentpunkten für die geleisteten Nachtarbeitsstunden berechnet. Damit ist die Klage in Bezug auf jeden Monat, für den die Klägerin höhere Nachtarbeitszuschläge verlangt, als abschließende Gesamtklage zu verstehen und hinreichend bestimmt (vgl. - Rn. 14 mwN; - 10 AZR 34/17 - Rn. 13, BAGE 162, 230).
12II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für den streitgegenständlichen Zeitraum verlangen. Ein solcher Anspruch steht ihr weder unmittelbar aus dem MTV noch wegen eines Verstoßes der Bestimmungen des MTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu.
131. Ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.
14a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).
15b) Nach § 9 Nr. 1 Buchst. d MTV ist für Arbeit in der Nachtschicht von 22:00 bis 06:00 Uhr (im Folgenden Nachtschichtarbeit) ein Zuschlag von 25 % und nach § 9 Nr. 1 Buchst. b MTV für Nachtarbeit (im Folgenden sonstige Nachtarbeit) ein Zuschlag von 50 % zu zahlen. Da es sich bei der von der Klägerin geleisteten Arbeit um Nachtschichtarbeit iSv. § 9 Nr. 1 Buchst. d iVm. § 8 Nr. 6 MTV handelt, hat sie nach den Regelungen des MTV nur Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des aus dem gezahlten Monatsentgelt zu ermittelnden Stundenentgelts (§ 5 Nr. 2 MTV). Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
162. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % des Stundenentgelts wegen eines Verstoßes der tariflichen Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG und einer daraus folgenden Anpassung „nach oben“. Die Regelungen des MTV stellen einen angemessenen Ausgleich für die Belastungen durch Wechselschichtarbeit in der Nachtzeit dar und haben Vorrang vor dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für Nachtschichtarbeit einerseits und für sonstige Nachtarbeit andererseits in § 9 Nr. 1 Buchst. b und d MTV verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit leisten, werden gegenüber Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit erbringen, nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt. Für die Ungleichbehandlung bei der Höhe des Nachtarbeitszuschlags gibt es einen aus dem MTV erkennbaren sachlichen Grund, der diese rechtfertigt. Soweit der Senat in der Entscheidung vom (- 10 AZR 334/20 - BAGE 173, 205) eine andere Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.
17a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr., - Rn. 33; - 10 AZR 108/19 - Rn. 26; - 10 AZR 334/20 - Rn. 26, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 5 AZR 168/19 - Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen ( ua. - Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte ( - Rn. 19, BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 17; ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einl. Rn. 47).
18b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl. - Rn. 20; - 3 AZR 618/19 - Rn. 39, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 5 AZR 258/19 - Rn. 37; - 6 AZR 563/18 - Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; - 10 AZR 300/18 - Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl. - Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).
19c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung ( - Rn. 47, BAGE 172, 313; - 10 AZR 231/18 - Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind ( - Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: „Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien ... im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien ...]. Sie können daher viel stärker differenzieren, ...“). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen ( (A) - Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht ( - Rn. 40, BAGE 174, 116; - 10 AZR 334/20 - Rn. 41, BAGE 173, 205; - 6 AZR 563/18 - aaO; - 2 AZR 158/18 - Rn. 34, BAGE 168, 238; - 4 AZR 796/13 - Rn. 32, BAGE 151, 235).
20Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte ( - Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben ( - Rn. 21; - 9 AZR 577/20 (B) - Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt.
21d) Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für tarifvertragliche Regelungen über den Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit. Allerdings können solche tariflichen Regelungen den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur verdrängen, wenn sie unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Nachtarbeitnehmer tatsächlich einen angemessenen Ausgleich gewährleisten.
22aa) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln. Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen. Für dieses Grundrecht besteht eine staatliche Schutzpflicht. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, um die Schutzpflicht zu erfüllen ( ua. - zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191; - Rn. 44, BAGE 173, 205).
23bb) Der Gesetzgeber ist dem Schutzauftrag mit § 6 Abs. 5 ArbZG nachgekommen. Die Norm überantwortet die Schaffung von Ausgleichsregelungen für geleistete Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien. Die gesetzlichen Ansprüche greifen nur subsidiär (vgl. - Rn. 45 mwN, BAGE 173, 205). Auch bei solchen tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit handelt es sich aber um originär ausgeübte Tarifautonomie ( - Rn. 46, aaO; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 21). Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Koalitionsfreiheit ist nicht auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Er geht über den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus und erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen ( ua. - Rn. 115 mwN, BVerfGE 148, 296).
24cc) Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit regeln wollen. Dies gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG als auch darüber hinaus. So können sie beispielsweise die Nachtzeit gegenüber den Bestimmungen des ArbZG erweitern oder auch Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 ArbZG sind, einen Ausgleichsanspruch gewähren. Entscheiden sie sich aber im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG dafür, eine Regelung zu treffen, sind sie - anders als regelmäßig sonst bei der Gewährung tariflicher Leistungen - in einem gewissen Maß inhaltlich gebunden. Sie haben zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Die tarifliche Regelung muss die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren ( (A) - Rn. 72 mwN, BAGE 173, 165; - 6 AZR 549/17 - Rn. 18; - 1 ABR 62/10 - Rn. 15 mwN; - 10 AZR 369/10 - Rn. 18; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 83; BeckOK ArbSchR/Höfer Stand ArbZG § 6 Rn. 52, 54; BeckOK ArbR/Kock Stand ArbZG § 6 Rn. 25 f.; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 269; Kohte FS Buschmann 2014 S. 71, 81; Raab ZFA 2014, 237, 244; J. Ulber AuR 2020, 157, 161 f.; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 26 f.; wohl auch Neumann/Biebl ArbZG 16. Aufl. § 6 Rn. 26). Nur dann kann die tarifliche Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich des die Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmers verdrängen. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ in § 6 Abs. 5 ArbZG und entspricht dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes ( - aaO).
25dd) Bei der näheren Ausgestaltung, wie eine solche angemessene Kompensation erfolgen soll, sind die Tarifvertragsparteien hingegen im Rahmen der Tarifautonomie freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Ihnen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, wie sie den Ausgleich für die Nachtarbeit regeln wollen ( - Rn. 18; HK-ArbZeitR/Lorenz 2. Aufl. ArbZG § 6 Rn. 127). § 6 Abs. 5 ArbZG sieht für tarifliche Regelungen keine konkreten Mindestvorgaben vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die tarifvertragliche Regelung den mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgten Zwecken (vgl. dazu zuletzt - Rn. 28, 36 mwN) bei einer Gesamtbetrachtung gerecht wird. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb auch nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden ( - Rn. 26; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 14; J. Ulber AuR 2020, 157, 162 f.).
26ee) Soweit tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründen, tritt unmittelbar eine gesundheitsschützende Wirkung in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Nachtarbeitszuschläge wirken sich dagegen nicht positiv auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus. Der individuelle Gesundheitsschaden wird über den Zuschlag kommerzialisiert. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen, wodurch die Gesundheit mittelbar geschützt wird. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl. - Rn. 48 mwN, BAGE 173, 205).
27e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Tarifvertragsparteien für Beschäftigte, die - wie die Klägerin - Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit leisten, im MTV Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Schichtzeiten verdrängt.
28aa) Ob im jeweiligen Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für die Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen ist und die entsprechende Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt, ist jeweils anhand der betroffenen Arbeitnehmergruppe - hier die Arbeitnehmer, die Nachtarbeit in Wechselschicht leisten - und der konkreten Arbeitssituation, die im Streit steht, zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags im Hinblick auf seinen persönlichen Geltungsbereich ist nicht vorzunehmen. Eine solche würde auf der einen Seite nicht sicherstellen, dass für jeden einzelnen Nachtarbeitnehmer iSd. ArbZG ein angemessener tariflicher Ausgleichsanspruch besteht. Auf der anderen Seite kann der Umstand, dass es für einzelne Arbeitnehmergruppen an einem angemessenen Ausgleich fehlt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB -) nicht dazu führen, dass tariflichen Regelungen, die für andere Gruppen einen angemessenen Ausgleich beinhalten, entgegen § 6 Abs. 5 ArbZG der Vorrang verwehrt wird.
29bb) Danach wird § 6 Abs. 5 ArbZG auch im Hinblick auf Beschäftigte, die Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit leisten, durch die streitgegenständliche tarifliche Regelung verdrängt.
30(1) Diese erhalten grundsätzlich einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % auf das Stundenentgelt (§ 9 Nr. 1 Buchst. d MTV). Dieser Wert erhöht sich allerdings nicht durch den in § 7 Nr. 2.2 MTV geregelten Anspruch auf jährlich vier Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit für Arbeitnehmer, die - wie die Klägerin - im Drei-Schicht-System oder in Nachtschicht arbeiten. Hierbei handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschicht (vgl. zum spezifischen Ausgleich der Nachtarbeit durch Schichtfreizeiten - Rn. 30, 36; - 10 AZR 379/20 - Rn. 30, 36). Nach § 7 Nr. 2.1 MTV dient die Schichtfreizeit „zur Abgeltung der in der Nachtschicht oder in Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsel auftretenden Erschwernisse und Belastungen“. Es geht den Tarifvertragsparteien danach offensichtlich nicht nur um den Ausgleich der Belastungen durch die Nachtarbeit, sondern - bei Zwei- bzw. Drei-Schicht-Wechsel - auch um den Ausgleich der Belastungen durch diese Wechsel. Dies verdeutlicht § 7 Nr. 2.3 MTV, nach welchem Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-System („Früh-/Spät-, Früh-/Nacht- oder Spät-/Nachtschicht“) arbeiten, jährlich drei Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit erhalten. Danach wird den im Zwei-Schicht-System tätigen Arbeitnehmern nur eine Schichtfreizeit weniger gewährt als den im Drei-Schicht-System eingesetzten Beschäftigten und dies unabhängig davon, ob sie Nachtarbeit leisten oder nicht. Denn ausweislich der Formulierung werden auch im Wechsel „Früh-/Spätschicht“ Freischichten gewährt. Außerdem impliziert eine solche Regelung, dass es vorrangig auf die Belastung durch die Schichttätigkeit ankommt und diese im Drei-Schicht-System etwas höher bewertet wird als bei einem Zwei-Schicht-Wechsel. Des Weiteren werden die Freischichten nicht in Abhängigkeit der Anzahl der geleisteten Nachtschichten und damit zur tatsächlichen Belastung durch die Nachtarbeit gewährt (vgl. zu einer solchen Regelung - Rn. 31); vorausgesetzt wird nur ein entsprechender Arbeitseinsatz im jeweiligen Jahr (bei teilweiser Schichtleistung in einem Jahr erfolgt eine anteilige Gewährung, vgl. § 7 Nr. 2.3 MTV). Insgesamt betrachtet kann der Regelung somit nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, ob und ggf. in welchem Umfang mit der Leistung ein spezifischer Ausgleich der durch die Nachtarbeit entstehenden Belastungen bezweckt wird.
31(2) Gleichwohl stellt im Rahmen der bei der Beurteilung der Angemessenheit notwendigen wertenden Betrachtung der von den Tarifvertragsparteien vorgesehene Ausgleich eines Zuschlags in Höhe von 25 % unter Berücksichtigung der Art der zu leistenden Arbeit, also der Gegenleistung der Arbeitnehmer (vgl. dazu - Rn. 26 mwN), eine hinreichende Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis dar und beinhaltet eine Entschädigung für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben (vgl. - Rn. 30; - 10 AZR 553/20 - Rn. 32).
32cc) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass eine Regelung, die für Nachtschichtarbeit geringere Zuschläge gewährt als für sonstige Nachtarbeit, die gesetzliche Zielsetzung missachte und deshalb unwirksam sei, vermag dies nicht zu überzeugen (so aber zB auch J. Ulber AuR 2020, 157, 163). Dies vermengt die Frage der Angemessenheit des Ausgleichs mit der Frage der Gleichbehandlung. Die Frage der Angemessenheit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG richtet sich aber nicht danach, ob andere Arbeitnehmer den gleichen oder ggf. einen höheren Nachtarbeitszuschlag erhalten ( - Rn. 31).
33f) Die im MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit sowie für sonstige Nachtarbeit in § 9 Nr. 1 Buchst. b und d MTV verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegen zwar miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Allerdings ist die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit sowie für sonstige Nachtarbeit sachlich gerechtfertigt. Mit dem höheren Zuschlag soll - wie die Auslegung der Bestimmungen des MTV ergibt - die schlechtere Planbarkeit sonstiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Dieser erkennbare Wille der Tarifvertragsparteien ist Teil deren ausgeübter Tarifautonomie und genügt als sachlicher Grund.
34aa) Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit sowie sonstige Nachtarbeit iSd. MTV leisten, sind - entgegen der Ansicht der Beklagten - miteinander vergleichbar. Die jeweiligen Zuschlagstatbestände knüpfen übereinstimmend an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an, die sich - insbesondere durch das Maß an Belastung - von der Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet (vgl. - Rn. 50 ff. mwN auch zu krit. Stimmen, BAGE 173, 205). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom die Tatbestandsvoraussetzungen festlegen können, auf deren Grundlage die Gruppen zu bilden sind. Das entbindet sie nicht davon, die Grenzen von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Die sich dabei stellende Frage, ob sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen, ist auf der Rechtfertigungsebene zu klären (vgl. - Rn. 52, aaO; aA zB Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 267 f.; ähnlich Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 16 ff.; Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).
35bb) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 9 Nr. 1 Buchst. b und d MTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Der Ausgleich, den Arbeitnehmer für sonstige Nachtarbeit erhalten, ist deutlich höher als derjenige für Nachtschichtarbeit.
36(1) Nach § 9 Nr. 1 Buchst. d MTV erhalten Arbeitnehmer für Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von 25 % des Stundenentgelts, während der Zuschlag für sonstige Nachtarbeit nach § 9 Nr. 1 Buchst. b MTV 50 % beträgt. Das führt zu einer Differenz in Höhe von 25 Prozentpunkten.
37(2) Diese Differenz zwischen den beiden Zuschlagstatbeständen verringert sich nicht dadurch, dass nach § 7 Nr. 2.2 MTV im Drei-Schicht-System jährlich vier Arbeitstage bezahlte Schichtfreizeit zu gewähren sind. Dabei handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für die Belastungen durch die Arbeit in der Nachtzeit (vgl. Rn. 30).
38(3) Die rechnerische Differenz bei der Zuschlagshöhe verringert sich auch nicht um die bezahlte Pause von 30 Minuten für Beschäftigte im Drei-Schicht-System nach § 5 Nr. 4 MTV. Auch insoweit handelt es sich nicht um einen spezifischen Ausgleich für die Belastungen durch Nachtarbeit. Vielmehr sollen erkennbar die besonderen Belastungen infolge der Beschäftigung im dreischichtigen Wechsel ausgeglichen werden. Arbeitnehmer, die im Zwei-Schicht-System beschäftigt werden, sind nicht anspruchsberechtigt, auch wenn sie nachts arbeiten. Darüber hinaus wird die Pause bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen in allen Schichten gewährt, also auch in Tagschichten.
39(4) Ebenso wenig verringert sich der Unterschied in der Zuschlagshöhe - anders als die Beklagte meint - dadurch, dass sonstige Nachtarbeit in der Regel Mehrarbeit ist und der Zuschlag für Nachtarbeit einen Mehrarbeitszuschlag umfasst. Zwar begründet § 9 Nr. 1 Buchst. a MTV für Mehrarbeit während der ersten zwei Stunden täglich einen Zuschlag in Höhe von 25 %, ab der dritten Stunde täglich in Höhe von 50 % sowie Zuschläge in Höhe von 35 % für Mehrarbeit an Sonnabenden und für Schichtgänger an arbeitsfreien Werktagen. In den tariflichen Regelungen ist aber nicht angelegt, dass Nachtarbeit stets oder auch nur regelmäßig zuschlagspflichtige Mehrarbeit im Tarifsinn ist, also über die „betrieblich durch Schicht- oder Arbeitsplätze geplante tägliche Arbeitszeit“ des betroffenen Arbeitnehmers hinausgeht (§ 8 Nr. 1 MTV).
40(5) Unerheblich ist auch, dass der Zuschlag nach § 9 Nr. 1 Buchst. d MTV bereits für die Zeit ab 22:00 Uhr geschuldet wird und somit der Beginn der Nachtzeit gegenüber der gesetzlichen Regelung um eine Stunde vorgezogen ist. Das gilt sowohl für Nachtschichtarbeit als auch für sonstige Nachtarbeit, so dass sich hieraus in Bezug auf die Ungleichbehandlung keine Relativierung ergibt (aA wohl Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 251 „Ausgleichsfaktor“).
41cc) Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Nachtschichtarbeit leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die sonstige Nachtarbeit verrichten, ist aber durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.
42(1) Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch Nachtarbeit im Rahmen von Schicht und Wechselschicht sowie durch sonstige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen - auch deutlich - höheren Ausgleich für sonstige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am - aus dem Tarifvertrag erkennbaren - Zweck der Leistung zu orientieren ( - Rn. 41; - 10 AZR 231/18 - Rn. 66, BAGE 165, 1; - 6 AZR 161/16 - Rn. 55, BAGE 158, 360). Ein solch weiterer Zweck liegt hier vor. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit sonstiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.
43(2) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB - Rn. 13 mwN).
44(3) Dies zugrunde gelegt ergibt sich zunächst, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung von Nachtarbeitszuschlägen den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer bezwecken. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Zuschlag für Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschicht als auch für sonstige Nachtarbeit. Dieser Zweck stellt aber keinen Sachgrund für höhere Zuschläge zugunsten der Arbeitnehmer dar, die sonstige Nachtarbeit leisten.
45(a) Der Zweck des Gesundheitsschutzes ist zwar nicht ausdrücklich im MTV benannt. Er hat aber hinreichend Niederschlag gefunden. Die Zuschläge werden ausdrücklich als solche für Nachtarbeit bzw. Arbeit in der Nachtschicht bezeichnet (§ 9 Nr. 1 Buchst. b und d MTV). Der MTV definiert den Begriff der Nachtzeit als die Zeit zwischen 22:00 und 06:00 Uhr, knüpft damit an § 2 Abs. 3 ArbZG an und erweitert den Nachtzeitraum. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgleichsregelung des § 6 Abs. 5 ArbZG und dem dort normierten grundsätzlichen Vorrang von Ausgleichsregelungen in Tarifverträgen liegt nahe, dass die Tarifvertragsparteien von dieser Kompetenz Gebrauch machen und auch der gesetzlichen Zwecksetzung genügen wollten. Die Gesundheit - über die Verteuerung der Arbeit zumindest mittelbar - zu schützen, ist der typischerweise mit Nachtarbeitszuschlägen verfolgte Zweck (vgl. - Rn. 25).
46(b) Der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung allerdings nicht zu rechtfertigen.
47(aa) Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat ( ua. - zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; ebenso - Rn. 70 f., BAGE 173, 205; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 34/17 - Rn. 49, BAGE 162, 230; - 10 AZR 47/17 - Rn. 39, BAGE 160, 325; Schubert/Bayreuther in Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 37; EuArbRK/Gallner 4. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - aaO; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19, BAGE 147, 33).
48(bb) Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit - ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird ( - Rn. 24; - 10 AZR 123/19 - Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom S. 42).
49(cc) Aufgrund der steigenden gesundheitlichen Belastung durch eine größere Zahl der Nächte im Monat und eine höhere Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird, sollten möglichst wenige Nachtschichten aufeinanderfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr aufeinanderfolgenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Das trifft nicht zu (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit 9. Aufl. S. 12 f.; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 32). Aufeinanderfolgende Nachtschichten sind besonders schädlich, obwohl sich Arbeitnehmer typabhängig unterschiedlich gut an die Nachtarbeit anpassen ( - Rn. 72, BAGE 173, 205; - 10 AZR 423/14 - Rn. 17, BAGE 153, 378; - 10 AZR 736/12 - Rn. 19 f. mwN, BAGE 147, 33; vgl. Langhoff/Satzer aaO S. 36). Bislang ist nicht belegt, dass aufeinanderfolgende Nachtschichten signifikant weniger gesundheitsschädlich sind, wenn Arbeitnehmer nach einem Schichtplan eingesetzt werden, der ihnen im Voraus bekannt ist. Nach Amlinger-Chatterjee zeigen extrahierte statistische Daten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar sind (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 52).
50(dd) Nach diesen Erkenntnissen läge es unter den Aspekten des Gesundheitsschutzes betrachtet näher, die regelmäßig in erheblichem Umfang geleistete Nachtarbeit im Rahmen von Schicht oder Wechselschicht mit höheren Zuschlägen zu vergüten als die gelegentlich außerhalb von Schichtsystemen geleistete Nachtarbeit ( - Rn. 70, BAGE 173, 205; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 31). Jedenfalls können danach Gesundheitsschutzaspekte die im MTV vorgenommene Differenzierung für sich genommen sachlich nicht rechtfertigen.
51(4) Dafür, dass der Zuschlag für sonstige Nachtarbeit - so die Beklagte - auch den Zweck habe, einen Ausgleich für Mehrarbeit zu gewähren, die in der Regel mit sonstiger Nachtarbeit verbunden sei, ergeben sich aus dem MTV - wie ausgeführt (Rn. 39) - keine Anhaltspunkte.
52(5) Soweit die Beklagte darauf hinweist, sonstige Nachtarbeit falle sehr viel seltener an als Nachtarbeit im Rahmen von Schicht und Wechselschicht und betreffe insoweit nur eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern, ergibt sich auch aus einem solchen Ausnahmecharakter für sich genommen kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der mögliche Ausnahmecharakter wäre zwar ein Umstand, der auf einen bestimmten Zweck der Leistung hindeuten kann, nicht aber ein selbständiger Zweck, der mit der Tarifregelung verfolgt wird. Auch die Größe der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe - sollte die Beklagte hierauf abstellen - vermag die Begünstigung einer Mehrheit oder Minderheit allein nicht zu rechtfertigen. Denn Ungleichbehandlungen sind - dem Grundgedanken des Gleichheitsgebots folgend - unabhängig von der Größe der betroffenen Gruppen zu vermeiden.
53(6) Ein Sachgrund ergibt sich aber aus dem von den Tarifvertragsparteien mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag ebenfalls verfolgten Zweck, gerade die Belastungen durch die schlechter vorhersehbaren und somit schlechter planbaren Nachtarbeitszeiten bei sonstiger Nachtarbeit auszugleichen. Dieser Zweck hat auch ausreichend Niederschlag im MTV gefunden.
54(a) § 9 Nr. 1 Buchst. b MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck der höhere Zuschlag für sonstige Nachtarbeit dient. Die Norm enthält in den Bestimmungen, die die Zuschläge für Nachtarbeit regeln, auch nicht ein Begriffspaar wie „regelmäßig“ und „unregelmäßig“, aus dessen Gegenüberstellung sich der damit verbundene weitere Zweck erkennen ließe (vgl. dazu - Rn. 53 ff.). Dem Regelungssystem des MTV lässt sich aber entnehmen, dass es sich bei der Nachtschichtarbeit um die regelmäßige Form der Nachtarbeit handelt, während die sonstige Nachtarbeit nur unregelmäßig anfällt.
55(aa) Ausgehend vom Begriff der Schichtarbeit in § 8 Nr. 6 MTV setzt Schichtarbeit iSd. MTV eine Regelhaftigkeit voraus, die bei sonstiger Nachtarbeit nicht gegeben ist. Nach § 8 Nr. 6 MTV ist Schichtarbeit die regelmäßig geleistete tägliche Arbeitszeit, unabhängig davon, ob es sich um Tag- oder Nachtschichten handelt. Der MTV definiert damit den Begriff der Schichtarbeit eigenständig und losgelöst von dessen allgemeiner arbeitsrechtlicher Bedeutung (vgl. dazu - Rn. 10). Der Begriff der Schichtarbeit iSd. MTV erfasst damit auch die in Dauernachtarbeit versehene Erledigung einer Arbeitsaufgabe außerhalb eines Wechselschichtmodells. „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (www.duden.de Stichwort „regelmäßig“, zuletzt abgerufen am ). Die Regelmäßigkeit der Schichtarbeit wird vorliegend noch dadurch hervorgehoben, dass sie einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Schichtplan folgt, mindestens fünf Tage dauern soll und den Beschäftigten spätestens drei Tage vorher anzukündigen ist. Daraus wird deutlich, dass die Schichtarbeit und somit auch die Arbeit in der Nachtschicht nach der Vorstellung der Tarifvertragsparteien einer Regelhaftigkeit unterliegt.
56Sonstige Nachtarbeit iSv. § 9 Nr. 1 Buchst. b MTV ist demgegenüber all die Nachtarbeit, die nicht im Rahmen von Schichtarbeit im Tarifsinn versehen wird (§ 8 Nr. 5 MTV). Das ist eine Arbeitsleistung, die abweichend von der regelmäßig geleisteten täglichen Arbeitszeit erbracht wird. Eine solche Arbeitsleistung erfolgt damit unregelmäßig. Unregelmäßig bedeutet, dass etwas gerade keiner Regel folgt und sich in ungleichen Abständen vollzieht (www.duden.de Stichwort „unregelmäßig“, zuletzt abgerufen am ; vgl. zum Begriffspaar „regelmäßig - unregelmäßig“ auch - Rn. 16).
57Hieraus folgt bei typisierender Betrachtung, dass regelmäßige Nachtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtarbeit geleistet wird. Nach § 8 Nr. 6 MTV werden bei dieser Art der Nachtarbeit Schichtpläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet. Unregelmäßige Nachtarbeit richtet sich dagegen nicht nach festen Regeln, sondern folgt üblicherweise einem weniger vorhersehbaren Bedarf ( (A) - Rn. 130, BAGE 173, 165).
58(bb) Mit Blick darauf kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien angenommen haben, sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit sei aufgrund der typischerweise gegebenen Unvorhersehbarkeit schlechter planbar und mit ihr seien neben der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtarbeit weitere Belastungen verbunden. Wird sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit geleistet, werden diese weiteren Belastungen mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag finanziell kompensiert (zur anders gelagerten Belastung vgl. auch - Rn. 23, BAGE 147, 33). Dies entspricht dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen MTV. Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung - nicht unbedingt gesundheitlicher Art - mit sich (vgl. -; - 5 AZR 808/06 - Rn. 31 ff.; - 10 AZR 736/12 - aaO).
59(cc) Diesem Verständnis widerspricht die Regelung in § 8 Nr. 4 MTV nicht. Soweit der Senat in der Entscheidung vom (- 10 AZR 334/20 - Rn. 78, BAGE 173, 205) eine andere Auffassung vertreten hat, wird hieran nicht festgehalten.
60(aaa) Nach § 8 Nr. 4 MTV ist bei der Durchführung von Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten weitgehend Rücksicht zu nehmen. Bereits in der Überschrift der Norm und in den nachstehenden Nummern 5 und 6 wird zwischen der Nachtarbeit und der Schichtarbeit, welche nach § 8 Nr. 6 MTV Tag- und Nachtschichten umfasst, deutlich unterschieden. Der in § 8 Nr. 4 MTV genannte Begriff der Nachtarbeit knüpft an die Definition in § 8 Nr. 5 MTV an, wonach Nachtarbeit die in der Zeit von 22:00 bis 06:00 Uhr geleistete Arbeit ist, soweit sie nicht Schichtarbeit ist. § 8 Nr. 4 MTV erfasst daher nicht die regelmäßige Nachtschichtarbeit, sondern nur die sonstige Nachtarbeit. Die Gleichstellung dieser Nachtarbeit mit der Mehr-, Sonntags- und Feiertagsarbeit zeigt, dass es sich gerade nicht um die gewöhnliche regelmäßige und damit planbare Arbeit, sondern um eine unregelmäßige, einen besonderen Einsatz bzw. eine besondere Flexibilität der Arbeitnehmer erfordernde Arbeit handelt, deren Anordnung im Weg des Direktionsrechts (§ 106 Satz 1 GewO) eine besondere Beachtung der Interessen der Arbeitnehmer erfordert.
61(bbb) Damit haben die Tarifvertragsparteien in besonderem Maß § 106 GewO Rechnung getragen und zum Ausdruck gebracht, dass die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer - einschließlich deren privaten und kulturellen Wünschen - im Rahmen der nach billigem Ermessen vorzunehmenden Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber hinsichtlich der zeitlichen Lage der Arbeitszeit angemessen zu berücksichtigen sind (st. Rspr., vgl. zuletzt zB - Rn. 38 mwN). Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der Durchführung von Nachtarbeit „weitgehend“ auf private und kulturelle Wünsche der Beschäftigten Rücksicht zu nehmen, schließt aber gerade nicht aus, dass der Arbeitnehmer bei einem Überwiegen der Interessen des Arbeitgebers verpflichtet ist, sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit zu leisten, und in einem solchen Fall den daraus entstehenden Belastungen ausgesetzt ist (vgl. - Rn. 60).
62(b) Der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit der sonstigen - unregelmäßigen - Nachtarbeit vermag die Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Dabei ist unerheblich, dass mit der tariflichen Zuschlagsregelung des MTV mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden und wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird.
63(aa) Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Es ist ihnen überlassen, die ihrer Ansicht nach auftretenden, prognostizierten Probleme in Bezug auf sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit im Vergleich zur regelmäßigen Nachtarbeit mit einem höheren Zuschlag zu vergüten. Den Gerichten ist eine eigene Bewertung nicht vorbehalten. Sie dürfen ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle derjenigen der Tarifvertragsparteien setzen. Gleiches gilt für die Frage, mit welcher Regelungstechnik die Tarifvertragsparteien ihre Zwecksetzung im Tarifvertrag umsetzen wollen. So können die verschiedenen Erschwernisse mit getrennten Zuschlägen bedacht werden, was im Hinblick auf die Erkennbarkeit ihrer jeweiligen Zwecksetzung sicherlich vorzugswürdig ist. Ebenso ist es aber möglich, mit einem Zuschlag mehrere Zwecke zu verbinden und diese als sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung heranzuziehen, solange diese Zwecke aus den Tarifregelungen erkennbar sind (Rn. 19 f.).
64(bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin gilt für Zuschläge, die auch dem Ausgleich der durch Nachtarbeit hervorgerufenen Erschwernisse dienen, nichts anderes. Weder § 6 Abs. 5 ArbZG noch andere Arbeitsschutzbestimmungen schreiben vor, dass Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit ausschließlich diesem Zweck dienen müssen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass durch den Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für Nachtarbeit gewährt wird (Rn. 24). Letzteres schließt aber nicht aus, dass mit einem einheitlichen Zuschlag auch weitere Zwecksetzungen, die nicht dem Gesundheitsschutz dienen, verbunden sind, wenn diese ihren Niederschlag in den Tarifregelungen gefunden haben.
65(cc) Auch die schlechtere Planbarkeit von sonstiger - unregelmäßiger - Nachtarbeit ausgleichen zu wollen, genügt, um die unterschiedlichen Zuschlagshöhen für Nachtschichtarbeit sowie sonstige Nachtarbeit zu rechtfertigen (vgl. - Rn. 59 ff.; - 10 AZR 736/12 - Rn. 22 f., BAGE 147, 33; Bayreuther RdA 2022, 290, 301; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 270 f.; Temming jurisPR-ArbR 51/2022 Anm. 3 zu D; Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 21; aA Brandt/Lueken HSI-Report 3/2022 S. 5, 11 f.; Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 35 ff.).
66(aaa) Ein tarifvertraglicher Zuschlag kann den Zweck verfolgen, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten (vgl. - Rn. 67, BAGE 165, 1). Da unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist, greift sie in dem Moment, in dem sie anfällt, stärker in das soziale Leben ein als regelmäßige und damit vorhersehbare Nachtarbeit, soweit die Teilhabe am sozialen Leben eine zeitliche Koordination mit anderen Vorhaben erfordert. Bei regelmäßiger - planbarer - Nachtarbeit können außerberufliche, insbesondere familiäre Verpflichtungen koordiniert, Verabredungen getroffen und die Freizeitplanung hieran ausgerichtet verlässlich gestaltet werden (vgl. - Rn. 22 f., BAGE 147, 33; vgl. auch Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 40: „[D]ie soziale Desynchronisation kann … bei nicht planmäßiger Nachtarbeit eine etwas stärkere Wirkung haben …“). Das ist bei unregelmäßiger Nachtarbeit schwieriger. Gleichzeitig beweisen die Arbeitnehmer bei unregelmäßiger Nachtarbeit eine größere Flexibilität. Ein Ausgleich für schlechter planbare Arbeitszeiten ist legitim, unabhängig davon, dass mit Nachtarbeit erhöhte Gesundheitsgefahren verbunden sind. Der höhere Zuschlag für sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit dient - wie dargelegt (Rn. 53 ff.) - auch dem Zweck, diese besonderen Belastungen durch die Nachtarbeit zu kompensieren.
67(bbb) Diese Aspekte konnten die Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge berücksichtigen. Soweit der Senat in der Entscheidung vom (- 10 AZR 34/17 - Rn. 52, BAGE 162, 230) ausführt, die Teilhabe am sozialen Leben sei bei regelmäßiger Nachtarbeit jedenfalls genauso betroffen wie bei unregelmäßiger Nachtarbeit, steht dies nicht entgegen. Es geht hier nicht um den Aspekt der Betroffenheit im Allgemeinen, sondern darum, dass unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist und dass sie, wenn sie anfällt, im privaten Umfeld größere Probleme zu verursachen vermag als voraussehbare regelmäßige Nachtarbeit.
68(ccc) Ob - wie die Klägerin meint - ein Zweck, der dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufen würde, kein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung sein kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn das ist vorliegend nicht der Fall. Der erhöhte Zuschlag für sonstige - unregelmäßige - Nachtarbeit stellt keinen Anreiz dar, solche Arbeiten vermehrt ausführen zu lassen. Vielmehr wird der ökonomisch handelnde Arbeitgeber versuchen, diese möglichst zu vermeiden.
69(dd) Das Ausmaß der Differenz der Zuschläge für Nachtschichtarbeit sowie für sonstige Nachtarbeit ist für die Beurteilung, ob ein Sachgrund die unterschiedliche Behandlung trägt, nicht von Bedeutung. Die Tarifautonomie schließt eine Angemessenheitsprüfung insoweit aus. Ergibt - wie hier - die Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen, dass mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag für sonstige Nachtarbeit ein weiterer Zweck verfolgt wird, der nicht dem Ausgleich der besonderen Belastungen durch Nachtarbeit dient, ist es den Tarifvertragsparteien überlassen, die Höhe dafür nach ihrem Ermessen festzulegen. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist die Festlegung der Höhe des Entgelts grundsätzlich den Tarifvertragsparteien übertragen, weil dies nach Überzeugung des Verfassungsgebers zu sachgerechteren Ergebnissen als eine staatlich beeinflusste Lohnfindung führt ( - Rn. 32, BAGE 151, 235; - 4 AZR 147/10 - Rn. 32 mwN, BAGE 140, 291; vgl. auch Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 25 - „Kernelement der Tarifautonomie“). Dies umfasst die Bewertung von Erschwernissen, die ausgeglichen werden sollen. Dabei haben die Tarifvertragsparteien auch die Befugnis, Regelungen zu treffen, die den Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen ( - aaO). Soweit die Entscheidung des Senats vom (- 10 AZR 34/17 - Rn. 45 ff., BAGE 162, 230) so verstanden werden könnte, dass auch bei Vorliegen eines weiteren Zwecks die Höhe der Differenz für die Bewertung einer möglichen Gleichheitswidrigkeit von Bedeutung ist, wird daran nicht mehr festgehalten.
703. Die Klägerin hat schließlich auch keinen Anspruch auf den höheren Nachtarbeitszuschlag, weil die tarifvertragliche Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit gegen Art. 20 und 21 GRC verstieße. Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung von Unionsrecht zugewiesen ist, hat auf die Vorlagen des Senats vom (- 10 AZR 332/20 (A) - BAGE 173, 165 und - 10 AZR 333/20 (A) -) entschieden, dass mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Richtlinie 2003/88/EG nicht iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt wird (vgl. und C-258/21 - [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.). Damit kommen die Bestimmungen der GRC vorliegend nicht zum Tragen.
71III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:230823.U.10AZR384.20.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2547 Nr. 44
AAAAJ-53123