BGH Beschluss v. - I ZB 85/22

Instanzenzug: LG Essen Az: 7 T 307/22vorgehend AG Dorsten Az: 16 M 340/22nachgehend Az: I ZB 85/22 Beschluss

Gründe

1A. Das für den Gläubiger, das Land Niedersachsen, handelnde Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung - Zentrale Vollstreckungsstelle - betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen Gerichtskostenforderungen.

2Das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung beantragte im Mai 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der nicht qualifiziert elektronisch signierte Antrag schließt mit der Angabe "N.   " und einem maschinell aufgedruckten Siegel der Vollstreckungsbehörde. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des Niedersächsischen Landesamts für Bezüge und Versorgung an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3Die Schuldnerin gab die Vermögensauskunft nicht ab. Der Gerichtsvollzieher übersandte den Vorgang an das Vollstreckungsgericht zur Entscheidung über den Haftbefehlsantrag.

4Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Vollstreckungsantrag weiter.

5B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubiger habe den Vollstreckungsantrag zwar entsprechend den Vorgaben des § 130a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 ZPO ordnungsgemäß elektronisch eingereicht, insbesondere auf einem sicheren Übermittlungsweg. Damit habe er jedoch nicht den erweiterten materiellen Anforderungen an einen titelersetzenden Vollstreckungsantrag genügt. Es sei der höchstmögliche Sicherheitsstandard und damit eine qualifizierte elektronische Signatur einzufordern. Da keine unabhängige und neutrale Prüfung und Entscheidung über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den begehrten Vollstreckungsakt erfolge, müsse der Antrag jedenfalls einer konkreten Person zugeordnet werden können. Zur Schaffung hinreichenden Vertrauens müsse voll überprüfbar sein, dass eine identifizierbare Einzelperson Verantwortung für den Vollstreckungsantrag übernehme. Das grundsätzlich einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO darstellende besondere elektronische Behördenpostfach erlaube ohne qualifizierte Signatur keine spezifische Zuordnung zu einer Person.

6C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist bereits deswegen aufzuheben, weil die Kammer die Sache rechtsfehlerhaft auf sich übertragen hat.

7I. Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Vorliegend hat die Amtsrichterin über den Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Haftbefehls entschieden. In einem solchen Fall ist die Kammer gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus (vgl. , BGHZ 225, 252 [juris Rn. 23]; Beschluss vom - I ZB 84/22, WM 2023, 1271 [juris Rn. 7]).

8II. An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer hat die Sache im angefochtenen Beschluss auf sich übertragen. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die Zuständigkeit des Einzelrichters zweifelhaft ist, nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen (vgl. BGHZ 225, 252 [juris Rn. 24]; BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 8]).

9III. Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Relevanz des der Kammer hier unterlaufenen Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht vorliegend kein Streit darüber, ob der Einzelrichter das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat der Einzelrichter insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst (vgl. BGHZ 225, 252 [juris Rn. 25]; BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 9]).

10D. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 4 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

11I. Gerichtskosten werden gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 2 Abs. 1 Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG) von den Gerichtskassen vollstreckt, soweit die Landesregierungen keine anderen Behörden bestimmen. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. , DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 15]; BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 11]).

12Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

13II. Das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung ist für das Land Niedersachsen zur Vollstreckung von Ansprüchen berufen, deren Beitreibung nach dem Justizbeitreibungsgesetz den Gerichtskassen obliegt (§ 1 Nr. 30 Subdelegationsverordnung-Justiz NI aF [§ 1 Nr. 33 nF], § 29 ZustVO-Justiz NI aF [§ 37 nF]). Soweit die dem Vollstreckungsantrag beigefügte Forderungsaufstellung auch Akten- oder Kassenzeichen der Staatsanwaltschaft enthält, lässt sich ihr die Art der Forderung nicht entnehmen. Sollte es sich dabei um Geldstrafen handeln, wäre für deren Vollstreckung die Staatsanwaltschaft zuständig (§ 451 Abs. 1, § 459 StPO, § 1 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG). Im Rahmen seiner Zuständigkeit ist das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) zu stellen. Partei des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist dessen ungeachtet das Land Niedersachsen als Gläubiger der beizutreibenden Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 JBeitrG bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 14] mwN).

14III. Wie der Senat nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts entschieden hat, entspricht der Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag (vgl. BGH, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Der Vollstreckungsantrag muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

15IV. Das Beschwerdegericht wird im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren festzustellen haben, ob die Formanforderungen nach § 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO eingehalten sind.

161. Der Vollstreckungsantrag ist (einfach) signiert. Hierfür reicht die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens der verantwortenden Person aus (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 16]). Diesem Erfordernis ist durch die Angabe "N.   " genügt.

172. Bislang fehlen hinreichende Feststellungen dazu, ob die Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO erfolgt ist.

18a) Nach § 6 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) können Behörden zur Übermittlung elektronischer Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Einhaltung bestimmter Anforderungen ein besonderes elektronisches Behördenpostfach nutzen. Unter anderem muss nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV feststellbar sein, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber versandt wurde. Gemäß § 6 Abs. 3 Halbsatz 1 ERVV steht das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach eines Gerichts einem besonderen elektronischen Behördenpostfach gleich, soweit diese Stelle Aufgaben einer Behörde nach Absatz 1 wahrnimmt. Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs durch eine berechtigte Person wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN) bestätigt (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 19]).

19b) Der Gläubiger hat im Beschwerdeverfahren zwar vorgebracht, der Vollstreckungsantrag sei auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden. Das Beschwerdegericht hat das Vorliegen eines vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises für den Vollstreckungsantrag bislang jedoch nicht festgestellt.

20V. Zudem wird das Beschwerdegericht zu prüfen haben, ob auch die weiteren Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls erfüllt sind.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB85.22.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-50813