BGH Urteil v. - VIa ZR 1199/22

Instanzenzug: Az: 9 U 1710/21vorgehend LG Trier Az: 5 O 55/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im November 2017 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz V 250 Marco Polo, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. In dem Fahrzeug kommen ein sogenanntes Thermofenster sowie eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung zum Einsatz. Außerdem ist das Fahrzeug mit einem sogenannten SCR-Katalysator ausgestattet, dessen Leistung sich ab einer bestimmten Motordrehzahl verändert, so dass es zu einem Anstieg der Stickoxidemissionen kommt. Sämtliche dieser Funktionen sind nicht lediglich auf dem Prüfstand, sondern gleichermaßen im realen Fahrbetrieb aktiv. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.

3Der Kläger, dessen Klage in erster Instanz erfolglos geblieben ist, hat in zweiter Instanz zuletzt Schadensersatz in Höhe von 31.678,81 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 3) begehrt und den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge in der zuletzt gestellten Form weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisions-verfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB. Der Kläger habe die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung - das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterstellt - nicht schlüssig behauptet. Es fehle insoweit an berücksichtigungsfähigem, auf tatsächliche Anhaltspunkte gestütztem Vortrag zu einem vorsätzlichen Verhalten von Repräsentanten der Beklagten. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 scheitere bereits daran, dass es sich bei diesen Normen - jedenfalls bezogen auf den geltend gemachten Schaden - nicht um Schutzgesetze handele.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB mangels sittenwidrigen vorsätzlichen Verhaltens der für sie handelnden Repräsentanten verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass insoweit allein das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ebenso wenig genügt wie ein Rückruf durch das KBA, sondern weitere Anhaltspunkte erforderlich sind (vgl. , NJW 2021, 3725 Rn. 22 mwN) wie sie vorlägen, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung - anders als vom Berufungsgericht festgestellt - ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktivierte (vgl. , juris Rn. 15 und 25; Beschluss vom - VII ZR 720/21, juris Rn. 25; Beschluss vom - VII ZR 471/21, MDR 2022, 1340 Rn. 10). Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

11Die Einwände der Revisionserwiderung führen zu keiner anderen Beurteilung. Sie geben dem Senat weder Anlass, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen, noch - wie von der Revisionserwiderung gefordert - ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (vgl. nur VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 27 ff.).

III.

12Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:250923UVIAZR1199.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-50366