BGH Beschluss v. - I ZB 124/22

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 12 T 115/22vorgehend AG Viechtach Az: 701 M 224/22nachgehend Az: I ZB 124/22 Beschluss

Gründe

1A. Das für die Gläubigerin, die Bundesrepublik Deutschland, handelnde Bundesamt für Justiz betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen eines Ordnungsgelds mit Nebenforderungen.

2Das Bundesamt für Justiz beantragte im Juni 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des gesetzlichen Vertreters der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist qualifiziert elektronisch signiert, trägt den Nachnamen der Bearbeiterin, jedoch weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des Bundesamts für Justiz an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3Der Gerichtsvollzieher bat um Übersendung eines Vollstreckungsantrags auf dem Postweg.

4Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Vollstreckungsantrag weiter.

5B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, aufgrund des Fehlens eines (elektronischen) Dienstsiegels liege kein formell ausreichender Vollstreckungsantrag vor. Dieses Erfordernis sei nach der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht überholt. Bei Einhaltung der hierfür geltenden Vorschriften (insbesondere § 130a Abs. 3 ZPO) werde fingiert, dass das eingereichte Dokument dem prozessualen Schriftlichkeitsgebot genüge. Über die Schriftform hinausgehende Formerfordernisse würden durch die elektronische Übermittlung hingegen nicht berührt. Das Dienstsiegel gebe über die Unterschriftsleistung hinaus die Gewähr, dass die für die Wirksamkeit der Erklärung maßgebenden Vorschriften eingehalten seien.

6C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

7I. Ordnungsgelder (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Fall 1 JBeitrG), die beim Bundesverfassungsgericht, Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Bundespatentgericht, Deutschen Patent- und Markenamt, Bundesamt für Justiz oder dem mit der Führung des Unternehmensregisters im Sinn des § 8b des Handelsgesetzbuchs Beliehenen entstehen, werden gemäß § 2 Abs. 2 JBeitrG vom Bundesamt für Justiz vollstreckt. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 JBeitrG bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 JBeitrG den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. , DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 15]).

8Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 JBeitrG, § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

9II. Das Bundesamt für Justiz ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) wegen des von der Schuldnerin beizutreibenden Ordnungsgelds zu stellen. Partei des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist dessen ungeachtet die Bundesrepublik Deutschland als Gläubigerin der beizutreibenden Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 JBeitrG bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. , WM 2023, 1271 [juris Rn. 14] mwN).

10III. Der Vollstreckungsantrag des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

111. Wie der Senat nach dem Beschluss des Beschwerdegerichts entschieden hat, entspricht der Vollstreckungsantrag nach § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der Senatsrechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten Vollstreckungsantrag (vgl. BGH, DGVZ 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrag nicht übertragen werden. Der Vollstreckungsantrag muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. BGH, WM 2023, 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

122. Im Streitfall sind die Formanforderungen eingehalten. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der Vollstreckungsantrag qualifiziert elektronisch signiert ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO).

13D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

14E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Schuldnerin hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. , juris Rn. 23 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270723BIZB124.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-50295