Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach
Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 1 ZPO, § 130a Abs 5 S 2 ZPO, § 233 ZPO, § 23 Abs 2 RAVPV, § 23 Abs 3 RAVPV, § 26 Abs 1 RAVPV
Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 5 U 113/22vorgehend Az: 1 O 55/21
Gründe
I.
1Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.
2Er begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit Dieselmotor. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger fristgemäß Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum verlängerten Frist zur Begründung der Berufung ist ausweislich des bei der Akte befindlichen Transfervermerks bei dem Berufungsgericht unter dem Dateinamen "Berufungsschriftsatz.pdf" aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten des Klägers und unter dessen Nutzer-ID ein auf den datierter, an ein anderes Oberlandesgericht adressierter und eingangs andere Parteien anführender Schriftsatz eingegangen.
3Nach einem Hinweis des Berufungsgerichts sind dort am die Berufungsbegründung und ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen, zu dem der Kläger vorgetragen hat, die Berufungsbegründungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. In der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten werde eine Frist erst nach wirksamer Postausgangskontrolle und erst dann gestrichen, wenn der fristerledigende Schriftsatz vollständig nebst Anlagen geprüft, "signiert" und der Sendebericht kontrolliert worden sei. Ferner sehe die Büroorganisation vor, dass eine Kanzleikraft zum Nachmittag/Abend eines jeden Tages eine abschließende Fristenkontrolle aller zum jeweiligen Tag ablaufenden Fristen unter Nutzung der Übersicht des Anwaltsprogramms durchführe, um die ordnungsgemäße Erstellung und den Versand von fristwahrenden Schriftsätzen zu überprüfen. Im konkreten Fall habe die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte versucht, die Berufungsbegründung über das Anwaltsprogramm zu versenden. Da dies nicht funktioniert habe, habe sie, nachdem sie zuvor nochmals kontrolliert habe, dass es sich um den richtigen Schriftsatz handle, um 16:28 Uhr den Versand per beA vorgenommen. Das Prüfprotokoll habe die Übersendung per beA als "erfolgreich" ausgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte habe die Versendung des Schriftsatzes noch am gleichen Tag überprüft.
4Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
5Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).
61. Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, dem Wiedereinsetzungsgesuch lasse sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten eine hinreichende Ausgangskontrolle gewährleistet gewesen sei. Auch bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr mittels beA sei es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Dabei sei eine Prüfung erforderlich, ob die richtige Datei versandt worden sei. Der Rechtsanwalt müsse durch eine Organisationsanweisung oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass jeder fristgebundene Schriftsatz mit einem individuellen Dateinamen versehen werde, der später anhand von Prüfprotokoll und Eingangsbestätigung die Kontrolle auf Fehlversendungen ermögliche. Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine solche Kontrolle angeordnet worden wäre, lasse sich dem Wiedereinsetzungsgesuch nicht entnehmen.
72. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen. Die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
8a) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers muss sich so behandeln lassen, als habe er selbst um 16:28 Uhr den nicht zum Verfahren gehörenden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht versandt, dessen Übermittlung die Frist zur Berufungsbegründung nicht wahren konnte.
9Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ein für ihn erzeugtes Zertifikat keiner weiteren Person überlassen und hat die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten. Möglich ist nach § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV zwar, unter den dort genannten Voraussetzungen anderen Personen Zugang zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu gewähren und von einem Rechtsanwalt qualifiziert signierte elektronische Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu übersenden. Voraussetzung ist aber, dass für die anderen Personen ein Zugangskonto angelegt ist und der Zugang der anderen Personen über ihr Zugangskonto unter Verwendung eines ihnen zugeordneten Zertifikats und einer zugehörigen Zertifikats-PIN erfolgt. Handelt der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dem zuwider und überlässt er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, muss er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben (vgl. , juris Rn. 15).
10Entsprechend muss sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Prüfung der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen nach § 233 ZPO die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes am Spätnachmittag des letzten Tages der Berufungsbegründungsfrist so zurechnen lassen, als habe er den verfahrensfremden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung selbst auf den Weg gebracht. Zu diesem Zeitpunkt konnte er auch nicht mehr erwarten, dass die Übersendung eines mit dem Berufungsverfahren nicht in Zusammenhang stehenden Schriftsatzes innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs noch so rechtzeitig bei dem Berufungsgericht bemerkt werden würde, dass die Nachreichung der Berufungsbegründung noch am hätte gewährleistet werden können (vgl. , NJW 2018, 165 Rn. 9 ff.).
11b) Aber auch dann, wenn sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes anstelle der Berufungsgründung nicht als selbst veranlasst zurechnen lassen müsste, wäre die Fristversäumung mit der Folge der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO durch ihn verschuldet.
12aa) Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mittels beA entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen (vgl. , NJW 2021, 2201 Rn. 21; Beschluss vom - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 Rn. 12; Beschluss vom - XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 Rn. 7; Beschluss vom - IV ZB 23/21, NJW-RR 2023, 425 Rn. 14). Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (vgl. aaO, Rn. 46; Beschluss vom - IV ZB 17/22, NJW-RR 2023, 351 Rn. 10). Dabei ist für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments im Sinne von § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht. Vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (, NJW 2020, 1809 Rn. 16; Beschluss vom , aaO, Rn. 9 f.). Dies rechtfertigt sich daraus, dass bei einem Versand über beA - anders als bei einem solchen über Telefax - eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (, NJW 2023, 1668 Rn. 26 mwN).
13bb) Diese Sorgfaltspflichten, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands führt nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung. Wie das Berufungsgericht zutreffend und ohne Überspannung der Anforderungen an die den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten angenommen hat, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine ordnungsgemäße Überprüfung der automatisierten Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO dahingehend, ob die richtige Datei übermittelt wurde, sichergestellt war. Das hätte einen in der Kanzlei zuvor vergebenen sinnvollen Dateinamen vorausgesetzt, der in der Eingangsbestätigung erscheint und ohne Weiteres die Prüfung erlaubt, ob der richtige Schriftsatz übersandt wurde. Zu einer dahingehenden Organisationsanweisung ist nichts vorgetragen. Der hier verwendete Dateiname "Berufungsschriftsatz.pdf" war - wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt - nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen, da er weder die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren noch eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ermöglicht.
14Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war eine Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten am Nachmittag/Abend des Tages des Fristablaufs nicht geeignet, den Organisationsmangel auszugleichen. Wegen des unklaren Dateinamens war bei der Überprüfung anhand der Eingangsbestätigung nicht erkennbar, dass der falsche Schriftsatz übersandt worden war.
15cc) Der Organisationsmangel kann als Ursache für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden (vgl. , juris Rn. 12 mwN). Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Anordnung zur sinnvollen, eine Verwechslung mit anderen Dokumenten ausschließenden Benennung der mittels beA versandten Dateien bestanden, wäre die Übermittlung des falschen Schriftsatzes an das Berufungsgericht rechtzeitig erkannt worden und hätte die richtige Datei noch am gleichen Tag fristwahrend an das Berufungsgericht übersandt werden können.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:310823BVIAZB24.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 2369 Nr. 42
NJW 2023 S. 3434 Nr. 47
ZAAAJ-49773