BSG Beschluss v. - B 6 KA 10/22 B

Gründe

1I. Im Streit stehen sachlich-rechnerische Berichtigungen der Honorarabrechnungen der Klägerin für die Quartale 3/2011 bis 3/2012.

2Die Klägerin ist eine fach- und versorgungsübergreifende Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) von vier Ärzten und betreibt in S ein Dialysezentrum. Im streitgegenständlichen Zeitraum waren in der Praxis die Fachärztin für Allgemeinmedizin S und die Fachärzte für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Nephrologie D, M und Z tätig. Bei der Honorarfestsetzung berücksichtigte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ua erbrachte Leistungen nach der Gebührenordnungsposition (GOP) 13610 (Zusatzpauschale ärztliche Betreuung bei Hämodialyse als Zentrums- bzw Praxishämodialyse, Heimdialyse oder zentralisierter Heimdialyse, oder bei intermittierender Peritonealdialyse <IPD>, einschließlich Sonderverfahren <z.B. Hämofiltration, Hämodiafiltration nach der Vereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren gemäß § 135 Abs. 2 SGB V>) nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä).

3Aufgrund einer Anzeige von H, der bis zum in der Praxis der Klägerin in gemeinsamer Berufsausübung tätig war und über die Mitnahme dessen Versorgungsauftrags ein langjähriger Rechtsstreit geführt wurde (vgl Urteil des Senats vom - B 6 KA 18/16 R - SozR 4-5540 Anl 9.1 Nr 11; und 1781/17 - juris), nahm die Staatsanwaltschaft S Ermittlungen gegen die Klägerin wegen des Verdachts der kontinuierlichen Falschabrechnung der GOP 13610 EBM-Ä auf. Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ist zwischenzeitlich nach § 170 Abs 2 StPO eingestellt.

4Die beklagte KÄV berichtigte die Honorarbescheide der Klägerin für die Quartale 3/2011 bis 3/2012, setzte die Honoraransprüche jeweils unter Berücksichtigung eines Kürzungsbetrags nach einer Quote von 22,55 % des Gesamthonorars neu fest und forderte für diese Quartale 799 110,01 Euro zurück (Bescheid vom ). Auch für die Quartale 4/2012 bis 2/2016 berichtigte die Beklagte die Honoraransprüche; diese Quartale sind Gegenstand des Verfahrens B 6 KA 11/22 B. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass M im streitgegenständlichen Zeitraum regelmäßig nur im Zwei-Wochen-Rhythmus am Wochenende in der Praxis der Klägerin anwesend gewesen sei. Dies habe eine Auswertung seiner Hotelübernachtungen vor Ort ergeben. Trotzdem sei beispielsweise an sämtlichen Tagen des Quartals 4/2011 die Lebenslange Arztnummer (LANR) von M in Ansatz gebracht worden. Damit habe die Klägerin gegen den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung verstoßen.

5Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein, den sie ua damit begründete, dass es für die Abrechnung der GOP 13610 EBM-Ä nicht auf die persönliche Anwesenheit eines Arztes ankomme, da diese GOP als Zusatzpauschale keine konkrete ärztliche Leistung voraussetze. Nachdem die Klägerin beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt hatte (S 2 KA 4/17 ER) und das SG im Erörterungstermin Zweifel an der inhaltlichen Bestimmtheit des Bescheids vom geäußert hatte, erließ die Beklagte am einen geänderten Bescheid. Die Neufestsetzung des Honorars war nunmehr für die jeweiligen Quartale explizit aufgeführt; die Rückforderungssumme wurde für die Quartale 3/2011 bis 3/2012 geringfügig auf 799 109,99 Euro korrigiert. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom ). Die Klägerin habe regelhaft vorsätzlich die ärztlichen Leistungen der BAG mit der falschen LANR gekennzeichnet. Es sei von einem systematischen Abrechnungsbetrug auszugehen, der sich über mehrere Quartale erstrecke.

6Auf die hiergegen von der Klägerin erhobenen Klage hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Gehe man von der tatsächlichen Annahme der Beklagten zur Abrechnungspraxis der Klägerin aus, seien die Abrechnungen für die streitigen Quartale zwar "wohl unrichtig" gewesen, da die Leistungen "wohl" mit unzutreffenden LANR gekennzeichnet gewesen seien. Der Senat brauche jedoch nicht zu klären, ob die Klägerin tatsächlich unzutreffende LANR verwendet habe und die Beklagte ohne Bindung an die hier gegebenenfalls noch anzuwendende Vierjahresfrist und ohne Bindung an die Abrechnungssammelerklärung zur Schätzung des Honorars berechtigt gewesen sei. Denn trotz einer möglicherweise nicht ordnungsgemäßen Abrechnung scheide eine Rückforderung des Honorars aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem auch im Verwaltungsrecht anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben aus.

7Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Beklagte Rechtsprechungsabweichungen und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).

8II. A. Die Beschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

91. Soweit die Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Fragen besteht nicht.

10Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt ( - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB - juris RdNr 7).

12Sie führt hierzu in der Beschwerdebegründung ergänzend aus: Zwar sei es in der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf - BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24) geklärt, dass die Angabe einer falschen Arztnummer als schwerwiegende Verletzung der Pflicht zur peinlich genauen Leistungsabrechnung zu qualifizieren sei. Nicht entschieden sei dagegen die Frage, ob bei einer fachgruppengleichen BAG bzw bei mehreren fachgruppengleichen Ärzten in einer BAG in der Honorarabrechnung die Leistungen mit der LANR desjenigen Arztes gekennzeichnet werden müssten, der die Leistungen tatsächlich erbracht hat, oder ob insoweit die Kennzeichnung mit der LANR irgendeines zur Leistungserbringung berechtigten Arztes der BAG aufgrund deren Betrachtung als Einheit ausreichend sei. Auch das LSG sei diesbezüglich von einer "unklaren Rechtslage" ausgegangen (vgl Beschwerdebegründung S 15).

13Eine grundsätzliche Bedeutung dieser aufgeworfenen Frage besteht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht. Die Frage ist nicht entscheidungserheblich. Das LSG hat schon keine Feststellung dahingehend getroffen, ob und wann M an den Dialysetagen in der Praxis der Klägerin anwesend gewesen ist und ob und in welchen Fällen Leistungen mit der LANR von M gekennzeichnet worden sind, die er nicht selbst erbracht hat. Diese Fragen hat das Berufungsgericht vielmehr offengelassen. Das LSG hat zunächst - hypothetisch - den von der Beklagten behaupteten Sachverhalt hinsichtlich der Präsenz von M und der Kennzeichnung von Leistungen mit dessen LANR auch bei Abwesenheit als wahr unterstellt und die Verpflichtung zur Kennzeichnung erbrachter Leistungen mit der LANR des leistungserbringenden Arztes in einer arztgruppengleichen BAG bejaht. Dies wird deutlich, soweit das LSG ausführt: "Geht man von den tatsächlichen Annahmen der Beklagten zur Abrechnungspraxis der Klägerin aus, so waren die Abrechnungen … zwar wohl unrichtig" (Urteilsumdruck S 41), "Ausgehend von den tatsächlichen Annahmen der Beklagten über die Modalitäten der Abrechnung sind aber wohl die formalen Anforderungen an die Abrechnung der Leistungen … nicht erfüllt worden" (Urteilsumdruck S 43), "Ausgehend von den tatsächlichen Annahmen der Beklagten und den dargestellten rechtlichen Erwägungen wäre es damit zu unzulässigen Abrechnungen gekommen, die einer Vergütung der betroffenen Leistungen auch entgegenstehen würden" (Urteilsumdruck S 53) und "Es steht wohl nicht in Frage, dass grundsätzlich auch bei fachgleichen Berufsausübungsgemeinschaften eine Kennzeichnungspflicht mit der zutreffenden LANR besteht …" (Urteilsumdruck S 46). Auf dieser Basis hat das LSG sodann die Voraussetzungen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung geprüft. Zutreffend ist, dass sich das LSG dabei auch mit der Frage der Kennzeichnung mit der LANR eines am Dialysetag nicht anwesenden Arztes und der Auswirkung auf die "Richtigkeit" der Abrechnung befasst hat. Jedoch hat es die Voraussetzungen für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung im Ergebnis unabhängig davon verneint, weil selbst bei Annahme eines Verstoßes der Klägerin gegen Abrechnungsbestimmungen eine Rückforderung des Honorars "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem auch im Verwaltungsrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben" ausscheide (vgl Urteilsumdruck S 53).

14Im Übrigen geht auch der Senat für die Zeit seit der Einführung der LANR zum (vgl § 37a Abs 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte) davon aus, dass grundsätzlich auch bei fachgebietsgleichen BAGen eine arztbezogene Kennzeichnungspflicht mit der LANR besteht (vgl bereits - BSGE 126, 96 = SozR 4-2500 § 103 Nr 25, RdNr 30). Die LANR ermöglicht eine Zuordnung jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu einem bestimmten Arzt. Dies erlaubt den KÄVen, neben der Einhaltung der Fachgebietsgrenzen auch zB die Einhaltung der Plausibilitätsgrenzen zu überprüfen.

16Damit sind schon keine abstrakten Rechtsfragen formuliert, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalles bezogene Subsumtionsfragen, die den Zugang zum Revisionsgericht nicht eröffnen können (vgl etwa - juris RdNr 8; - juris RdNr 10; BH - juris RdNr 3; - juris RdNr 6). Die Fragen enthalten in vielerlei Hinsicht einzelfallbezogene Prämissen, die von mehreren Sachverhaltselementen ausgehen.

17Zutreffend weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Senats die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes auf die Feststellung zielt, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind (vgl zuletzt - SozR 4-5531 Nr 31148 Nr 1 RdNr 18; - BSGE 132, 162 = SozR 4-2500 § 87 Nr 38, RdNr 15; - SozR 4-2500 § 106a Nr 27 RdNr 14 mwN). Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Hierzu gehört daher auch die Prüfung, ob der Arzt gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung verstoßen hat ( - BSGE 80, 1 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2; - SozR 4-5540 § 25 Nr 1 RdNr 18).

18Von diesen Grundsätzen geht aber auch das LSG mit Bezugnahme und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats aus (vgl Urteilsumdruck S 41). Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung verneint es im konkreten Fall allein aus Gründen der "Verhältnismäßigkeit" und unter Berücksichtigung des Grundsatzes von "Treu und Glauben". Die Fragen der Beklagten sind hierauf und auf die erwünschte Klärung darüber bezogen, wie ein bestimmter Sachverhalt auf bereits anerkannte Rechtsgrundsätze zu würdigen ist. Sie stellen damit bloße Subsumtionsfragen dar. Der Sache nach rügt die Beklagte, dass das Berufungsgericht Umstände fehlerhaft gewichtet und fehlerhafte Schlüsse gezogen hat sowie zu rechtsfehlerhaften Annahmen gelangt sei. Mit inhaltlichen Angriffen gegen die materiell-rechtliche Auffassung der Vorinstanz kann die Zulassung der Revision aber nicht erreicht werden.

19So sind die Rechtsgrundsätze über die Geltung von Treu und Glauben im Sozialrecht bereits seit längerem höchstrichterlich geklärt (vgl nur - BSGE 65, 272, 277 = SozR 4100 § 78 Nr 8 S 36; - juris RdNr 8; - juris RdNr 18). Auch ist es in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die Befugnis der KÄV zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung insbesondere durch Vertrauensschutzgesichtspunkte eingeschränkt sein kann ( - BSGE 114, 170 = SozR 4-2500 § 106a Nr 11, RdNr 24 ff; - SozR 4-2500 § 106a Nr 24 RdNr 23; - SozR 4-5531 Nr 31148 Nr 1 RdNr 36 ff). Zwar kann der Vertragsarzt auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheids grundsätzlich nicht vertrauen (stRspr; zB - BSGE 89, 90, 94 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 7; - SozR 4-2500 § 106a Nr 24 RdNr 18; - SozR 4-2500 § 101 Nr 22 RdNr 46). Für einen sachgerechten Ausgleich der Interessen der Vertragsärzte an der Kalkulierbarkeit ihrer Einnahmen aus vertragsärztlicher Tätigkeit und der Notwendigkeit auch nachträglicher Änderungen des Honoraranspruchs etwa aufgrund fehlerhafter Abrechnungen oder Änderungen in der Honorarverteilung hat der Senat jedoch Fallgruppen herausgearbeitet, in denen die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung aus Gründen des Vertrauensschutzes begrenzt sein kann (zusammenfassend - BSGE 114, 170 = SozR 4-2500 § 106a Nr 11, RdNr 24 ff und - SozR 4-5531 Nr 31148 Nr 1 RdNr 36 ff; vgl auch Loose in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 9/2022, § 85 RdNr 270 ff). Danach können Ausschlussfristen, der Verbrauch der Prüfungsbefugnis durch die KÄV und unterlassene Hinweispflichten der KÄV einer Rückforderung entgegenstehen. Daneben kann zB ein allgemeiner Vertrauensschutz in Ausnahmefällen in Betracht kommen, weil der Arzt auf eine Auskunft der KÄV vertrauen durfte, die seine Abrechnungspraxis bestätigt hat ( - SozR 4-5531 Nr 31148 Nr 1 RdNr 42). Das LSG hat seine Entscheidung an den Maßstäben orientiert, die der Senat unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zugrunde legt, selbst wenn es etwas unscharf formuliert, die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung sei "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem … Grundsatz von Treu und Glauben“ zu verneinen. Diese in der Senatsrechtsprechung in diesem Zusammenhang so nicht verwendete Formulierung führt aber nicht zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Denn im Ergebnis gelangt das Berufungsgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des konkreten Einzelfalles zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Rückforderung nicht vorliegen. Hierzu zählen nach Auffassung des LSG insbesondere die mangelnde Transparenz und unterbliebene Klarstellung der Kennzeichnungspflicht in den Abrechnungsbestimmungen der Beklagten, die seinerseits bis Ende 2016 vom BSG vertretene Rechtsauffassung, dass bei gleicher Qualifikation der Mitglieder nicht gekennzeichnet werden müsse, welcher der BAG angehörende Arzt welche Leistungen erbracht hat (Hinweis auf - juris RdNr 29) und das jahrelange Zuwarten seitens der Beklagten trotz Kenntnis der wesentlichen Tatsachen. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich insoweit nicht.

20Das LSG hat auch nicht - wie die Beklagte formuliert - "systematisch zwischen der Ebene der ordnungsgemäßen Leistungserbringung und der Leistungsabrechnung" (vgl Beschwerdebegründung S 19) unterschieden. Vielmehr betont es, dass eine nicht den normativen Vorgaben entsprechende Abrechnung - unabhängig von der Frage einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung - zum Wegfall des Leistungsanspruches des Vertragsarztes führe, wenn nicht besondere Umstände entgegenstünden (Urteilsumdruck S 45). Allein im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 4 Abs 4 Satz 2 der Abrechnungsbestimmungen der KÄV Saarland (in der Fassung ab ), wonach der Vorstand der KÄV nachträgliche Korrekturen nach Abgabe der Abrechnungsunterlagen zulassen kann - und deren Auslegung im Übrigen als landesrechtliche Vorschrift grundsätzlich den Gerichten des Landes vorbehalten und dem Senat nicht zugänglich ist -, führt das LSG aus, dass danach Verstöße gegen Abrechnungsbestimmungen nicht zwingend zu einer Honorarrückforderung führen müssten.

222. Auch der Zulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung ist, soweit er hinreichend dargelegt wurde, nicht erfüllt. Hierfür ist erforderlich, dass das LSG seiner Entscheidung tragend einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der einem Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG widerspricht. Eine Divergenz im Sinne der genannten Vorschrift liegt nicht schon vor, wenn das LSG einen Rechtssatz aus einer oberstgerichtlichen Entscheidung nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung einer Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl - juris RdNr 13 mwN).

23Nach diesen Maßstäben kann keine der von der Beklagten geltend gemachten Divergenzen zu einer Revisionszulassung führen.

25Hierzu erläutert die Beklagte, dieser Rechtssatz trage das Urteil des LSG, denn er diene maßgeblich dazu, die vermeintliche Unverhältnismäßigkeit der Bescheide zu begründen. Dabei übersieht die Beklagte, dass das LSG die grundsätzliche Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung gerade nicht in Frage stellt. Das LSG geht vielmehr zunächst unter Bezugnahme und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats davon aus, dass bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung zu prüfen ist, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - abgerechnet worden sind. Entspreche die Abrechnung nicht den normativen Vorgaben, führe dies - unabhängig von der Frage einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung - zum Wegfall des Leistungsanspruches, wenn nicht besondere Gründe entgegenstünden (Urteilsumdruck S 45). Hinsichtlich der Frage, ob die Abrechnung einer BAG - hier die Abrechnung der GOP 13610 EBM-Ä - bei Kennzeichnung mit der LANR eines am Dialysetag nicht anwesenden Arztes in Einklang mit den Vorschriften des Vertragsarztrechts steht, lässt das LSG eine Tendenz erkennen, wenn es ausführt, "… so waren die Abrechnungen … zwar wohl unrichtig" (Urteilsumdruck S 41), "sind aber wohl die formalen Anforderungen an die Abrechnung der Leistungen … nicht erfüllt worden" (Urteilsumdruck S 43) und "Ausgehend von den tatsächlichen Annahmen der Beklagten und den dargestellten rechtlichen Erwägungen wäre es damit zu unzulässigen Abrechnungen gekommen" (Urteilsumdruck S 53). Es betont zudem die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung (Urteilsumdruck S 56). Im Ergebnis aber verneint das LSG die Befugnis für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung, weil im konkreten Einzelfall selbst bei Annahme eines Verstoßes der Klägerin gegen Abrechnungsbestimmungen eine Rückforderung des Honorars "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem auch im Verwaltungsrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben" ausscheide (vgl Urteilsumdruck S 53).

26Im Übrigen besteht der von der Beklagten behauptete Widerspruch zu den genannten Entscheidungen des Senats nicht. Die Entscheidungen treffen Aussagen zu unterschiedlichen Sachverhalten. Die Entscheidung des Senats vom (B 6 KA 22/11 R - BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24) beschäftigt sich mit Fragen der Zulassungsentziehung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) wegen gröblicher Pflichtverletzung. In diesem Zusammenhang hat der Senat eine gröbliche Pflichtverletzung ua auch deshalb bejaht, weil das MVZ mehr als 1000 Behandlungsfälle unter bundesweit nicht vergebenen LANR abgerechnet hat. Die Klägerin habe bei der Abrechnung "irgendwie gegriffene Arztnummern" verwendet (BSG aaO RdNr 43). Dadurch habe ihre Leistungsabrechnung Arztnummern ausgewiesen, "die keinerlei Bezug zu den tatsächlichen Leistungserbringern erkennen lassen" (BSG aaO RdNr 43). Die Entscheidung des Senats trifft keine Aussage dazu, dass die Verwendung der LANR eines nicht an der Leistungserbringung beteiligten Arztes einer BAG eine sachlich-rechnerische Richtigstellung und Honorarrückforderung ausnahmslos rechtfertigt und insbesondere Vertrauensschutzgesichtspunkte oder der Grundsatz von Treu und Glauben keinerlei Berücksichtigung finden können. Nichts anderes gilt für das Urteil des Senats vom (B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4). Dort hat der Senat im Fall einer vorgetäuschten Gemeinschaftspraxis auch eine Verpflichtung des Arztes zur vollständigen Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Honorare gebilligt und betont, diese Rechtsfolge sei unvermeidlich, um die Funktionsfähigkeit der ärztlichen Versorgung zu erhalten (BSG aaO RdNr 66 ff). Auf eine missbräuchlichen Nutzung von Gestaltungsformen hat das LSG seine Entscheidung aber nicht gestützt.

28Die gerügte Divergenz liegt nicht vor. Es ist zutreffend und in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die über einen längeren Zeitraum praktizierte abweichende Honorierung von Leistungen durch die KÄV allein nicht geeignet ist, einen Vertrauensschutz im Rahmen der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zu begründen (vgl zuletzt - SozR 4-5531 Nr 33076 Nr 1 RdNr 28; - SozR 4-2500 § 106d Nr 9 RdNr 30; - SozR 4-5531 Nr 31148 Nr 1 RdNr 41). Das LSG hat die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Berichtigung jedoch nicht allein aufgrund dieses Gesichtspunktes verneint, sondern es hat - wie bereits dargestellt (vgl RdNr 19) - in seine Gesamtabwägung weitere Umstände einbezogen. Im Übrigen ergibt sich aus dem von der Beklagten selbst zitierten Urteil des Senats vom , dass "besondere Umstände" eine andere Beurteilung rechtfertigen können (B 6 KA 33/16 R - SozR 4-2500 § 106a Nr 17 RdNr 39). Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang kritisiert, dass solche "besondere Umstände" hier ersichtlich nicht vorlägen, spricht sie Tatsachenfragen und die Frage der Richtigkeit der Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht an. Gleiches gilt, soweit die Beklagte rügt, es fehle auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung des Rechts zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Abrechnung am notwendigen Umstandsmoment im Sinne eines durch die Beklagte gesetzten Vertrauenstatbestandes. Dass ein Beteiligter das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, ist gerade kein Revisionszulassungsgrund.

29B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:010323BB6KA1022B0

Fundstelle(n):
YAAAJ-49529