Verfahrensrecht | Änderung eines Steuerbescheides bei fehlerhafter Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten (FG)
Ein Steuerbescheid kann bei fehlerhafter Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten nach § 175b AO unabhängig von der Fehlerquelle und somit auch dann geändert werden, wenn der Fehler ebenso bei Vorlage einer Bescheinigung in Papierform aufgetreten wäre (; Revision anhängig, BFH-Az. IX R 20/23).
Hintergrund: Nach § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i.S.d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.
Sachverhalt: Der Kläger erhielt im Kalenderjahr 2018 eine Abfindung i.H.v. 9.000 €. Diese war laut der durch den Arbeitgeber der Finanzverwaltung elektronisch übermittelten Lohnsteuerbescheinigung in dem als Bruttoarbeitslohn ausgewiesenen Betrag enthalten. In ihrer Einkommensteuererklärung trugen die zusammenveranlagten Kläger die Abfindung zwar zutreffend ein, erklärten jedoch hinsichtlich des Bruttoarbeitslohns einen um 9.000 € gekürzten Betrag. Nachdem das Finanzamt die Voraussetzungen einer ermäßigten Besteuerung der Abfindung durch Anforderung weiterer Unterlagen überprüfte, berücksichtigte es im Einkommensteuerbescheid den (erklärungsgemäß) gekürzten Bruttoarbeitslohn. Der seitens des Risikomanagementsystems der Finanzverwaltung ergangene Hinweis, dass die Daten der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung von den erklärten Werten abwichen, wurde von der Sachbearbeiterin als geprüft abgezeichnet.
Nachdem das Finanzamt verwaltungsintern darauf hingewiesen wurde, dass durch die bisherige Veranlagung die Abfindung im Ergebnis der Besteuerung entzogen worden sei, erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid. Die Kläger waren demgegenüber der Auffassung, dass eine Änderung der ursprünglichen Veranlagung nicht mehr möglich gewesen sei.
Der 8. Senat des FG Münster wies die Klage ab:
Die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO sind erfüllt. Denn die vom Arbeitgeber des Klägers übermittelten elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen stellten übermittelte Daten i. S. d. § 93c AO dar, die bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt worden sind.
Unerheblich ist, worauf die unzutreffende Auswertung beruht. Denn für die Anwendbarkeit des § 175b AO kommt es nicht darauf an, ob eine Verletzung der Mitwirkungspflichten seitens des Steuerpflichtigen oder der Ermittlungspflichten durch die Finanzbehörde vorliegt.
Ebenso unerheblich ist es, ob dem Steuerpflichtigen bei Erstellung der Steuererklärung ein Schreib- oder Rechenfehler im Sinne des § 173a AO oder der Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheides ein mechanisches Versehen i.S.d. § 129 AO, ein Fehler bei der Tatsachenwürdigung oder ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen ist.
Nach Auffassung des 8. Senats ist auch keine den Wortlaut einschränkende teleologische Reduktion für den vorliegenden Fall geboten, in der die elektronisch übermittelten Daten korrekt waren und die Fehlerhaftigkeit des Steuerbescheides auf einen Fehler der Finanzverwaltung zurückzuführen ist, der wahrscheinlich ebenso bei Vorlage eines Ausdrucks der Lohnsteuerbescheinigung durch den Steuerpflichtigen „in Papierform“ aufgetreten wäre.
§ 175b AO sollt eine umfassende Korrekturmöglichkeit unabhängig von der Fehlerquelle ermöglichen.
Die Revision ist beim BFH unter dem Az. IX R 20/23 anhängig.
Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.
Quelle: FG Münster, Newsletter September 2023 (il)
Fundstelle(n):
SAAAJ-48439