BGH Beschluss v. - VII ZB 30/22

Instanzenzug: LG Essen Az: 7 T 347/22vorgehend AG Dorsten Az: 16 M 191/22

Gründe

I.

1Die Gläubigerin, eine Krankenkasse in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen Beitragsrückständen.

2Unter dem hat die Gläubigerin gegen den Schuldner bei dem Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - D.     (im Folgenden: Amtsgericht) einen Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung gemäß § 5 VwVG i.V.m. § 287 AO gestellt.

3Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung zurückgewiesen.

4Gegen diesen Beschluss hat die Gläubigerin sofortige Beschwerde eingelegt.

5Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat der zuständige Einzelrichter die Gläubigerin darauf hingewiesen, dass eine Übertragung der Sache auf die Kammer beabsichtigt sei.

6Mit Beschluss vom hat die mit drei Mitgliedern - unter Einbeziehung des Einzelrichters - vollbesetzte Beschwerdekammer das Beschwerdeverfahren zur Entscheidung auf die Kammer übertragen, die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

7Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin den Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung weiter.

II.

8Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

91. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer wirksamen Zulassung durch die Kammer gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und, da sie gemäß den Erfordernissen des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, im Übrigen ebenfalls zulässig.

102. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde schon deshalb Erfolg, weil das Beschwerdegericht - was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 8; Beschluss vom - VI ZB 13/20 Rn. 5 m.w.N., NJW-RR 2022, 570; vgl. auch , WM 2023, 1181, juris Rn. 52) - entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat.

11a) Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier ist der Antrag der Gläubigerin vom auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung von der Amtsrichterin zurückgewiesen worden. In einem solchen Fall ist die vollbesetzte Kammer (§§ 70, 75 GVG) gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus ( Rn. 8, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 23, BGHZ 225, 252; Beschluss vom - IX ZB 84/16 Rn. 10, MDR 2017, 1447).

12b) An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer selbst hat das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom sich zur Entscheidung übertragen. Dies war verfahrensfehlerhaft. Die Beschwerdekammer ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog; vgl. , BGHZ 156, 147, juris Rn. 15), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen ( Rn. 9, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 24, BGHZ 225, 252; Beschluss vom - IX ZB 84/16 Rn. 11, MDR 2017, 1447). Der von dem Einzelrichter vorab gegebene Hinweis, dass eine Übertragung der Sache auf die Kammer beabsichtigt sei, kann - auch in Verbindung mit dem späteren, von dem Einzelrichter mitunterzeichneten Übertragungsbeschluss des Kammerkollegiums - die insoweit gebotene eigene Entscheidung des Einzelrichters in Form eines Übertragungsbeschlusses nicht ersetzen.

13c) Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Erheblichkeit des Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht kein Streit darüber, ob der Einzelrichter das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat der Einzelrichter insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst ( Rn. 10, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 25, BGHZ 225, 252; Beschluss vom - IX ZB 84/16 Rn. 12, MDR 2017, 1447).

14d) Da das Beschwerdegericht nach alledem zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Beschwerdekammer entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO). Angesichts dieses absoluten Rechtsbeschwerdegrunds ist es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Vielmehr sind gemäß § 577 Abs. 4 ZPO der fehlerhaft ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen ( Rn. 11, DGVZ 2021, 260; Beschluss vom - I ZB 61/19 Rn. 26, BGHZ 225, 252; Beschluss vom - IX ZB 84/16 Rn. 13, MDR 2017, 1447). Bei dem Beschwerdegericht ist nach § 75 GVG, § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter - vorbehaltlich einer Übertragung des Verfahrens auf die vollbesetzte Kammer - zur Entscheidung berufen.

III.

15Für das weitere Verfahren weist der Senat auf den (juris) zu den Formerfordernissen eines elektronisch eingereichten Vollstreckungsantrags in Justizbeitreibungssachen hin.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:050723BVIIZB30.22.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-46537