Doppelerfassung eines Dividendenbezugs in der Einkommensteuererklärung
offenbare Unrichtigkeit
neue Tatsache
grobes Verschulden
Leitsatz
1. Der Irrtum darüber, welche Dividende bei zutreffender Auslegung eines Steuererklärungsformulars in ein bestimmtes Feld
im Erklärungsformular einzutragen ist, stellt kein mechanisches Versehen bei der Willensäußerung dar, sondern ist das Ergebnis
eines vom Erwartungshorizont des Formularerstellers offenbar abweichenden Vorgangs bei der rechtlichen Willensbildung, meist
das Vorstadium der Willensäußerung.
2. Der Umstand, dass eine bezogene Dividende sowohl bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als auch als Betriebseinnahme im
Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (also doppelt) Eingang in die Einkommensteuererklärung gefunden hat, stellt eine Tatsache
im Sinne von § 173 AO dar.
3. Ein Überwachungsverschulden eines nicht den steuer- oder rechtsberatenden Berufen zugehörigen Steuerpflichtigen im Bereich
der Besteuerung von Kapitalerträgen, dem Zusammenwirken von Kapitalertragsteuer und veranlagter Einkommensteuer und Abgeltungsteuer
kommt nur in ganz wenigen, besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
4. Die Tatsache, dass die Finanzverwaltung – sicher auch infolge eines in Teilen kaum simplifizierbaren, überkomplexen Steuersystems
mit unter großem Zeit- und Krisendruck entworfenen Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Anleitungen und Formularen – keinen
Erfolg bei dem Versuch hatte, Erklärungsformulare und flankierende Anleitungen eindeutig und ohne verbleibende Interpretationsspielräume
auszugestalten, schließt es aus, dem auf der anderen Seite des Steuerschuldverhältnisses mitwirkenden Steuerberater beim Ausfüllen
dieses Formulars eine besonders grobe in Abgrenzung zu einer bloß einfach fahrlässigen Pflichtverletzung vorzuwerfen, wenn
eine Fehleintragung aufgrund der mehrdeutigen Formularausgestaltung erfolgt.
Fundstelle(n): MAAAJ-46471
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FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 23.05.2023 - 6 K 6019/21
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