BGH Beschluss v. - XIII ZB 27/20

Instanzenzug: LG Dresden Az: 2 T 749/19vorgehend AG Dresden Az: 473 XIV 626/19 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheiden vom und lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag ab. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Ausreisegewahrsam bis einschließlich angeordnet. Dagegen hat der Betroffene mit Schreiben vom Beschwerde eingelegt und die Feststellung begehrt, dass er durch die Anordnung der Haft in seinen Rechten verletzt worden ist. Mit weiterem Schreiben vom benannte der Betroffene den Rechtsbeschwerdeführer als Person seines Vertrauens (fortan: Vertrauensperson), die an dem Verfahren beteiligt werden solle. Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom nicht abgeholfen. Mit Schreiben vom hat auch der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die - nach am erfolgter Abschiebung des Betroffenen nach Tunesien mit dem Feststellungsantrag weiter verfolgte - Beschwerde des Betroffenen mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer, den das Gericht als Vertrauensperson des Betroffenen beteiligt hat, mit der Rechtsbeschwerde.

2II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, da es an der erforderlichen Rechtsbeschwerdebefugnis der Vertrauensperson fehlt.

31. Nach § 70 Abs. 1 FamFG ist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde ein Beteiligter befugt, wobei gemäß § 7 Abs. 3 FamFG auch derjenige Beteiligter ist, den das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag hinzugezogen hat, soweit dies im FamFG oder einem anderen Gesetz vorgesehen ist (sog. "Kann-Beteiligter"). In Freiheitsentziehungsverfahren ist ein solcher Kann-Beteiligter gemäß § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG eine vom Betroffenen benannte Vertrauensperson.

4Darüber hinaus setzt die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde ebenso wie die Zulässigkeit einer (Erst-)Beschwerde eine Beschwerdeberechtigung des Rechtsmittelführers voraus. Zwar enthalten die §§ 70 ff. FamFG - anders als früher § 29 Abs. 4 FGG für die weitere Beschwerde - keine gesetzliche Anordnung betreffend die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Beschwerde im Übrigen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom , BT-Drucks. 16/6308 S. 209-211, 271 f.) kann aber ausgeschlossen werden, dass der Gesetzgeber mit Einführung der §§ 70 ff. FamFG auf allgemein anerkannte Zulässigkeitserfordernisse für Rechtsmittel - wie etwa die Beschwerdebefugnis des Rechtsmittelführers - hinsichtlich der Rechtsbeschwerde verzichten wollte (vgl. , FamRZ 2021, 228 Rn. 12). Daher kann die Rechtsbeschwerdebefugnis grundsätzlich nur dann bejaht werden, wenn der Rechtsbeschwerdeführer in seinen Rechten beeinträchtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG) oder ausnahmsweise - wie etwa in § 303 Abs. 2 FamFG oder § 429 Abs. 2 FamFG - eine Beschwerdeführung im fremden Interesse zugelassen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 695/14, FamRZ 2016, 120 Rn. 9; vom - XII ZB 44/14, FamRZ 2016, 1062 Rn. 6 ff.; A. Fischer in MünchKommFamFG, 3. Aufl. § 59 Rn. 4; Obermann in Hahne/Schlögel/Schlünder BeckOK FamFG, 45. Edition [Stand: ], § 74 Rn. 7).

52. Die erforderliche Beschwerdebefugnis des Rechtsbeschwerdeführers liegt im Streitfall nicht vor.

6a) Die rechtsbeschwerdeführende Vertrauensperson ist durch die angefochtene Entscheidung weder materiell noch formell beschwert. Mit dem angefochtenen Beschluss ist der Feststellungsantrag des Betroffenen zurückgewiesen worden, nicht jedoch ein Rechtsmittel des Rechtsbeschwerdeführers.

7b) Die Beschwerdebefugnis der Vertrauensperson folgt vorliegend auch nicht (unmittelbar) aus § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG.

8aa) Nach § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG steht einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens das Recht der Beschwerde im Interesse des Betroffenen zu. Diese Befugnis besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes jedoch nur, wenn die Vertrauensperson bereits im ersten Rechtszug an dem Verfahren beteiligt wurde. Die fehlende Beteiligung der Vertrauensperson im erstinstanzlichen Verfahren hat zur Folge, dass eine gegenüber § 59 Abs. 1 FamFG erweiterte Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdebefugnis nicht besteht (vgl. , NVwZ-RR 2023, 298 Rn. 7 mwN). Dies gilt sowohl im Haftanordnungs- wie auch im - eigenständigen - Haftaufhebungsverfahren. Soweit der Senat im Beschluss vom (XIII ZB 131/19, Rn. 7) zwischen diesen Verfahrensarten differenziert hat, sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Vertrauensperson die Befugnis hat, auch ohne vorherige Beteiligung am Haftanordnungsverfahren einen Haftaufhebungsantrag zu stellen.

9bb) Die Voraussetzungen des § 429 Abs. 2 FamFG sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Rechtsbeschwerdeführer war an dem Verfahren vor dem Amtsgericht nicht beteiligt. Der Betroffene hat ihn nach Erlass des und nach Einlegung seiner dagegen gerichteten Beschwerde erst am als Vertrauensperson benannt. Zu diesem Zeitpunkt war eine Beteiligung im ersten Rechtszug nicht mehr möglich. Der erste Rechtszug endet mit dem Erlass des erstinstanzlichen Beschlusses. Das sich auf eine Beschwerde anschließende Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG gehört nicht mehr zum ersten Rechtszug, sondern schließt an diesen an. Es ist, wie sich aus der systematischen Stellung des § 68 Abs. 1 FamFG ergibt, Teil des Beschwerdeverfahrens (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 86/14, NJW 2015, 1180 Rn. 11; vom - XII ZB 213/16, NJW-RR 2018, 70 Rn. 12; vom - BLw 1/19, NJW 2021, 553 Rn. 17). Dies ist im Hinblick auf frühere Entscheidungen des Senats (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 36/20, juris Rn. 4; vom - XIII ZB 58/21, juris Rn. 8; vom - XIII ZB 47/22, juris Rn. 6) klarzustellen.

103. Eine Rechtsbeschwerdebefugnis der Vertrauensperson folgt im Streitfall auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG. Eine Analogie dahin, dass die (erstmalige) Beteiligung im zweiten Rechtszug in gleicher Weise die Rechtsbeschwerdebefugnis begründet wie die Beteiligung im ersten Rechtszug die Beschwerdebefugnis, scheidet im Ergebnis aus. Soweit der Senat dies in früheren Entscheidungen abweichend beurteilt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - III ZB 36/20, juris Rn. 4; vom - XIII ZB 58/21, juris Rn. 8), wird daran nicht festgehalten.

11Da das Gesetz, wie ausgeführt (oben Rn. 4), die (entsprechende) Anwendung der Vorschriften über die Beschwerde für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht ausdrücklich anordnet und § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, wie ebenfalls ausgeführt (oben Rn. 8), dem Wortlaut nach das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erfasst, müsste der hier zu entscheidende Fall dem gesetzlich geregelten Fall in einer für eine Analogie erforderlichen Art und Weise vergleichbar sein (vgl. für das Betreuungsverfahren BGH, FamRZ 2021, 228 Rn. 13 mwN). Das ist indes nicht festzustellen.

12a) Zwar ist die vorliegende Fallkonstellation dadurch geprägt, dass die Vertrauensperson sich erstinstanzlich am Verfahren nicht beteiligen konnte, weil der Betroffene sie - wie in Freiheitsentziehungsverfahren häufig - erst im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung kennengelernt hat. Es könnte daher eine planwidrige Regelungslücke vorliegen, weil der Gesetzgeber mit der in § 303 Abs. 2 und § 429 Abs. 2 FamFG enthaltenen Einschränkung vermeiden wollte, dass durch diese Vorschriften privilegierte Personen Beschwerde einlegen, die am Verfahren erster Instanz kein Interesse gezeigt haben (vgl. BT-Drucks 16/6308, S. 271, S. 294). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber die Konstellation, dass ein Angehörigenverhältnis (etwa durch eine Eheschließung) oder eine für § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ausreichende Vertrauensstellung erst in zweiter Instanz entsteht, offenbar nicht im Blick hatte.

13b) Es kann aber nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre (vgl. zu dieser Voraussetzung für eine Analogie: , BGHZ 120, 239 [juris Rn. 30]; vom - I ZR 290/00, NJW 2003, 1932 [juris Rn. 24] - Abonnementvertrag; Beschluss vom - V ZB 102/06, FamRZ 2007, 1220 [juris Rn. 11] mwN) und für die Rechtsbeschwerdebefugnis der Vertrauensperson in Freiheitsentziehungsverfahren eine Beteiligung erst im zweiten Rechtszug hätte genügen lassen.

14aa) Der Senat ordnet grundsätzlich denjenigen als Person des Vertrauens ein, um dessen Beteiligung der Betroffene bittet, ohne dass weitergehende Voraussetzungen, wie etwa ein Näheverhältnis oder eine persönliche Beziehung zum Betroffenen und ein daraus folgendes ideelles Interesse der Person am Ausgang des Verfahrens, erfüllt sein müssten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 10 f.; vom - XIII ZB 132/19, juris Rn. 7). Das leitet er aus Art. 104 Abs. 4 GG ab, wonach von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist. Die Vorschrift wird in dem Sinne subjektiv verstanden, dass es darauf ankommt, wem der Festzuhaltende Vertrauen entgegenbringt. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof jedenfalls im Verfahren nach § 426 Abs. 2 FamFG die Benennung als Person des Vertrauens durch den Betroffenen ausreichen lassen. Die Vertrauensperson kann daher im eigenen Namen einen Haftaufhebungsantrag nach § 426 Abs. 2 FamFG stellen.

15bb) Daraus folgt, dass eine im obigen Sinne vergleichbare Situation hier nicht vorliegt. Welche Entscheidung der Gesetzgeber, der grundsätzlich eine Beteiligung der privilegierten Personen in erster Instanz für eine Beschwerdebefugnis für erforderlich gehalten hat, getroffen hätte, wenn ihm die Regelungslücke bewusst gewesen wäre, ist offen. Er hätte es dabei belassen können, dass privilegierte Personen, die dem Betroffenen in erster Instanz noch nicht bekannt waren, für diesen nach § 426 Abs. 2 FamFG die Aufhebung der Haft beantragen können, was sogar nach Eintritt der formellen Rechtskraft des Haftanordnungsbeschlusses möglich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 93/20, juris Rn. 13 f.; vom - XIII ZB 20/21, juris Rn. 7). Da die Vertrauensperson auf diesem Weg ab der Begründung des Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit hat, das Freiheitsrecht und auch das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen eigenständig zu verfolgen, kann nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 429 Abs. 2 Nr. 2 FamFG für erforderlich gehalten hätte.

16Der Umstand, dass eine etwaige Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Haft in einem von der Vertrauensperson eingeleiteten Haftaufhebungsverfahren erst ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Haftaufhebungsantrags bei Gericht erfolgt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 86/19, juris Rn. 10; vom - XIII ZB 20/21, juris Rn. 7) und daher ein vor diesem Zeitpunkt liegender Haftzeitraum - anders als bei einer Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens im dritten Rechtszug - von einer etwaigen Rechtskontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht erfasst ist, kann nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Wenn die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung nicht vorliegen, sind die Gerichte daran gehindert, über die durch die Auslegung gezogenen Grenzen hinaus die Rechtsbeschwerdebefugnis zu bejahen.

17III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090523BXIIIZB27.20.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-44668