BGH Urteil v. - III ZR 73/22

Instanzenzug: LG Landshut Az: 13 S 2736/21vorgehend AG Eggenfelden Az: 1 C 245/21

Tatbestand

1Die Klägerin verlangt Vergütung für einen Lehrgang, an dem der Beklagte wegen der Covid-19-Pandemie nicht teilnahm.

2Am buchte der Beklagte den von der Klägerin im Zeitraum vom 22. Mai bis veranstalteten Lehrgang "GFB Module 4-8" (GFB = geprüfter Fachwirt für Baumpflege und -sanierung). Am teilte er ihr per E-Mail (Anlage K 6) Folgendes mit:

"…wie eben am Telefon besprochen, möchte ich hiermit von meiner Anmeldung zum Kurs GFB Module 4-8 vom bis zurücktreten. Auf Grund der aktuellen Lage und der bis dato nicht klaren Zusage, ob der Kurs, und wenn ja, in welchem Rahmen stattfinden kann, möchte ich den Kurs lieber zu einem anderen Termin machen…"

3Der Beklagte nahm an dem im vorgesehenen Zeitraum abgehaltenen Unterricht, den er, wie von der Klägerin mit E-Mails vom (Anlage B 1) angeboten, wahlweise im Schulungsraum oder - mit Ausnahme praktischer Vorführungen im Freien - per Videoübertragung in benachbarten Räumen oder zu Hause hätte verfolgen können, nicht teil.

4Die auf Zahlung der gesamten Lehrgangsvergütung in Höhe von 2.310 € zuzüglich vorgerichtlicher Mahn- und Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

5Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

6Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 611 Abs. 1 BGB mit der Begründung verneint, der Beklagte habe den Lehrgangsvertrag nach § 626 BGB wirksam gekündigt.

7Die Pandemielage und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung sei ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund gewesen. Ein solcher liege in der Regel vor, wenn einem Vertragspartner aus Gründen, die nicht in seinem Verantwortungsbereich lägen, die (weitere) Nutzung der Leistungen des anderen Vertragspartners nicht mehr zuzumuten sei. So sei es hier, da es dem Beklagten im Mai 2020 wegen des potentiell tödlichen Verlaufs der Covid-19-Erkrankung, der nicht ausreichend geklärten Verringerung des Ansteckungsrisikos durch Tragen von Atemschutzmasken und Einhalten von Sicherheitsabständen sowie des Fehlens von Impfstoffen, Test- und wirksamen Behandlungsmöglichkeiten nicht zuzumuten gewesen sei, den angebotenen Lehrgang vor Ort wahrzunehmen.

8Die erforderliche Interessenabwägung falle zugunsten des Beklagten aus, der bei einer Kursteilnahme vor Ort auf das ordnungsgemäße Verhalten der anderen Teilnehmer angewiesen gewesen wäre. Das Angebot der Klägerin, den Lehrgang per Videoübertragung zu verfolgen, stelle kein einer Präsenzveranstaltung gleichwertiges Kursangebot dar. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin unstreitig den Vorschlag des Beklagten abgelehnt habe, ihn gegen sofortige Zahlung der Vergütung auf den Kurs im Folgejahr 2021 umzubuchen.

9Die zweiwöchige Kündigungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt, da es sich bei der Pandemie um einen zum Kündigungszeitpunkt am noch nicht beendeten Dauerzustand gehandelt habe.

II.

10Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts genügen nicht, um einen Vergütungsanspruch der Klägerin gemäß § 611 Abs. 1, § 615 Satz 1 BGB auszuschließen.

111. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Berufungsgericht ohne nähere Begründung von einer Kündigungserklärung des Beklagten am ausgegangen ist. Insoweit liegt entgegen der Ansicht der Revision kein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 6 ZPO vor. Eine Entscheidung ist nicht schon dann im Sinne dieser Vorschrift "nicht mit Gründen versehen", wenn Urteilsgründe unrichtig, unzureichend oder unvollständig sind (vgl. , NJW 1991, 2761, 2762 und vom - V ZR 125/79, NJW 1981, 1045, 1046), sondern nur, wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für sie maßgebend waren, weil beispielsweise dem Entscheidungstenor gar keine Gründe beigegeben sind, diese ganz unverständlich oder inhaltslos sind oder auf einzelne prozessuale Ansprüche oder einzelne selbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel überhaupt nicht eingehen (vgl. , BGHZ 39, 333, 337; Zöller/Heßler, ZPO, 34. Aufl., § 547 Rn. 7). Dies ist hier nicht der Fall. Das Landgericht hat das erstinstanzliche Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO unter Bezugnahme auf dessen tatsächliche Feststellungen mit kurzer Begründung bestätigt, soweit das Amtsgericht eine wirksame Kündigung nach § 626 BGB bejaht hat. Dabei hat es sich ersichtlich dessen ausdrücklich formulierter Ansicht angeschlossen, dass die E-Mail vom als Kündigungserklärung aufzufassen sei, weil sie die Absicht des Beklagten erkennen lasse, sich von dem Vertrag zu lösen.

12Diese tatrichterliche Auslegung hält der eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. Mit ihrem Einwand, dem Beklagten sei es nur um eine Terminsverschiebung, nicht aber um eine endgültige Beendigung der Lehrgangsteilnahme gegangen, übersieht die Revision, dass Vertragsgegenstand nur die Teilnahme an dem Lehrgang "GFB Module 4-8" im konkret gebuchten Zeitraum gewesen ist.

132. Dagegen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft die Pandemielage und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung im Mai 2020 als einen den Beklagten zur Kündigung berechtigenden wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB angesehen.

14a) Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Dies ist im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn die Gründe, auf die die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen (Senat, Urteil vom - III ZR 57/10, NJW-RR 2011, 916 Rn. 9; , juris Rn. 11; vom - VI ZR 52/09, NJW 2010, 1874 Rn. 15 und vom - I ZR 265/95, BGHZ 133, 316, 320). Wird der Kündigungsgrund hingegen aus Vorgängen hergeleitet, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphäre des Kündigenden herrühren, rechtfertigt dies nur in Ausnahmefällen die fristlose Kündigung (Senat aaO; aaO; vom - XII ZR 185/93, juris Rn. 25 und vom - XII ZR 230/94, NJW 1996, 714). Die Abgrenzung der Risikobereiche ergibt sich dabei aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen (Senat aaO; aaO und vom aaO). Ob nach diesen Kriterien bestimmte Umstände als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung zu werten sind, hat in erster Linie der Tatrichter zu entscheiden. Die revisionsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich allein darauf, ob das Tatsachengericht den Rechtsbegriff des wichtigen Grunds richtig erfasst, ob es auf Grund vollständiger Sachverhaltsermittlung geurteilt und ob es in seine Wertung sämtliche Umstände des konkreten Falls einbezogen hat (vgl. Senat, Urteile vom - III ZR 10/19, BeckRS 2020, 12789 Rn. 15 und vom aaO Rn. 10; aaO Rn. 13).

15b) Auch bei Anlegung dieses eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hat das Berufungsgericht die vorstehend dargelegten Grundsätze verkannt. Denn danach ist ein Kündigungsgrund, anders als im Berufungsurteil ausgeführt, nicht schon dann regelmäßig gegeben, wenn einem Vertragspartner aufgrund nicht in seinem Verantwortungsbereich liegender Umstände die (weitere) Nutzung der Leistungen des anderen Vertragspartners nicht mehr zuzumuten ist. Vielmehr kommt es maßgeblich darauf an, ob diese Umstände dem Risikobereich des Kündigungsgegners zuzuordnen sind. Dies trifft auf die vom Berufungsgericht als Kündigungsgrund angesehene Pandemielage und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung nicht zu. Insbesondere unterfallen die - auch auf staatliche Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zurückzuführenden - Folgen der Pandemie für die Durchführung des Lehrgangsvertrags, so wie sie sich zum Zeitpunkt der Kündigung am konkret dargestellt haben, nicht der der Klägerin dienstvertragsrechtlich zugewiesenen Risikosphäre. Nach § 611 Abs. 1 BGB wird durch den Dienstvertrag derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Grundsätzlich liegt also beim Dienstverpflichteten die Verantwortung für die Erbringung der Dienstleistung, während - wie auch aus § 615 Satz 1 BGB folgt - das Risiko, sie nicht verwenden zu können, regelmäßig den Dienstberechtigten trifft (vgl. Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Aufl., § 615 Rn. 21). Vorliegend hat der gebuchte Lehrgang termingemäß ab dem in den Räumlichkeiten der Klägerin als Präsenz- und als audiovisuelle Veranstaltung, die die Teilnehmer wahlweise auch zu Hause hätten verfolgen können, stattgefunden, nachdem zuvor der erste sogenannte "Corona-Lockdown" schrittweise beendet worden war. An diesem Lehrgang hat der Beklagte nicht teilgenommen, wobei er sich vorinstanzlich einerseits auf die in Anbetracht seiner familiären und häuslichen Verhältnisse nicht hinnehmbare Ansteckungsgefahr und andererseits auf das aus seiner Sicht nicht akzeptable Fehlen des unmittelbaren Kontakts zum Dozenten bei einer Videoübertragung in Räumlichkeiten außerhalb des Kursraums berufen hat (vgl. Klageerwiderung S. 2 f, GA I 21 f). Auch wenn diese Nichtteilnahme des Beklagten an der durchgeführten Lehrveranstaltung auf der dem Einfluss beider Parteien entzogenen Covid-19-Pandemie beruht, ist sie durch seine eigenen Interessen motiviert und fällt jedenfalls nicht in den der Klägerin dienstvertragsrechtlich zugewiesenen Risikobereich.

16c) In einem solchen Fall ist, was das Berufungsgericht nicht beachtet hat, eine Kündigung aus wichtigem Grund nur ausnahmsweise gerechtfertigt, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zur Lösung vom Vertrag berechtigen (vgl. aaO). Dies kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht angenommen werden.

17aa) Die Kündigung aus wichtigem Grund nach Maßgabe der obigen Ausführungen zu Buchstabe a) einerseits und wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage andererseits unterscheiden sich im Anwendungsbereich und im Zumutbarkeitsmaßstab. Die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses nach § 314 BGB - oder nach dem dieser Vorschrift bei Dienstverträgen als lex specialis vorgehenden, aber in Bezug auf die Anforderungen an einen wichtigen Grund im Wesentlichen inhaltsgleichen § 626 Abs. 1 BGB (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 8; BeckOGK/Maties, Stand , BGB § 611 Rn. 169) - stellt ein vertragsimmanentes Mittel zur Beendigung der Vertragsbeziehung dar. Dagegen handelt es sich bei der Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB (konkret nach dessen Abs. 3) um eine von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, die zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweisbar erscheinen muss. An die Vertragsauflösung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind daher strengere Anforderungen zu stellen als an die außerordentliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses (vgl. , juris Rn. 23 und vom aaO). Geht es im Einzelfall nicht um eine Anpassung, sondern eine Beendigung des Dauerschuldverhältnisses, ist diese über die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung nach § 314 oder § 626 BGB, die der wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB vorgeht, vorzunehmen (vgl. aaO Rn. 24 und vom - VIII ZR 266/95, BGHZ 133, 363, 369; MüKoBGB/Finkenauer, 9. Aufl., § 313 Rn. 170). Dabei muss allerdings, soweit sich das Verlangen nach Vertragsauflösung auf einen außerhalb des Risikobereichs beider Parteien liegenden Umstand stützt, in materieller Hinsicht der wichtige Grund eine Grundlagenstörung und eine - an sich vorrangige - Vertragsanpassung unmöglich oder für den Kündigenden unzumutbar sein. Denn die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Deshalb ist nicht nur bei der Prüfung des normativen Tatbestandsmerkmals des § 313 Abs. 1 BGB, sondern auch bei der Frage, welche Form der Vertragsanpassung im konkreten Fall angemessen ist, von besonderer Bedeutung, welche Regelung die Parteien gewählt hätten, wenn sie das Ereignis, das zur Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, bei Vertragsschluss bedacht hätten. Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung dann, wenn sie gegenüber dem ursprünglichen Vertrag zu einer Mehrbelastung einer Partei führen würde, der diese nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte, wenn sie die Grundlagenstörung vorausgesehen hätte. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen (, NJW-RR 2023, 514 Rn. 29 und vom - XII ZR 36/21, NJW 2022, 1382 Rn. 35 f mwN). Die Frage, ob und inwieweit gegebenenfalls eine Anpassung des Vertrags möglich und zumutbar ist oder der benachteiligte Vertragspartner eines Dauerschuldverhältnisses das Recht zur Kündigung hat, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien zu entscheiden. Es genügt nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein (vgl. aaO und vom - I ZR 85/17 - NJW-RR 2018, 877 Rn. 16 mwN).

18bb) Die Covid-19-Pandemie war während der Dauer des staatlich angeordneten und zeitweilig zum Erliegen ganzer Wirtschaftszweige führenden ersten (und möglicherweise der nachfolgenden weiteren) "Lockdowns" eine sogenannte "große" Störung der Geschäftsgrundlage und damit der Erwartung der vertragsschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrags nicht durch Ereignisse wie beispielsweise Krieg, Hyperinflation oder (Natur-)Katastrophen (also auch Seuchen) ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde (vgl. aaO Rn. 30 und vom - XII ZR 8/21, BGHZ 232, 178 Rn. 45). Ob die pandemische Lage darüber hinaus auch außerhalb der wiederkehrenden "Lockdowns" noch zu einer Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, kann nicht allgemein, sondern jeweils nur auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen zu den Umständen des konkreten Vertragsverhältnisses beantwortet werden. Aber selbst wenn man die Pandemielage auch nach dem Ende des ersten "Lockdowns" Anfang Mai 2020 mit ihren zum Kündigungszeitpunkt noch bestehenden Auswirkungen als Grundlagenstörung in Bezug auf das konkrete Vertragsverhältnis ansehen würde, kann der Beklagte darauf kein Kündigungsrecht stützen.

19Denn nach dem bisherigen Sach- und Streitstand ist eine Anpassung des Lehrgangsvertrags als milderes Mittel weder unmöglich noch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beiderseitigen Interessen - bei Anlegung des strengeren Zumutbarkeitsmaßstabs des § 313 BGB - für den Beklagten unzumutbar gewesen. Indem das Berufungsgericht darauf verwiesen hat, dass es bei einer Kursteilnahme vor Ort auf das ordnungsgemäße Verhalten der anderen Teilnehmer angekommen wäre, eine Videoübertragung nach eigenem tatrichterlichen Erfahrungswissen kein einer Präsenzveranstaltung gleichwertiges Kursangebot darstelle und die Verweigerung einer Umbuchung des Beklagten auf den Kurs im Folgejahr zu Lasten der Klägerin gehe, hat es diesen Maßstab verkannt und rechtsfehlerhaft zu geringe Anforderungen an die - vom Kündigenden darzulegende und zu beweisende - Unzumutbarkeit einer Anpassung gegenüber einer sofortigen Auflösung des Vertrags gestellt.

20So hat nicht schon die - stets bestehende - abstrakte Möglichkeit, dass andere Menschen sich nicht an gesetzliche oder soziale Regeln, hier vor allem an die weiter geltenden Abstands-, Hygiene- und Maskentragungsregeln, halten würden, die Teilnahme an der im betreffenden Zeitraum wieder erlaubten Präsenzveranstaltung von vornherein unzumutbar gemacht, zumal das Berufungsgericht Anhaltspunkte dafür, dass die Teilnehmer des vom Beklagten gebuchten Lehrgangs sich gegebenenfalls trotz Ermahnungen so verhalten würden, nicht festgestellt hat.

21Es ist auch nicht ersichtlich, dass es dem Beklagten nicht zuzumuten gewesen wäre, zur wirksamen Verringerung einer Ansteckungsgefahr den Unterricht per Videoübertragung zu Hause zu verfolgen und vor Ort nur an den beiden praktischen Vorführungen im Freien unter Einhaltung eines genügenden Abstands zu anderen Personen teilzunehmen. Dafür hat das Berufungsgericht ebenfalls keine konkreten Umstände, sondern lediglich den - wie die Revision mit Recht rügt - nicht näher belegten pauschalen Erfahrungssatz angeführt, wonach eine Fortbildung, die nur online verfolgt werden könne, einer Präsenzveranstaltung nicht gleichwertig sei. Selbst wenn eine Onlineübertragung mit gewissen Qualitätsabstrichen gegenüber einer Präsenzveranstaltung verbunden gewesen sein sollte, bedeutet dies noch nicht, dass die Kursteilnahme per Video für den Beklagten nach dem für die Vertragsauflösung erforderlichen Maßstab unzumutbar war. Aus dem bisherigen Vortrag des Beklagten ergibt sich dies nicht. So ist insbesondere unklar, ob die Lehrinhalte des Kurses, soweit er nicht im Freien abgehalten wurde, in der Onlineübertragung nicht oder nur untauglich vermittelt werden konnten.

22Schließlich war die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses für den Beklagten auch nicht deshalb unzumutbar, weil die Klägerin sein Angebot ablehnte, den Kurs gegen sofortige Entrichtung des Lehrgangsentgelts auf das Folgejahr umzubuchen. Die Klägerin konnte angesichts der im Mai 2020 fortbestehenden und sich seinerzeit unvorhersehbar entwickelnden Pandemielage nicht gewährleisten, dass sie im folgenden Jahr in der Lage sein würde, den Kurs erneut anzubieten.

233. Die Sache ist nicht gemäß § 563 Abs. 3 ZPO zugunsten der Klägerin zur Endentscheidung reif, weil der Beklagte mit der Kündigungserklärung vom die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte. Ein Dauerzustand, vor dessen Beendigung die Frist nicht beginnt (vgl. , NJW 2005, 3069, 3070; , juris Rn. 42), ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gegeben, wenn fortlaufend neue Tatsachen eintreten, die für die Kündigung maßgebend sind, nicht aber, wenn ein bereits abgeschlossener Tatbestand nur noch fortwirkt (vgl. , juris Rn. 66 und vom - 7 AZR 131/82, juris Rn. 21). Zwar dürfte der Beklagte nach den Darlegungen der Revision spätestens seit dem , an dem der Deutsche Bundestag eine "Epidemische Lage von nationaler Tragweite" festgestellt hat (vgl. BT-Plenarprot. 19/154 S. 19169C; BT-Drucks. 19/24387 S. 2), Kenntnis von der in seiner E-Mail vom erwähnten "aktuellen Lage" gehabt haben. Allerdings gründet sich die vom Beklagten angestrebte Vertragsauflösung nach dem Inhalt seiner Kündigungserklärung nicht auf die Pandemie und die damit verbundenen Gesundheitsgefährdungen als solche, sondern auf die konkreten pandemiebedingten Auswirkungen auf den zwischen den Parteien abgeschlossenen (Dienst-)Vertrag. Diese veränderten sich, bedingt durch die dynamische Entwicklung der Infektionszahlen und durch Beginn und Ende des ersten "Lockdowns" im Frühjahr 2020 fortwährend, was einen damals noch nicht abgeschlossenen Dauerzustand begründete, der laufend neue Tatsachen hervorbrachte, die zum Anlass für eine auf Zumutbarkeitserwägungen gegründete Vertragskündigung hätten genommen werden können (vgl. aaO).

244. Nach alldem ist das Berufungsurteil gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird gegebenenfalls auch im Hinblick auf die - aus seiner Sicht folgerichtig - bislang unberücksichtigt gebliebenen Regelungen des § 615 Satz 1 und 2 BGB zum Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten bei Annahmeverzug des Dienstberechtigten den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag geben und erforderlichenfalls weitere Feststellungen zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:010623UIIIZR73.22.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-44665