BSG Urteil v. - B 11 AL 39/21 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Unzulässigkeit der Klage - fehlendes Rechtsschutzbedürfnis - Arbeitslosengeldanspruch für den 1. Mai - Leistungsberechnung - 30 Tage - keinen weiteren Zahlungsanspruch für einen Tag - kein rechtlicher oder tatsächlicher Vorteil - Krankenversicherungsschutz - rentenrechtliche Zeit

Gesetze: § 141 Abs 3 SGB 3, § 154 S 2 SGB 3, § 19 Abs 2 S 1 SGB 5, § 122 Abs 1 SGB 6

Instanzenzug: Az: S 26 AL 150/19 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 3 AL 115/20 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für den .

2Nachdem die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis des Klägers zum gekündigt hatte, meldete sich der Kläger am bei der Beklagten zum arbeitslos und beantragte Alg. Vom bis war der Kläger ärztlich attestiert arbeitsunfähig. Am meldete sich der Kläger erneut arbeitslos.

3Die Beklagte bewilligte dem Kläger Alg für die Zeit ab dem zunächst vorläufig (Bescheid vom ) und sodann endgültig (Bescheide vom 15. und ). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, ihm sei bereits ab dem Alg zu bewilligen. Da die Agentur für Arbeit wegen eines gesetzlichen Feiertags an diesem Tag nicht dienstbereit gewesen sei, habe er sich erst am Folgetag arbeitslos melden können. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom ). Die Sonderregelung über die Rückwirkung der persönlichen Arbeitslosmeldung in § 141 Abs 3 SGB III aF betreffe den Fall, dass die zuständige Agentur für Arbeit am ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit des Arbeitslosen nicht dienstbereit sei. Der Kläger sei bereits seit dem beschäftigungslos und habe danach lediglich wegen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld bezogen.

4Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ), das LSG die von ihm zugelassene Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom ). Die persönliche Arbeitslosmeldung des Klägers vom wirke nicht auf den (gemeint: ) zurück.

5Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 141 Abs 3 SGB III aF. Er sei seit dem arbeitslos gewesen. Seine Arbeitslosmeldung vom wirke auf den zurück, da die Beklagte an diesem Tag nicht dienstbereit gewesen sei. Die Norm sei erweiternd auszulegen; entscheidend sei der Zweck der Regelung. Jedenfalls sei die Norm analog anzuwenden.

6Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom und das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom aufzuheben sowie die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 15. und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu verurteilen, ihm auch für den Arbeitslosengeld zu bewilligen.

7Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

8Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Gründe

9Der Senat konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten des Klägers verhandeln und entscheiden, weil in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 165 Satz 1 iVm § 153 Abs 1 iVm § 110 Abs 1 Satz 2 SGG).

10Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig.

111. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Bescheide vom 15. und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG). Zwar enthalten die Bescheide vom 15. und ausdrücklich lediglich die Bewilligung von Alg ab dem und keine Ablehnung für den ; sie stellen aber, wie es in dem Widerspruchsbescheid vom unmittelbar zum Ausdruck kommt, inhaltlich die Ablehnung des Begehrens des Klägers dar, ihm Alg bereits ab dem zu gewähren (vgl - BSGE 60, 43 [44] = SozR 4100 § 105 Nr 2 S 2 = juris RdNr 13). Der Bescheid vom über die vorläufige Alg-Bewilligung, der ursprünglich Gegenstand des Vorverfahrens war, hat sich durch die endgültige Bewilligung in den Bescheiden vom 15. und erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X).

122. Die Klage ist mangels allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

13a) Jeder Rechtsbehelf setzt zu seiner Zulässigkeit ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis voraus (vgl ua - BVerfGE 104, 220 [232]; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, Vorbemerkung vor § 51 RdNr 16a). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung ergibt sich aus dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns ( ua - BVerfGE 104, 220 [232]; - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28, RdNr 17). Das Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung bestehen und ist auch vom Rechtsmittelgericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ( - juris RdNr 10 mwN).

14An einem solchen Rechtsschutzbedürfnis fehlt es, wenn der Rechtsbehelf demjenigen, der ihn erhebt oder einlegt, keinen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringen kann (vgl - juris RdNr 10; 1 VR 2.19 - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr 30 = juris RdNr 13; 10 C 3.20 - BVerwGE 174, 66 = Buchholz 404 IFG Nr 46, RdNr 24 mwN; - juris RdNr 12). Das ist der Fall, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Betroffenen nicht verbessern würde ( - juris RdNr 10).

15b) Gemessen daran fehlt es dem Kläger mit Blick auf seinen Antrag, ihm auch für den Alg zu bewilligen, am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis.

16aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf den geltend gemachten Anspruch auf Alg selbst. Ist Alg für einen vollen Kalendermonat zu zahlen, ist dieser gemäß § 154 Satz 2 SGB III mit 30 Tagen anzusetzen. Da dem Kläger bereits für den 2. bis und damit für 30 Tage Alg bewilligt worden ist, würde ihm die Verurteilung der Beklagten, auch für den Alg zu bewilligen, keinen weiteren Zahlungsanspruch verschaffen.

17bb) Es ist auch nicht ersichtlich, dass mit der Bewilligung von Alg für den sonstige rechtliche oder tatsächliche Vorteile für den Kläger verbunden wären.

18Ein Krankenversicherungsschutz des Klägers für den folgt jedenfalls aus § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V. Danach besteht Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet. Der Kläger war zunächst als abhängig Beschäftigter bis zum in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V). Diese Mitgliedschaft ist über das Ende der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung hinaus erhalten geblieben, solange er Anspruch auf Krankengeld hatte (§ 192 Abs 1 Nr 2 SGB V), also bis zum . Am bestand ein nachgehender Leistungsanspruch aufgrund § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V (vgl auch - im Umkehrschluss - - SozR 4-2500 § 192 Nr 6 RdNr 21 ff), sofern der Kläger nicht familienversichert war. Eine solche Familienversicherung nach § 10 SGB V hat Vorrang (§ 19 Abs 2 Satz 2 SGB V). Wäre der Kläger aber am familienversichert gewesen, hätte also zwar kein Anspruch nach § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V bestanden, aber eine Versicherung nach § 10 SGB V.

19Da im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ein Kalendermonat, der nur zum Teil mit rentenrechtlichen Zeiten belegt ist, gemäß § 122 Abs 1 SGB VI als voller Monat gilt, würde dem Kläger auch insofern die Bewilligung von Alg für den keinen Vorteil verschaffen. Aufgrund der Bewilligung von Alg ab dem änderte sich durch die Bewilligung auch für den nichts an der rentenrechtlichen Bewertung des Mai 2019.

20Andere Umstände, die ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für sein Begehren begründen könnten (zB hinsichtlich der Vorversicherungszeit des § 33 SGB XI oder Ansprüchen des Klägers auf Pflegeleistungen für den ), sind von diesem - trotz vorherigen Hinweises des Senats auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis - weder behauptet worden noch sonst ersichtlich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2023:150223UB11AL3921R0

Fundstelle(n):
XAAAJ-44603